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Wulffs Präsidentenfeier mit exklusivem Service

Am 30. Juni 2010 wurde der CDU-Politiker Christian Wulff im dritten Wahlgang zum zehnten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Am Abend richtete der Eventmanagner Manfred Schmidt, ein professioneller Kuppler von Politikern, Wirtschaftsleuten und Prominenten aller Art, für den vormaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten in seiner „exklusiven“ Penthouse-Residenz am Pariser Platz 4a mit „unverstelltem Blick“ auf Brandenburger Tor und Reichstag eine Siegesfeier aus.

Die erste Frage lautet: Wieso organisierte Schmidt für Wulff diese Jubelparty? Eine reine Nettigkeit unter Freunden? Oder womöglich eine Gefälligkeit als Dank für Gefälligkeiten, die Wulff ist seinem bisherigen Amt dem umtriebigen Geschäftsmann und „Partykönig“ erwiesen hatte?

Die zweite Frage lautet: Wieso feiert ein deutsches Staatsoberhaupt seine Wahl ins höchste Amt der Republik in einer „Eventlocation“, für die der Veranstalter Schmidt auf der Website seiner Firma folgendermaßen wirbt: „Nutzen auch Sie das Privileg eines erstklassigen Escortservices Ihrer Geschäftskunden und einer vorbildlichen Security. Drei separate Eingänge ermöglichen eine paparazzisichere Anfahrt und höchste Diskretion. In der Residenz am Pariser Platz können Sie einen hochexklusiven Event ungestört von der Öffentlichkeit genießen.“

 

Hallo Schloss Bellevue: Noch jemand da?

Lange nichts mehr gehört von Christian Wulff. Was macht er wohl so? Staatsbesuch bei den Scheichs, Sternsinger-Empfang, Neujahrsempfang – alles vorbei. Und jetzt?

Berater haben dem Bundespräsidenten offenbar empfohlen, erst mal auf Tauchstation zu gehen. Wulff entzieht sich der Medienmeute und dem Volk. Bis die ganze Sache vergessen ist.

Die Strategie scheint aufzugehen: Medien berichten mangels nennenswerter neuer Aufreger in der Causa Wulff nur noch über läppische Kleinigkeiten: hier ein geschenktes Bobby-Car für den Präsidenten-Nachwuchs, da ein Wiesn-Upgrade im Bayerischen Hof, dort doch Mitwirkung an der Sponsorensuche für eine Veranstaltungsreihe namens Nord-Süd-Dialog (hat nichts mit der Dritten Welt zu tun wie ehedem unter Willy Brandt). Ziemlich kleines Karo also. Und geeignet, bei Lesern das Gefühl zu wecken: Den Medien ist wirklich jedes Mittel recht, um Wulff zur Strecke zu bringen. Und bei manchem Journalisten wie Parteifreund macht sich offensichtlich Resignation breit: Der Mann sitzt das einfach aus!

Der CDU hat die leidige Affäre in den Umfragen bislang nicht geschadet, anders als dem Bundespräsidenten. Und Merkels bekannte Strategie des Abwartens hat sich wieder einmal bewährt. Bis jetzt, jedenfalls.

Dass Wulff vorerst verschwunden ist, fällt dabei nicht weiter auf. Er war ja schon vor seiner Affäre kaum sichtbar. Oder, wie der Satire-Kollege Hans Zippert schon vor Weihnachten in der Welt über den Bundespräsidenten schrieb: „Wulff schafft das Amt ab, indem er es ausübt.“

 

Große Koalition an der Saar, oder was nun?

Die Parteien sind schon dabei, die Weichen für 2013 zu stellen: Im Saarland möchte die Bundes-SPD nach dem Ende des Jamaika-Bündnisses, als neueste Variante, allenfalls eine Koalition mit der CDU auf begrenzte Zeit. Denn die Führungsgenossen im Willy-Brandt-Haus wissen, dass Große Koalitionen in aller Regel bei den nächsten Wahlen dem Juniorpartner mehr schaden. Und das wäre im Moment die SPD.

Deshalb drängt die strategisch vorausdenkende Generalsekretärin Andrea Nahles auf möglichst baldige Neuwahlen im kleinsten Bundesland. Die SPD liegt nämlich in Umfragen dort derzeit (noch) vorne und kann daher hoffen, nach einer Art Übergangsregierung mit der CDU künftig den Ministerpräsidenten zu stellen – egal in welcher Konstellation.

