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Die Bundeskanzlerin bei Maybrit Illner – und warum ein bisschen Boris Becker gutgetan hätte!

Das Format hatten wir in ähnlicher Besetzung schon einmal: Erst kürzlich war Angela Merkel zu Gast bei Anne Will, gestern Abend dann beim ZDF. Auf die Frage: „Was haben Sie mit Deutschland vor“ hatte Frau Merkel eine gute Stunde Zeit, Antworten und Ausführungen zu geben. Auch hier hatten zwei Gäste im Publikum die Möglichkeit, ihre Fragen an die Kanzlerin zu stellen. So etwas schafft für den Zuschauer Nähe und Vertrauen. Wie gesagt, mittlerweile ein vertrautes Format!

Die Sendung gab inhaltlich wenig Neues über Frau Merkel her: Ihre Rechtfertigung zur Opel-Rettung trotz innerparteilicher Querelen, die Rolle der Politik in der Krise, keine Mehrwertsteuererhöhung, die (Nicht-)Querelen in der großen Koalition. Was sie wirklich mit Deutschland vorhat, hat der Zuschauer in den 60 Minuten nicht erfahren. Aber das lag u.a. auch an den wenig zielführenden und wenig bohrenden Fragen der Journalistin! (Siehe hierzu auch den Beitrag auf ZEIT online.)

Es erinnert an Boris Becker, der in einem Sportstudio-Auftritt 1995 irgendwann einmal wutentbrannt die Moderatorin anging mit der Frage: Warum fragen sie nicht die wirklich wichtigen Dinge? Warum ich z.B. beim Stande von 5:5 keinen Slice-Aufschlag gespielt habe? – So etwas, mit Verlaub – gilt auch für politische Sendungen. Besonders im Wahljahr!

 

Wahlpflicht in Deutschland – eine sinnvolle Maßnahme?

„Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen – das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen. Demokratie ohne Demokraten funktioniert nicht.“ So äußerte sich der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen gegenüber der BILD-Zeitung angesichts der geringen Europawahlbeteiligung (43,3 Prozent) und forderte für Deutschland eine Wahlpflicht nach dem Modell Belgiens (und gut zwei Dutzend weiterer Staaten). Komme man dieser Pflicht nicht nach, solle man nach den Vorstellungen von Thießen mit 50 Euro zur Kasse gebeten werden (siehe zur Wahlpflicht auch das Pro und Contra von Thorsten Faas in diesem Blog).

Thießen befindet sich mit seinem Unmut über geringe Wahlbeteiligungsraten in guter Gesellschaft. Denn die vorherrschende Meinung in Politik und Medien ist, dass eine hohe Wahlbeteiligung identisch ist mit einer starken Demokratie. Je mehr Bürger von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, desto besser sind die politischen Akteure und ihre Entscheidungen legitimiert. Dass Wahlen eigentlich den Zweck erfüllen sollen, eine handlungsfähige Regierung hervorzubringen (ein Ergebnis, das es bei Europawahlen ohnehin nicht gibt), ist hier zweitrangig; wichtiger ist, dass möglichst alle sagen, was sie eigentlich wollen. Und da die Bürger dies offenbar immer seltener freiwillig tun (Stichwort: sinkende Wahlbeteiligung auf allen Ebenen des politischen Systems seit Ende der 1980er Jahre), muss man sie zu ihrem „Glück“ zwingen.

Dabei gibt es genügend Beispiele, die belegen, dass der angenommene Zusammenhang zwischen der Höhe der Wahlbeteiligung und der Qualität des demokratischen Prozesses kein zwangsläufiger ist. Beispiel Weimar: Die Wahlbeteiligung bei der letzten freien Wahl Anfang 1933 lag bei „traumhaften“ 89 Prozent. Die systemfeindlichen Parteien NSDAP und KPD konnten insgesamt 55 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Das Ende Weimars ist bekannt. Beispiel Belgien: Rechtsextreme Parteien wie z.B. die Vlaams Belang (bis 2004: Vlaams Blok) sitzen hier schon lange im Parlament und nehmen bis zu einem Fünftel der Sitze für sich in Anspruch. Bei der Europawahl 2009 erzielten sie immerhin 16 Prozent. Kurz: An der Höhe der Wahlbeteiligung lässt sich eben nicht ablesen, ob wir es mit guten Demokraten oder dem genauen Gegenteil zu tun haben. Um dies zu beurteilen, muss man die Motive von Wähler und Nichtwählern kennen.