Der Landesvorsitzende Heiko Maas dagegen möchte eine Neuwahl eigentlich meiden: Er ist schon zweimal als Spitzenkandidat gescheitert (2009 an den Grünen, die sich statt für Rot-Rot-Grün für Jamaika entschieden) und fürchtet, eine dritte Niederlage wäre sein politisches Ende. Daher möchte er lieber die Chance ergreifen, jetzt wenigstens Vize und „Superminister“ unter der CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zu werden. Nach dem Motto: Besser der Spatz in der Hand…

Die Linie gibt aber ganz offensichtlich nicht er vor, sondern die Parteizentrale in Berlin. Und die hat aus den eingangs genannten Gründen – mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 – kein Interesse, ein Signal für Schwarz-Rot zu senden. Sondern, wenn schon, für Rot-Schwarz.

An einer Großen Koalition wird die SPD an der Saar allerdings wohl so oder so nicht vorbeikommen, auch nicht nach Neuwahlen. Denn Oskar Lafontaine, der Landesfraktionschef und immer noch un-heimliche Vorsitzende der Linken, hat klargestellt, seine Partei stehe für ein rot-rot-grünes Bündnis nicht mehr zur Verfügung. Auch er will offenkundig für 2013 schon mal ein Zeichen setzen. Seine Rache an der SPD, seiner alten geliebt-gehassten Partei, währt ewig.

All das bestätigt meine Prognose: 2013 wird es auch im Bund wahrscheinlich nur um die Frage gehen: Schwarz-Rot oder Rot-Schwarz, Merkel oder Steinbrück/Steinmeier/Gabriel.

 

Wulff kurz vor dem Ende

In der Daueraffäre Wulff kippt die Stimmung in der CDU und der Unionsfraktion, wie von mir in diesem Blog schon in der vergangenen Woche prognostiziert. Vor allem in seinem CDU-Heimatverband Niedersachsen geht die Angst um, Wulff könne ihnen – wenn er im Amt bleibt – im nächsten Jahr bei der Landtagswahl die Mehrheit kosten. Ähnlich dürfte es in Schleswig-Holstein sein, wo schon in diesem Frühjahr gewählt wird. Deshalb wächst der Druck auch auf Angela Merkel

Man kann und sollte die jüngsten Äußerungen der Kanzlerin und ihres Sprachrohrs Peter Altmaier daher als Ultimatum an den Bundespräsidenten verstehen: Wenn er jetzt nicht ganz schnell sein Versprechen einlöst, alle verbliebenen Ungereimtheiten aufzuklären, dann war es das.

Merkel verliert die Geduld. Für Christian Wulff ist es 2 vor 12.

 

 

Wulff klebt am Amt. Na und?

Viele Bürger, Leser und Debattenteilnehmer zur Causa Wulff auch in diesem Blog stellen – oft empört oder entsetzt – die Frage: Kann dieser Bundespräsident wirklich auf seinem Posten bleiben? Trotz seines vielfältigen, offenkundigen Versagens, das er in dieser Affäre unter Beweis gestellt hat?

Andere meinen: Wäre das so schlimm? Haben wir, hat unser Land nicht viel gravierendere Sorgen und Probleme als die Frage, ob ein medioker Politiker seinem Amt – einem gar nicht so bedeutenden – gewachsen ist?

Noch anders gewendet: Wäre es eine Staatsaffäre, wenn Christian Wulff nicht gehen müsste? Weil die Kanzlerin und ihre Koalition, aber auch die Opposition im Moment offensichtlich kein Interesse an seiner Ablösung haben. Und weil die Aufregung über Wulff und sein Krisengebaren langsam abebbt und sich die Medien wieder anderen Themen zuwenden. Wie das so ist, wenn eine Affäre lange dauert und keine Konsequenzen zeitigt.

Oder würde es vielmehr eine Staatskrise bedeuten, wenn Wulff schließlich doch noch zurückträte, als zweiter Bundespräsident binnen eineinhalb Jahren nach Horst Köhler?

Nein, eine Staatskrise wäre das sicherlich nicht. Im Gegenteil. Unser politisches System würde dann zeigen, dass es in der Lage ist, mit solchen Skandalen umzugehen und einen unfähigen, überforderten Politiker aus seinem Amt zu entfernen. Die Bundesversammlung würde rasch einen Nachfolger wählen, einen hoffentlich überparteilichen und besseren; Angela Merkel wäre leicht beschädigt (ist sie jetzt schon), weil es ihr Präsident ist, ihr zweiter; die Republik würde diese minder bedeutende Affäre alsbald vergessen.

Wenn. Wenn aber Wulff weiter an seinem Sessel klebt (was ihm gar nicht zu verdenken ist: Viele andere Politiker täten das auch und haben es getan – weil sie meist ja nichts anderes haben) und niemand diesen Präsidenten von seinem Amt befreit, dann, so ist zu befürchten, droht der Demokratie tatsächlich eine weitreichende neuerliche Erschütterung. Weil das in den Augen vieler Bürger den Argwohn verstärkte, dass unser politisches System seiner Funktion eben nicht mehr gerecht wird, sich selbst zu reinigen.

Erst die Finanz- und Eurokrise. Dann Guttenberg. Jetzt Wulff: Man stelle sich mal vor, es ginge um die Kanzlerin, also jemand wirklich bedeutenden, mächtigen. Aber Wulff ist ja „nur“ Bundespräsident. Gott sei Dank.

 

Blues statt Reggae: Jamaika ade

Jamaika war einst ein Kifferparadies, Reggae-Heimat von Bob Marley, Zufluchtsort für Abenteurer. Später beflügelte Jamaika auch politische Phantasien: Die Landesfarben der Karibikinsel, schwarz-gelb-grün, standen nun für Union + FDP + Grüne – ein neues Koalitionsmodell, das das fest gefügte Parteiensystem aufsprengen und lagerübergreifende Bündnisse ermöglichen sollte.

Vor allem der CDU schien diese bunte Kombi ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft: die beiden bürgerlichen Parteien zusammen mit den bürgerlicher gewordenen Grünen – das sollte die Möglichkeit eröffnen, selbst dann zu regieren, wenn es für Schwarz-Gelb (oder Schwarz-Grün) nicht reicht. Ein Gegenmodell zu Rot-Rot-Grün. Und eine weitere Antwort auf das zunehmend zersplitterte deutsche Parteiengefüge.

Zusätzlicher Vorteil für die CDU: Wäre die Ökopartei erst einmal aus dem rot-grünen Lager herausgebrochen, würde es für die SPD schwieriger, ihrerseits Koalitionen zusammen zu bekommen. Zumal sich die Sozialdemokraten mit der Linkspartei nach wie vor schwer tun.

Das Kalkül schien aufzugehen: 2009 entschieden sich die Grünen im Saarland gegen ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis und für ein Zusammengehen mit CDU und FDP. Das Experiment konnte beginnen.

Nun ist die Hoffnung der CDU zerstoben. Der erste Probelauf einer christdemokratisch-liberal-ökologischen Zusammenarbeit ist nach nur gut zwei Jahren kläglich gescheitert: Wegen Regierungsunfähigkeit nicht etwa der Grünen, sondern der an der Saar besonders desolaten FDP ließ CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer das Bündnis platzen.

Nun könnte man die misslungene Premiere von Jamaika im kleinsten Bundesland als Randnotiz in bewegter Zeit abtun. Aber die Entwicklung im Saarland ist symptomatisch für das strategische Dilemma der CDU: Während die SPD in den Ländern mal mit den Grünen, mal mit der CDU oder der Linkspartei und in Hamburg sogar allein regiert, bleiben der Partei der Kanzlerin nur zwei Optionen: Schwarz-Gelb oder Große Koalition. Da die 2009 noch so starke FDP inzwischen auf das Niveau einer Splitterpartei geschrumpft ist und Besserung für Philipp Röslers Truppe nicht in Sicht ist, hat Angela Merkel mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 jedoch im Grunde nur eine Perspektive: Sie muss die SPD für sich gewinnen.

Wobei noch unklar ist, ob dann Schwarz oder Rot stärker sein wird und damit den nächsten Kanzler stellt.. Über eine andere Option verfügt Merkel aber faktisch nicht mehr.