Die Nichtwählerforschung kann immer wieder zeigen, dass letztere häufig deshalb der Wahlurne fern bleiben, weil sie sich für Politik weniger interessieren (was legitim sein sollte in einer Demokratie – genau wie wir es akzeptieren müssen, dass es Menschen gibt, die mit Fußball nichts anfangen können). Dummerweise sind überdurchschnittlich viele Bürger, die für die Politikvorstellungen extremer Parteien empfänglich sind, politisch weniger interessiert. Wenn man diese Menschen nun per Gesetz dazu zwingt, ihre politischen Präferenzen zum Ausdruck zu bringen, muss man sich in jedem Fall darauf einstellen, dass sie ihre Stimmen nicht zwangsläufig an die etablierten Parteien verteilen. Dass dies dann von denjenigen goutiert wird, die heute laut nach einer Wahlpflicht rufen, ist kaum vorstellbar. Denn Demokratie ohne Demokraten – und hier ist Thießen beizupflichten – funktioniert nicht.

 

Das Superwahljahr 1994 als Vorlage für das Superwahljahr 2009: Keine guten Aussichten für die SPD

Aktuelle Wahlergebnisse werden in der Regel mit den Resultaten der vorhergehenden Wahl verglichen, um den Ausmaß an Wandel in den Präferenzen der Wählerschaft darzustellen. Dies ergibt intuitiv Sinn: Man will verdeutlichen, wie sich die Stärkeverhältnisse der politischen Parteien auf der entsprechenden Ebene – Bund, Land, Kommune oder eben Europa – im Vergleich zur letzten Wahl verschoben haben. Wenn es jedoch um den Aspekt der Mobilisierungsfähigkeit einer Partei geht – dieser stand in der Wahlberichterstattung des gestrigen Abends aufgrund des schwachen Ergebnisses der SPD massiv im Vordergrund –, dann wird auch mal auf zeitlich weiter zurückliegende Resultate oder auf Ergebnisse zu Wahlen auf anderen Ebenen zurückgegriffen. Gestern diente in einer ARD/Infratest Dimap-Grafik die absolute Stimmenanzahl der SPD zur Europawahl 2004, 2009 und zur Bundestagswahl 2005 als Grundlage für den – angeblichen – Beleg, dass die Sozialdemokraten sich immer schwer tun, ihre traditionelle Kernwählerklientel bei Europawahlen zu mobilisieren, während es ihnen bei Bundestagswahlen – zumindest bei der letzten vom September 2005 – relativ gut gelungen ist.

Der mit dieser Interpretation verbundene Hoffnungsschimmer für die SPD und ihre Chancen bei der Bundestagswahl in diesem September werden allerdings deutlich kleiner, wenn man die Analyse vor dem Hintergrund der letzten Wahlen aus den Jahren 2004 und 2005 verlässt und eine Situation als Vergleichsperspektive wählt, in der gleiche Rahmenbedingungen gerade im Hinblick auf die Mobilisierungsfähigkeit der Parteien geherrscht haben. Ein Bundestagswahlkampf mag die Wähler zwar vor allem in den letzten Wochen vor der Wahl beschäftigen, aber der Wahlkampf an sich beginnt schon Monate zuvor und übt auch dann bereits Effekte auf das Verhalten – gerade der vielgenannten Kernwählerklientel – aus.

Solche Wahlen mit ähnlichen Rahmenbedingungen sind – gerade im Fall der SPD – nicht die Europawahlen 1999 und 2004, bei denen die traditionellen SPD-Wähler aufgrund von Frustration über das generelle Agieren der rot-grünen Bundesregierung (1999) bzw. deren Wirtschafts- und Sozialpolitik (2004) der Wahl fern geblieben sind, sondern vielmehr die Wahl aus dem Jahr 1994. Das „Superwahljahr“ vor 15 Jahren gleicht in sehr vielen Punkten, die entscheidend für die Mobilisierung der eigenen Anhänger sind, dem Jahr 2009: es fanden 1994 neben zahlreichen Landtagswahlen eine Bundespräsidentenwahl und eine Wahl zum europäischen Parlament statt, die beide für die SPD ähnlich wie in diesem Jahr verloren gingen. Der Unterschied ist jedoch das Ausmaß: 1994 konnten die Sozialdemokraten – zugegebenermaßen bei höherer Wahlbeteiligung von 60% – bei den Europawahlen noch ein Ergebnis von 32,2% erreichten. Der Abstand zur Union, die auf 38,8% kam, betrug somit rund sieben Prozentpunkte. Die SPD änderte dann massiv ihre Wahlkampfstrategie und setzte mit dem fröhlichen Slogan „Freu Dich auf den Wechsel, Deutschland“ auf den Wunsch vieler Wähler, den 1994 seit 12 Jahren amtierenden Kanzler Helmut Kohl (CDU) abzulösen. Diese Taktik ging jedoch erst 1998 auf: Bei der Bundestagswahl im Oktober 1994 konnten beide Volksparteien bei deutlich höherer Wahlbeteiligung von 79% ihre Stimmenanteile leicht steigern – die SPD kam auf 36,4% und die CDU/CSU auf 41,5% der Stimmen – und die christlich-liberale Koalition blieb im Amt.

Nimmt man den Ausgang der Bundestagswahl 1994 – natürlich bei aller gegebenen Vorsicht, die sich auch aus dem durch die bundesweite Etablierung der „Linken“ geänderten Parteiensystem ergeben – als Grundlage einer Prognose für die Wahlen im September diesen Jahres, so ist nur sehr schwer vorstellbar, wie die SPD bei einem Stimmenanteil von nicht ganz 21% bei der Europawahl bei der Bundestagswahl im September die 30%-Marke schaffen oder gar an ihr Ergebnis aus 2005 von 34,2% der Stimmen herankommen will. Denn 1994 ähnelt nicht nur dem Superwahljahr 2009 hinsichtlich der Anzahl und Sequenz von bundesweiten Wahlen und Abstimmungen, sondern auch in Fragen des Charismas und der Ausstrahlungskraft der jeweiligen SPD-Kanzlerkandidaten: letztgenannte Eigenschaften fehlten dem 1994 angetretenen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Rudolf Scharping, und sie fehlen auch Frank-Walter Steinmeier, der – obwohl er aus der populären Rolle des Bundesaußenministers antritt – nicht so recht in die Rolle des mobilisierenden Wahlkämpfers hineinwachsen will. Wenn man also das Wahljahr 1994 als Vorlage für eine Prognose für das Wahljahr 2009 heranzieht und dazu noch annimmt, das ein Kanzlerkandidatenfaktor als Komponente der Entscheidung eines Wählers nicht zu vernachlässigen ist, dann steht der SPD bei weitem keine angenehme zweite Hälfte dieses Superwahljahres bevor.

 

Mission gescheitert: Zur Wirkungslosigkeit von EU-Informationskampagnen

Bei den heutigen Wahlen zum Europäischen Parlament ist einmal mehr zu erwarten, dass die Wähler weg bleiben. Letzte Umfragen gehen davon aus, dass in Deutschland wie schon 1999 und 2004 eine Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent geben wird.

Mit dem Ziel, Wähler von der Bedeutung der EU und der anstehenden Wahlen zu überzeugen, hat zum einen die Europäische Union, zum anderen das bayerische Europaministerium Informationskampagnen gestartet. Während die EU-Kampagne durch ihr Budget beeindruckte – insgesamt 18 Millionen Euro wurden für Großinstallationen, Werbeplakate und Spots ausgegeben – sollte die Bayern-Initiative mit dem Motto „Europa – was geht“ in erster Linie junge Wähler ansprechen. Dafür wurde eigens Commedy-Star Oliver Pocher engagiert, der in einem mehr als 4-minütigen Spot in seiner Rolle als „Straßen-Kobra“ versuchte, mit einem entsprechenden Slang den Nerv der Jugendlichen zu treffen.