Denn zugleich haben sich die politischen Lager wieder verfestigt. Spielten CDU und Grüne nach der Wahl 2005 noch eine Weile mit dem Gedanken an Schwarz-Grün – die CDU aus Abneigung gegen die damalige Große Koalition, die Grünen aus Verdruss über die SPD, mit der sie sieben Jahre im Bund regiert hatten –, so haben sich solche Überlegungen spätestens seit dem Scheitern von Schwarz-Grün in Hamburg und dem Debakel an der Saar erledigt: Die Grünen stehen wieder fest an der Seite der SPD.

Selbst die parteiübergreifende Wahl eines neuen Bundespräsidenten als Nachfolger für den affärengeplagten Christian Wulff würde daran wohl nichts ändern: Die Grünen werden einem von der CDU nominierten Kandidaten nur zustimmen, wenn auch die SPD mit im Boot ist. Für Merkel wäre damit nichts gewonnen.

Die Kanzlerin kann nur beten, dass der Niedergang der Liberalen durch ein politisches Wunder doch noch gestoppt wird. Und ansonsten darauf hoffen, dass die SPD trotz aller Probleme von Schwarz-Gelb weiterhin nicht über 30 Prozent hinauskommt – und die Union nicht noch darunter sackt. Sicher ist dies angesichts der Pleite mit Merkels zweitem Bundespräsidenten und der absehbaren Niederlage der CDU bei der Wahl in Schleswig-Holstein im Frühjahr nicht.

Jamaika ist passé. Für 2013 heißt das vermutlich: Rot-Grün oder Große Koalition. Sollten die Piraten in den Bundestag einziehen und die Linkspartei trotz ihrer Führungs- und Richtungskrise im Parlament bleiben, spricht nach jetzigem Stand vieles für Schwarz-Rot oder Rot-Schwarz. Denn für Rot-Grün wird es dann wahrscheinlich nicht reichen.

Es wird wieder farbloser in der deutschen Politik.

 

Die Kanzlerin bleibt auf Distanz

Angela Merkel hat gesprochen, nach anderthalb Tagen des Abwartens, wohin sich in der Affäre Wulff die Stimmung der Öffentlichkeit wendet. Sie habe „große Wertschätzung für Christian Wulff als Mensch und für Christian Wulff als Bundespräsidenten“, lässt sie durch ihren Regierungssprecher Thomas Seibert am Freitagnachmittag ausrichten.

Man lese das Statement der Kanzlerin genau: Jedes Wort ist mit Sicherheit sorgfältig abgewogen. Kein „vollstes Vertrauen“ (mehr), wie noch am 19. Dezember, als die Affäre ziemlich am Anfang stand. Eine „dunkelgelbe Karte“ nennt man so etwas im Fußballdeutsch. Soll sagen: Wenn jetzt noch eine Sache kommt und der Bundespräsident nicht auch „auch alle weiteren relevanten Fragen“ zur Zufriedenheit aufklärt, dann könnte Schluss sein.

Merkel möchte nicht die Königsmörderin sein. Auch weil es „ihr“ Präsident ist, der zweite nach Horst Köhler, der womöglich gehen muss. Und weil sie ahnt, dass sie einen dritten derzeit wohl kaum durch die Bundesversammlung bekäme.

Deshalb bleibt sie vorsichtig – und auf Distanz. Eine Rückendeckung für Wulff ist das jedenfalls nicht. Und wer Merkel kennt, weiß: Wenn es darauf ankommt, ist sie eiskalt. Bevor es ihr selber noch mehr schadet. Deshalb bereitet sie – verbal wie faktisch – vorsichtshalber schon mal die Nachfolge vor (wie man heute lesen kann).

PS: Ob die Kanzlerin das mit der „Offenheit und Transparenz“ der Präsidenten wirklich so gemeint hat? Nach Wulffs Weigerung, seinen Mailbox-Anruf bei Bild-Chef Kai Diekmann offen zu legen und der dürren Erklärung seiner Anwälte?

 

Ergänzung vom Samstag: Bild prüft nun angeblich juristisch, ob das Blatt trotz Wulffs Nein den Wortlaut seines Anrufs öffentlich machen kann/darf. Dann würde sich wohl endgültig zeigen, ob er die (Un)wahrheit gesagt hat. Und dann träte vermutlich Merkels Plan B (s.o.) in Kraft: ein rascher, möglichst überparteilicher Nachfolge-Kandidat oder eine Kandidatin. Als Signal auch für eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Koalition nach der Bundestagswahl 2013.