Dass die Kampagnen ihr Ziel erreichen konnten, muss aber bezweifelt werden. In einer von Dr. Jürgen Maier, Prof. Dr. Michaela Maier (Universität Koblenz-Landau) und Dr. Silke Adam (FU Berlin) durchgeführten Experimentalstudie unter Studierenden der Universität Koblenz-Landau zeigten sich für keinen der beiden Werbespots mobilisierende Effekte. Einer Gruppe von 23 Studierenden wurde der im Rahmen der EU-Kampagne produzierte 32-Sekunden-Fernsehspot gezeigt. Eine zweite, 45 Studenten umfassende Gruppe wurde der Pocher-Spot gezeigt . Anschließend wurden die Probanden zu europapolitischen Themen befragt und ihre Ergebnisse mit einer 25-köpfigen Kontrollgruppe verglichen, die keinen der beiden Spots gesehen hat. Nach Kontrolle von Geschlecht und politischem Interesse zeigten sich weder hinsichtlich der Wahlbeteiligungsabsicht noch hinsichtlich der Bereitschaft, sich auch nach der Europawahl aktiv über die EU informieren zu wollen, statistisch signifikante Gruppenunterschiede. Das Ziel, junge Wähler für Europa zu interessieren und ihre Bereitschaft zu vergrößern, sich an der anstehenden Europawahl zu beteiligen, haben die Kampagnen somit offenbar verfehlt.

Die fehlende Reaktion der Probanden ist plausibel, denn die Spots geben kaum Aufschluss, warum es wichtig sein sollte, sich mit europäischen Themen zu beschäftigen oder heute zur Wahl zu gehen. Dass passt ins Bild, denn auch die Werbebemühungen der politischen Parteien sowie die Medienberichterstattung der Massenmedien signalisieren dem Wähler durch ihren konsequente Ausblendung von EU-Themen, dass die Europawahlen eigentlich nicht wichtig sind. Jüngster Beleg hierfür ist der fehlende Hinweis auf den Titelseiten der heutigen Sonntagsausgaben der Tageszeitungen, dass heute Europawahl ist. Wenn die Wähler deshalb 2009 erneut mehrheitlich zu Hause bleiben, wäre dies eigentlich ein Anzeichen dafür, dass Wähler durchaus vernünftig agieren – und ihre Zeit lieber in wichtiger Dinge investieren als in den Gang zum Wahllokal.

 

Wie verständlich sind unsere Wahlprogramme?

Morgen – am 7. Juni – sind die Bürgerinnen und Bürger in sieben deutschen Bundesländern aufgerufen, das europäische Parlament und die Gemeinderäte neu zu wählen. Die Wahlprogramme der Parteien können bei diesen Wahlen durchaus eine wichtige Entscheidungshilfe darstellen. In ihnen informieren die Parteien den Wähler darüber, welche Ziele sie in der nächsten Legislaturperiode verfolgen wollen. Doch: Kommunizieren die Parteien hierbei überhaupt so verständlich, dass der „normale“ Wähler sie verstehen kann? Diese Frage wurden nun in zwei Analysen der Uni Hohenheim (in Kooperation mit der Ulmer Kommunikationsberatungsagentur Communication Lab) untersucht.

Ausgangspunkt der beiden Studien war zum einen die Vermutung, dass die immer wieder kritisierte Bürgerferne und Komplexität der EU und ihrer Institutionen sich möglicherweise auch auf die Verständlichkeit der Europa-Wahlprogramme auswirkt. Im Gegensatz dazu sollten die Kommunalwahlprogramme aufgrund der unmittelbaren Alltagsrelevanz der Kommunalpolitik für den Bürger verständlicher formuliert werden können. Beide Vermutungen konnten durch die Analysen der Uni Hohenheim bestätigt werden: Die Verständlichkeit der Europawahl-Programme aller untersuchten Parteien fällt – mit Ausnahme der CDU – im Vergleich zu den Kommunalwahlprogrammen deutlich geringer aus (exemplarisch wurden die Wahlprogramme zur Stuttgarter Gemeinderatswahl untersucht). Die Programme der SPD und der Grünen erreichen hierbei eine (Un)Verständlichkeit, die sich mit politikwissenschaftlichen Dissertationen vergleichen lässt. Die einzige erwähnenswerte Ausnahme stellt das Wahlprogramm der CSU dar: Dessen Verständlichkeit liegt deutlich über den restlichen Parteien, wobei auch hier noch zahlreiche Verstöße gegen zentrale Regeln des verständlichen Schreibens zu verzeichnen waren.

Die Verständlichkeit der Wahlprogramme im Vergleich

Am besten lassen sich diese Defizite anhand einiger weniger Beispiele aus den Europawahlprogrammen demonstrieren. So versucht die SPD ihren Wählern die Bedeutung europäischer Politik mit folgendem Satzungetüm näher zu bringen: „Dort wo die Gestaltungskraft der Nationalstaaten in unserer zusammenwachsenden Welt mit neuen Abhängigkeiten und vernetzten Problemen an ihre Grenzen stößt, kann und muss Europa den Primat der Politik gegenüber den freien Kräften des Marktes behaupten und dem Wirtschaften im europäischen Binnenmarkt wie weltweit soziale und ökologische Regeln geben.“ Auch das verwendete Vokabular der Parteien dürfte so manchen Leser der Wahlprogramme zur Verzweiflung treiben: So finden sich neben dem „Primat der Politik“ im eben zitierten Satz auch zahlreiche weitere Beispiele in den Wahlprogrammen der Parteien. Begrifflichkeiten und Fachausdrücke wie „Lissabon-Strategie“, „prekäre Beschäftigung“, „effektiver Multilateralismus“, „EU-weite Einspeiseregelung“ werden immer wieder verwendet – und das vollkommen ohne erläuternden Kommentar oder Klammerzusatz. Spätestens hier wird der Anspruch, die Wahlprogramme richteten sich an den „normalen“ Bürger, äußerst fraglich. Die Stuttgarter Kommunalwahlprogramme schneiden im direkten Vergleich deutlich besser ab als die Europawahlprogramme. Allerdings kann man auch hier keineswegs von allgemeiner Verständlichkeit sprechen. Als Vergleichswert wurde die Verständlichkeit von Politik-Beiträgen aus der Bild-Zeitung herangezogen: Von diesen Werten, auch wenn sie einen zugegebenermaßen hohen Verständlichkeitsanspruch darstellen, sind alle Parteien meilenweit entfernt.

Trotz allem besteht durchaus Anlass zur Hoffnung: Denn zumindest die Grünen scheinen das Problem mittlerweile erkannt zu haben: Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz Anfang Mai 2009 stellten einige Delegierte den Antrag, dass die grünen Wahlprogramme in Zukunft auch als leicht verständliche und bebilderte Kurzfassung erscheinen sollten. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Parteien diesem Beispiel folgen werden.

 

Bayern gegen Bremen

Duelle zwischen Bayern und Bremen kennt man vor allem im Fußball. Doch auch bei der Europawahl gibt es dieses Duell, vor allem im Unionslager. Während alle anderen Parteien mit bundesweit einheitlichen Listen zur Europawahl antreten, tritt die Union mit Landeslisten (also einer eigenen Kandidatenliste pro Bundesland) an. Dieser Umstand ist der CSU geschuldet – da sie in Bayern (und nur dort) antritt, muss auch die CDU in jedem einzelnen der übrigen 15 Länder mit einer eigenen Liste antreten.

Die Vergabe der Sitze erfolgt am Sonntag zweistufig: Zunächst auf die CDU insgesamt, dann – nach der Anzahl der pro Bundesland erhaltenen Stimmen – auf die einzelnen Landeslisten der CDU. Nun wird die CDU, das dürfte eine nicht allzu kühne Prognose sein – rund 35 der 99 deutschen Sitze am kommenden Sonntag gewinnen können. Dass einer davon von einem bremischen Kandidaten besetzt werden wird, ist aber nahezu ausgeschlossen. Zu klein ist der Anteil Bremens an der deutschen Bevölkerung (und damit auch innerhalb der CDU-Wählerschaft), nur 0,8 Prozent der Wahlberechtigten leben dort. Die CDU-Liste Bremens wird nicht zum Zuge gekommen, selbst ihr Spitzenkandidat wird nicht ins EP einziehen. Und das alles nur (ein wenig überspitzt formuliert) wegen der CSU. Bayern gegen Bremen – manchmal auch abseits des Platzes.

 

Lasset die Wahlen beginnen (aber Achtung vor den Frühstartern?!?)