Die neuerdings, neben anderen, gehandelte grüne Kandidaten-Kandidatin Katrin Göring-Eckardt – Ex-DDR-Bürgerrechtlerin, Vizepräsidentin des Bundestags und Präsidentin der evangelischen Synode, mit besten Kontakten zur Kanzlerin – wäre sicher eher ein Signal Merkels in Richtung Grüne. Aber für die SPD, wie für die CDU, wahrscheinlich auch wählbar, weil breit anerkannt.

Dann stünde, als Folge der Wulff-Affäre, womöglich am Ende eine zweite Frau aus dem Osten an der Spitze des Staates. Eine sehr junge (Göring-Eckardt ist erst 45) und zweifache Mutter zudem. Das wäre ja nicht das Schlechteste!

Bundespräsidenten-Wahlen haben in der Vergangenheit schon mehrfach zur Vorbereitung neuer Koalitionen gedient (siehe Heuss, Heinemann, Köhler). Selbst eine Präsidentenkrise könnte nun dafür genutzt werden. Über Wulff ist die Zeit offensichtlich längst hinweggegangen…

 

Verlassen auf Schloss Bellevue

Die Affäre unseres Bundespräsidenten hat ganz offenkundig das finale Stadium erreicht. Nach seinem jüngsten Skandal im Skandal, seinem Angriff auf die Pressefreiheit, dämmert selbst den letzten in seiner Partei und wohl auch der Kanzlerin, dass Christian Wulff nicht mehr zu halten ist. Kaum einer aus den eigenen Reihen ergriff am Montag das Wort und stellte sich noch hinter ihn. Kein Wort mehr der Unterstützung aus dem Kanzleramt. Und auch heute: Schweigen. Es ist, so ist zu vermuten, die kurze Ruhe vor dem Ende.

Wie wollte, könnte man denn auch einen Bundespräsidenten noch verteidigen, der in seiner übergroßen Bedrängnis und Verzweiflung jede Kontrolle verliert? Ein Staatsoberhaupt, das seinem Amtseid zuwider handelt, die Verfassung zu achten und zu wahren, indem er die freie, kritische Berichterstattung über ihn selber zu verhindern trachtet? Und der offensichtlich niemanden hat, der ihn daran hinderte, seine Kriegserklärung ausgerechnet gegen die Bild-Zeitung, sein früheres Haus- und Hofblatt, das seine Affäre öffentliche machte, auch noch auf der Mailbox des Chefredakteurs zu hinterlassen. Von wo sie, wie nicht anders zu erwarten, irgendwann ebenfalls den Weg in die Öffentlichkeit fand.

Nun steht Wulff einsam und verlassen da. Und es ist wohl nur noch eine Frage kurzer Zeit, bis Angela Merkel den Daumen senkt. Diese Affäre ist nicht mehr zu beherrschen; sie wird, je länger sie dauert, zur Krise auch der Kanzlerin, die Wulff als Präsidenten erkoren hat. Das dürfte auch Merkel inzwischen so sehen.

Intern gehen viele Parteifreunde und CDU-Abgeordnete spätestens seit Montag deutlich auf Distanz. Sie sind entsetzt über Wulffs stümperhaftes Krisenmanagement, selbst wenn sie seine dubiosen Privatgeschäfte mit Wirtschaftsfreunden und seine Anfälligkeit für die Verlockungen der Macht und des Luxus‘ lange Zeit allenfalls mit Stirnrunzeln betrachtet hatten. Hatte Merkel diesen Mann nicht gerade deswegen ins höchste Amt gehoben, weil er ein Politprofi zu sein schien; einer, von dem sie keine Gefahr witterte nach der schlechten Erfahrung mit seinem Vorgänger, dem Politik-Neuling Horst Köhler? Und jetzt das!

Ihr Kalkül dürfte daher nun einfach sein: Schadet es ihr und der Koalition mehr, wenn Wulff trotz allem im Amt bleibt? Oder ist der Schaden größer, wenn – nach nur anderthalb Jahren – der zweite Bundespräsident ihrer Wahl stürzt? Und sie sich nicht sicher sein kann, einen dritten durch die Bundesversammlung zu bringen.