Ab heute also ist das mehrtägige Europawahlfestival eröffnet. Die Wähler aus Großbritannien und den Niederlanden machen den Anfang, andere Wähler müssen bis Sonntag warten. Der lange Zeitraum von vier Tagen bereitet allerdings nicht nur Freude. So schreibt die Süddeutsche Zeitung heute unter der Überschrift „Geheimsache Europawahl“ auf der Titelseite: „EU will verhindern, dass vor Sonntag Ergebnisse durchsickern“. Auch die Frühstarter erfahren also erst am Sonntag, wie sie gewählt haben. Und warum: „Die Wahlforschung kennt nämlich den Effekt, dass manche Wähler sich in letzter Minute zu dem Lager hin orientieren, in dem sie den Sieger vermuten“, so die SZ – mit der Folge: „Frühzeitig bekanntgegebene Ergebnisse können das Gesamtresultat der Europawahl also durchaus verändern.“

Halt! Richtig ist, dass die Wahlforschung viele Effekte kennt (über viele haben wir hier auch schon berichtet) – nur gerade diesen Effekt kennt die Wahlforschung nicht. Zwar gibt es schon lange den Mythos eines Mitläufer- oder auch „Bandwagon“-Effekts, der in der Folge von veröffentlichten Umfragen auftreten soll: Wähler möchten zu den Siegern gehören. Doch eindeutig gezeigt wurde dieser Effekt nur äußerst selten. Und über Ländergrenzen hinweg schon gerade gar nicht. Wieso sollte auch der Ausgang in Großbritannien den Wähler in Deutschland (oder anderswo) beeinflussen? Und wie wählt man in Deutschland überhaupt die Partei, die in Großbritannien gewonnen hat?

 

Dialogorientierte Wahlkreiskommunikation mal anders – Ein Ausschnitt aus der Kampagnenarbeit der Grünen im Rahmen der Europawahl 2009

Die Wahl für das Europaparlament steht vor der Tür. Jetzt gilt es, letzte Wählerstimmen für sich zu gewinnen. Die Kandidaten für das Europaparlament gehen deshalb gerade in der letzten Phase des Wahlkampfes mit den Wählern auf Tuchfühlung. So präsentierte sich der SPD Spitzenkandidat Martin Schulz jüngst mit Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering auf Kundgebungen in Berlin und Hamburg, aber auch das Aushängeschild der FDP, Dr. Silvana Koch-Mehrin, spricht zusammen mit Guido Westerwelle zu den Bürgern. Der direkte Kontakt vor Ort mit den Bürgern kann eigene Anhänger mobilisieren oder gar Unentschlossene bzw. nicht Informierte für die eigenen Reihen gewinnen. Zentral ist hierbei jedoch, wie effizient diese Kommunikation gestaltet ist.

Effizient im Sinne von geeigneten Themen und Settings für die jeweilige Wählerzielgruppe, die angesprochen werden soll.

Im Rahmen des Wahlkampfes für die letzte Wahl zum Europaparlamant 2004 haben vor allem die kleinen Parteien FDP und Grüne vorgemacht, wie man Wähler überzeugt, und konnten so ihre Stimmenanteile von 3 % auf 6,1 % (FDP) bzw. von 6,4 % auf 11,9 % (Grüne) erhöhen. Dabei schreiben Experten diesen Stimmenzuwachs nicht zuletzt ihren innovativen und europabezogenen Kampagnen zu.

Auch in diesem Europawahlkampf liefert die Kampagnenarbeit der Grünen wieder ein Beispiel für ambitionierten Wahlkampf, nah am Bürger. Die Grünen-Kandidatin Franziska Brantner, die als junge Politikerin vor allem ihre Zielgruppe bei den Studierenden hat, setzt in ihrem Wahlkampf auf zielgruppen- und dialogorientierte Wahlkreiskommunikation, indem sie ihre potentielle Wählergruppe direkt vor Ort „abholt“. Im Rahmen von „Europe lunches“ in Uni mensae in ihrem Wahlkreis oder Radtouren sowie „speed dating“, bei dem die Kandidatin wechselnden Fragestellern Rede und Antwort steht, präsentiert sich die Kandidatin in direkter Augenhöhe mit ihrer Wählerzielgruppe und gibt etwa Antworten auf Fragen zur Energiepolitik der Grünen in Europa oder einfach zum Wahlsystem für die Wahl zum Europaparlament. Der Wähler steht hier im Mittelpunkt und erhält ungefilterte Antworten auf seine Fragen. Das ist für die Mobilisierung und Überzeugung der jungen Wähler entscheidend, geben doch gerade die Nichtwähler in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen als Hauptgründe für ihre Stimmenthaltung „das fehlende Wissen über das EP“ oder aber „fehlende Informationen zur Wahl“ bzw. „MEP vertreten sie nicht ausreichend“ an.