Die Opposition hält sich weiter auffallend zurück. SPD-Chef Sigmar Gabriel dürfte indes inzwischen sein Persilschein für Wulff reuen. Die Staatskrise, die er für den Fall an die Wand malte, dass schon wieder ein Bundespräsident gehen muss, ist längst da.

 

Das war’s, Herr Wulff

Politische Affäre nehmen für gewöhnlich einen erwartbaren Verlauf: Erst kommt eine Sache hoch, die einen bisher vermeintlich „sauberen’“ Politiker ins Zwielicht setzt. Der Politiker leugnet oder zeigt sich keiner Schuld bewusst. Dann kommen immer mehr Fragwürdigkeiten ans Tageslicht, weil nun weitere Medien die Spur aufnehmen. Der betroffene Politiker gibt in einer Salamitaktik immer nur das zu, was schon bekannt ist, beharrt aber darauf, gegen kein Gesetz verstoßen zu haben.

Schließlich tritt er, wenn der Druck zu groß wird, vor die Öffentlichkeit und gibt sich reumütig. Damit hofft er, den Brand austreten zu können. Parteifreunde fordern daraufhin ein Ende der Debatte, „aus Rücksicht auf das Amt“, und werfen den Medien eine „Hetzjagd“ vor, obwohl die nur ihrer Pflicht nachgehen, die Öffentlichkeit aufzuklären. Und so weiter und so fort.

Am Ende aber stürzt der Angegriffene. Nicht über seine tatsächliche oder vermeintliche Verfehlung. Sondern über seinen Umgang mit der Affäre. Und weil es selbst treuen Partei- und Koalitionsfreunden irgendwann zu viel ist und sie bei einem Fortgang Schaden für ihre Partei/Koalition fürchten.

So war es zuletzt im Fall Guttenberg. Und so wird es auch im Fall Wulff wohl bald sein.

Ungewöhnlich und erstaunlich selbst für einen, der schon viele Affären erlebt hat, ist jedoch in diesem Fall das Ausmaß an politischer Instinktlosigkeit und Skrupellosigkeit, das Christian Wulff an den Tag legt. Denn nun kommt heraus, dass der Bundespräsident offenbar auch noch versucht hat, die Veröffentlichung des Skandals um seinen Hauskredit und die Annahme sonstiger Gefälligkeiten vermögender Wirtschaftsfreunde mit allen Mitteln zu verhindern – durch Druck auf die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann.

Genau dieses könnte in dieser Affäre das „Zu-viel“ sein: Ein Bundespräsident, der als vormaliger niedersächsischer Ministerpräsident das Landesparlament beschummelt hat; der die Öffentlichkeit noch immer hinters Licht führt und der Medien zu erpressen versucht, ist nicht haltbar. Denn er schädigt das Ansehen der gesamten politischen Klasse.

In den Augen vieler Bürger verstärkt Wulff mit seinem Verhalten das Bild, das alle Politiker „so sind“: raffgierig, skrupellos, nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

So aber sind Politiker längst nicht alle. Die meisten von ihnen sind – bis zum Beweis des Gegenteils – politisch integer. Sie handeln am Gemeinwohl oder zumindest dem Interesse ihrer Partei orientiert und sind nicht nur auf den eigenen materiellen Vorteil bedacht.

Christian Wulff jedoch, das zeigt sich immer mehr, ist ganz offenkundig das Gegenteil davon. Sein Anruf bei Diekmann, sollte er tatsächlich so stattgefunden haben, offenbart, wie Wulff wirklich tickt: Er versuchte, eine Berichterstattung zu verhindern, in der es um Verfehlungen ging, die er später selbst einräumte. Er drohte mit einem Strafantrag, obwohl die Fakten der Kreditgeschichte stimmten. Und das verrücktest: Er hinterließ all dies auf Diekmanns Mailbox. Ein zorniger, tumber Dorfschultheiss mag sich so verhalten können, ein Bundespräsident nicht. Er wird zum Schaden für dieses Land.

Wulff sollte daher, wenn er diesen Schaden abwenden will, wie er es im Amtseid geschworen hat, einsehen, dass seine Stunde geschlagen hat – und gehen. Nicht (nur), weil es sein hohes Amt gebietet. Sondern weil er politisch-moralisch gefehlt hat.

Wenn Wulff aber uneinsichtig bleibt, müssen ihm seine Parteifreunde und die Kanzlerin klar machen, dass er nicht länger tragbar ist. Sonst wird die Provinzaffäre dieses politischen Emporkömmlings zum Sprengsatz auch für sie.