Teilnahmebereitschaft an den Europawahlen

Angaben in Prozent, Quelle: Spezial Eurobarometer 299.

Der Einfluss all dieser genannten Gründe für die Stimmenenthaltung kann jedoch von Seiten der Kandidaten für die Wahl zum Europäischen Parlament durch direkten Kontakt mit den jungen Wählern minimiert werden. Sich mit kritischen Fragen auseinandersetzen aber auch direkt über die Arbeit des Europäischen Parlaments und seiner Abgeordneten zu informieren kann der Schlüssel zu einer höheren Wahlbeteiligung vor allem bei der jüngeren Wählerschaft sein. Mit ihren neuen, unkonventionellen Wahlkampfmethoden schlägt die junge Grünen-Kandidatin offensichtlich genau in die Kerbe, der es bedarf, um ihre Zielgruppe am kommenden Sonntag in die Wahllokale zu locken.

 

Das Schicksal der CSU hängt an der Wahlbeteiligung – einige Szenarien

Am kommenden Sonntag findet bekanntlich die Europawahl statt. Dass die Wahlbeteiligung dabei von entscheidender Bedeutung ist, wurde sowohl hier als auch in der breiteren Öffentlichkeit schon ausführlich diskutiert. Von besonderer Bedeutung ist die Wahlbeteiligung aber für eine Partei – die CSU. Ihr Schicksal am kommenden Sonntag hängt nämlich genau von ihr ab.
Warum? Die CSU tritt – natürlich – nur in Bayern an. Gleichwohl muss sie alleine mit ihren bayrischen Stimmen die Fünf-Prozent-Hürde überspringen, sonst ist sie zukünftig im Europäischen Parlament nicht mehr vertreten. Die Fünf-Prozent-Hürde bezieht sich dabei auf die Zahl der bundesweit abgegebenen gültigen Zweitstimmen: Fünf Prozent aller bundesweit abgegebenen gültigen Stimmen müssen ein Kreuzchen bei „CSU“ haben. Zwei Dinge sind also entscheidend für die CSU: Die Zahl der bundesweit abgegebenen Stimmen und die Zahl der für die CSU in Bayern abgegebenen Stimmen.
Der Bundeswahlleiter hat kürzlich die Zahl der Wahlberechtigten pro Bundesland veröffentlicht , demnach leben 15 Prozent der wahlberechtigten Deutschen in Bayern. Auf dieser Basis lassen sich nun einige Szenarien (samt ihrer Konsequenzen für die CSU) durchspielen:

Szenario 1: Die Wahlbeteiligung beträgt in allen Bundesländern einheitliche 43 Prozent (dem Durchschnitt von 2004)
In diesem Fall würden insgesamt 26,703 Millionen Deutsche (und 4 Millionen Bayern) ihre Stimme abgeben. Um die 5%-Hürde zu überspringen, muss eine Partei 1,335 Millionen Stimmen erhalten, was für die CSU einem Stimmenanteil von 33,4 Prozent der bayrischen Stimmen entspricht. Erreicht die CSU in Bayern 33,4 Prozent der Stimmen, ist sie drin, gelingt ihr das nicht, ist sie draußen aus dem EP.

Szenario 2: Die Wahlbeteiligung beträgt in Ländern, in denen nicht zeitgleich eine Kommunalwahl stattfindet, 33 Prozent; in Ländern mit paralleler Kommunalwahl 53 Prozent
In diesem Fall würden insgesamt 24,553 Millionen Deutsche (und 3,07 Millionen Bayern) ihre Stimme abgeben. Um die 5%-Hürde zu überspringen, muss eine Partei 1,228 Millionen Stimmen erhalten, was für die CSU einem Stimmenanteil von 40,0 Prozent der bayrischen Stimmen entspricht.

Szenario 3: Die Wahlbeteiligung beträgt in Ländern, in denen nicht zeitgleich eine Kommunalwahl stattfindet, 33 Prozent; in Ländern mit paralleler Kommunalwahl 53 Prozent, in Bayern aber wegen schönen Wetters nur 30 Prozent
In diesem Fall würden insgesamt 24,274 Millionen Deutsche (und 2,79 Millionen Bayern) ihre Stimme abgeben. Um die 5%-Hürde zu überspringen, muss eine Partei 1,214 Millionen Stimmen erhalten, was für die CSU einem Stimmenanteil von 43,5 Prozent der bayrischen Stimmen entspricht – einem Zehntelprozentpunkt mehr, als sie bei der Landtagswahl 2008 erhielt.

Es verspricht ein spannender Wahlsonntag zu werden, allen voran für die CSU.

PS: Eine andere Kuriosität im Zusammenhang mit dem Antreten der CSU bei der Europawahl ist inzwischen hier diskutiert.

 

Professoren, Grafen und Barone an der Wahlurne

Spätestens mit seinen Einlassungen zur Opel-Frage hat sich Gerhard Schröder in der deutschen Innenpolitik zurückgemeldet. Der sozialdemokratische Altmeister der Wahlkampfrhetorik wandte sich gegen Wirtschaftsminister zu Guttenberg und bedachte ihn mit der Bezeichnung „dieser Baron aus Bayern“. Damit knüpfte der Altkanzler an den Wahlkampf 2005 an, in dem er Paul Kirchhof gerne und häufig als „diesen Professor aus Heidelberg“ titulierte. Diese Rhetorik zielt offenbar darauf, an Ressentiments „der kleinen Leute“ gegen „die da oben“ zu appellieren, mit dem Ziel, die Wahlchancen des politischen Gegners zu schmälern und die eigenen zu steigern. Doch reagieren Bürger bei der Wahlentscheidung auf akademische Titel oder Adelstitel tatsächlich mit Stimmenentzug? Lassen sie solche Titel bei der Stimmabgabe kalt? Oder belohnen sie Professoren, Doktoren und Aristokraten gar mit einem Bonus?

Befunde der empirischen Wahlforschung sprechen dafür, dass akademische Titel und Adelstitel die Wahlchancen von Kandidaten nicht drastisch beeinflussen. Bei der Bundestagswahl 2005 steigerte ein Adelstitel den Stimmenanteil von Direktkandidaten um weniger als einen Prozentpunkt. In ähnlich geringem Umfang profitierten Wahlkreiskandidaten von einem akademischen Titel. Befunde zur bayerischen Landtagswahl 2003 deuten darauf hin, dass Adelige einen kleinen Malus hinnehmen mussten. Uneinheitlich sind die bayerischen Ergebnisse zu akademischen Titeln. Während ein Doktortitel den Stimmenanteil eines Bewerbers um knapp zwei Prozentpunkte steigerte, minderte ein Professorentitel die Wählerunterstützung um etwa die gleiche Marge.

Akademische Titel und Adelstitel scheinen also nicht zwangsläufig für einen durchschlagenden Wahlerfolg zu sorgen, rauben ihren Trägern aber auch nicht automatisch jede Chance auf einen großen Wählerzuspruch. So betrachtet, genügt es nicht, einem politischen Gegner das Etikett „Professor“ oder „Baron“ anzuheften, um seine Wahlaussichten zu mindern oder ihn gar politisch zu erledigen. Offenbar muss man ihm dazu auch Fehler, Versäumnisse oder abstruse Vorschläge nachweisen können. Ob das Gerhard Schröder und der SPD im Jahr 2009 mit dem Wirtschaftsminister wie im Jahr 2005 mit dem Schattenfinanzminister gelingen wird, ist ungewiss. Umso interessanter wird es sein, im Wahljahr 2009 zu beobachten, welches Bild zu Guttenbergs sich in der öffentlichen Wahrnehmung durchsetzen wird: das eines hartherzigen Marktradikalen oder das eines prinzipientreuen Hüters wirtschaftlicher Vernunft.