Diesen Text haben wir inzwischen auch auf der Homepage von ZEIT ONLINE veröffentlicht. Bitte weitere Diskussionsbeiträge und Kommentare dort posten. 

 

Wieder Rot-Schwarz in Mecklenburg-Vorpommern?

Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern spielt nur eine geringe Rolle in der politischen Tagesberichterstattung. Lediglich die Auswirkungen der innerhalb der Linken im nordöstlichsten deutschen Bundesland geführten Debatte um den Mauerbau von 1961 auf das Wahlergebnis wurden in den letzten Wochen ausführlicher thematisiert. Eine offene Frage ist zudem, ob die FDP aufgrund der für sie schlechten bundespolitischen Rahmenbedingungen den Wiedereinzug in den Landtag von Schwerin schafft. Die Umfragen sehen die Liberalen – ähnlich wie die rechtsextreme NPD – knapp unter der 5%-Hürde.

Sollten nur vier Parteien – SPD, CDU, die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen – in das Landesparlament einziehen, wie es die letzten Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen sowie von Infratest dimap andeuten, aus welchen Parteien wird sich dann die nächste Regierung zusammensetzen? Bleibt die Koalition aus Sozial- und Christdemokraten im Amt oder kommt es zu einer Koalition aus SPD und Linken, die in Mecklenburg-Vorpommern bereits zwischen 1998 und 2006 amtierte? Eine Inhaltsanalyse der Wahlprogramme der Landesparteien von 2006 und 2011 macht zunächst deutlich, dass die beiden Regierungsparteien SPD und CDU in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen ihre programmatische Position signifikant nach links verschoben haben (siehe Abbildung 1). Linke, Grüne und FDP änderten ihre inhaltlichen Standpunkte weder in wirtschafts- noch in gesellschaftspolitischen Fragen in entscheidendem Ausmaß ab. Die inhaltliche Distanz zwischen Sozialdemokraten und Union hat sich insgesamt betrachtet leicht verringert und entspricht ungefähr dem Abstand zwischen den Positionen von SPD und Linken. Aus dieser Perspektive könnte die SPD auch ein Bündnis mit den Sozialisten eingehen und die Koalition mit der Union beenden.

Abbildung 1: Programmatische Positionen der Parteien in Mecklenburg-Vorpommern

Allerdings spielen bei der Regierungsbildung allgemein und in den deutschen Bundesländern insbesondere noch weitere Faktoren eine Rolle, die in Betracht gezogen werden müssen. Dazu zählen etwa das Ziel der Parteien, möglichst viele Regierungsämter zu besetzen, der Amtsinhaberbonus, der der amtierenden Regierungskoalition einen gewissen Vorteil zugesteht, die vor einer Wahl getätigten Koalitionsaussagen der Parteien und die Mehrheitssituation im Bundesrat. Werden alle diese Faktoren inklusive der programmatischen Distanzen zwischen den parlamentarisch vertretenen Parteien berücksichtigt, dann lassen sich – mit Hilfe multivariater statistischer Analyseverfahren – die Wahrscheinlichkeiten für alle theoretisch möglichen Koalitionsvarianten berechnen (für eine genauere Beschreibung siehe Bräuninger & Debus 2011). Eine solche Analyse liefert folgendes Ergebnis: Von allen 15 theoretisch möglichen Koalitionen, die in dem aus vier Parteien bestehenden Parlament (SPD, CDU, Linke und Grüne) möglich sind, dominieren erwartungsgemäß zwei Parteikombinationen das Bild. Dies sind die amtierende Regierungskoalition aus Sozial- und Christdemokraten mit einer Wahrscheinlichkeit von 56,9% und ein Bündnis aus SPD und Linken mit einer Chance von 41,6%. Die restlichen 1,5% verteilen sich auf die verbleibenden 13 anderen theoretisch möglichen Parteienkombinationen. Diesem Ergebnis zufolge stehen die Chancen für eine Neuauflage der Koalition aus SPD und Union – wie auch schon in Sachsen-Anhalt wenige Monate zuvor – in Mecklenburg-Vorpommern nicht schlecht.

Literatur:

Bräuninger, Thomas und Marc Debus (2011): Parteienwettbewerb in den deutschen Bundesländern. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.