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Eine Träne für den Rheinischen Kapitalismus

 

Lassen Sie uns gemeinsam Abschied nehmen vom Rheinischen Kapitalismus. So haben vorzugsweise die Franzosen das Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft genannt. Andere haben dafür den etwas schrägen Begriff „soziale Marktwirtschaft“ verwendet. Auf jeden Fall galt das deutsche Wirtschaftssystem lange Zeit als ungewöhnlich erfolgreich und als so etwas wie der „dritte Weg“ zwischen dem Kapitalismus angelsächsischer Prägung und dem Sozialismus. Aus und vorbei!

Irgendwann Mitte der 90er Jahre schlichen sich die Usancen des angelsächsischen Modells in das deutsche ein und haben den Kapitalmarkt und sein Denken hoffähig gemacht. Seither krachte es ganz schön im Gebälk – die Empörung über Massenentlassungen trotz Rekordgewinne ist beredtes Beispiel. Stimmt, so etwas hat es im Reihnischen Modell nicht gegeben. Doch ich bin optimistisch: Die Anpassungskrise ist überwunden. Die deutsche Wirtschaft tickt jetzt viel stärker wie der angelsächsische Kapitalismus und dürfte schon bald wieder erfolgreich sein – nur eben anders.

Das einzige was noch fehlt, sind die Streiks. Deutschland war immer das Land in der kapitalistischen Welt, das den Arbeitskampf nicht kannte, zumindest fiel er nie ins Gewicht. Vier ganze Tage pro Jahr auf 1000 Arbeitnehmer sind im Schnitt der vergangenen zehn Jahre für einen Streik draufgegangen. In Amerika sind es 44, in Irland 78 und in Frankreich fast 100. Die Gewerkschaften hängen wohl noch der Illusion nach, es werde wieder alles wie früher. Das können sie vergessen. Die Unternehmen haben nur noch den Aktionär im Sinn. Sie können (und dürfen) nicht mehr anders. Deshalb müssen die Arbeiter sehen, wo sie bleiben.

Der nachfolgende Text ist in verkürzter Form im aktuellen Wirtschaftsteil der ZEIT (Manager ohne Moral?) enthalten. Hier ist sozusagen eine „extended version“ der Vorgänge, die sich auf der Finanzierungsseite abspielen. Es werden zum einen die Merkmale des Rheinischen Kapitalismus herausgearbeitet und beschrieben, wie die Kapitalrendite sich den normalen (angelsächsischen) Verhältnissen angepasst hat. Der Ausblick ist optimistisch. Im nächsten Jahr müsste die Arbeit wieder etwas mehr vom Kuchen abbekommen, so die Prognose.

Noch Anfang der 90er Jahre wussten Finanzvorstände von börsennotierten Unternehmen mit dem Begriff Eigenkapitalrendite wenig anzufangen. Sie war keine Steuerungsgröße, sondern floss lediglich in die Berechnung des Kalkulationszinsen für Investitionen ein. Die einzige Kommunikation, die mit den Aktionären stattfand, lief über die Höhe der Dividende. Cash flow und Shareholder value waren Fremdworte im doppelten Sinne. Denn der „Rheinische Kapitalismus“ oder die „Soziale Marktwirtschaft“, obwohl eine Spielart des Kapitalismus, unterschieden sich so grundsätzlich vom angelsächsischen Modell, dass es kaum Analogien gab.

In Deutschland spielte der Kapitalmarkt zur Finanzierung der Unternehmen keine Rolle. Die Minderheitsaktionäre, Fondsgesellschaften, ausländische Investoren hatten nichts zu melden. Dafür „übernahmen die Großbanken die Rolle des zentralen Koordinators“, sagt Reinhard H. Schmidt von der Uni Frankfurt. Sie finanzierten die Unternehmen mit Kredit, sie waren an den Industrieunternehmen beteiligt, sie saßen in so gut wie jedem Aufsichtsrat und gaben dem Management die Richtung vor. Es war ein System, das auf die Kontrollen der Insider setzte. Im Aufsichtsrat saßen alle Stakeholder, Großaktionäre, Banken, Gewerkschaften sowie wichtige Kunden und Lieferanten. Die Konflikte zwischen den Parteien wurden intern und im Kompromiss gelöst. Es war die berühmte Deutschland AG, die das Land regierte. Es war ein System, das sich durch ein besonders hohes Maß an Stabilität auszeichnete.

Ein Finanzierungssystem, das auf den Bankkredit als wichtigstes Finanzierungsmedium setzt, produziert nicht auf Teufel komm raus hohe Eigenkapitalrenditen. Denn hohe Gewinne für die Aktionäre sind nicht in erster Linie im Interesse der Banken, denen es vor allem um die langfristige Bedienbarkeit der Kredite ging. Die Bilanzierungsregeln waren natürlich an den Interessen der Gläubiger ausgerichtet. Lieber Reserven bilden als Gewinne ausweisen. So konnten die Firmen in schlechten Jahren das Ergebnis glätten, blieben zahlungsfähig – für den Zins- und Schuldendienst sowie die Dividende. Deshalb zeichnete sich der Rheinischen Kapitalismus durch eine Langfristigkeit aus, die das angelsächsische Modell nicht kennt.

Plötzliche Werkschließungen, Massenentlassungen, hektische Verkäufe von einzelnen Beteiligungen waren unnötig. Zum einen sorgte die konservative Bilanzierung dafür, Liquiditätskrisen gar nicht erst entstehen zu lassen, zum anderen gab es den Druck des Kapitalmarktes nicht, möglichst rasch die versprochene Eigenkapitalrendite zu bescheren. Und vor feindlichen Übernahmen schützten die Überkreuzbeteiligungen.

Das änderte sich Mitte der 90er Jahre. Die immer stärker in deutschen Aktien investierten ausländischen Investoren, Pensions- und Investmentfonds, verlangten eine höhere Publizität, einen besseren Schutz, eine andere Vertretung im Aufsichtsrat. Im Gegenzug stießen deutsche Großkonzerne im Ausland auf Hemmnisse, weil sie anders bilanzierten. Irgendwie schien der Rheinische Kapitalismus nicht globalisierungstauglich. Als eine der ersten Konzerne verzichtete die Deutsche Bank 1995 auf die deutschen Bilanzierungsvorschriften und nutze die gesetzliche Möglichkeit ihre Bilanz nach dem kapitalmarktorientierten Standard IAS zu erstellen. Hinzu kamen die Vorbereitungen auf einen einheitlichen europäischen Kapitalmarkt, in denen sich die Vertreter der einzelnen Länder meist nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, die Usancen des angelsächsischen Modells einigten.

Und natürlich hielt die Shareholder-value-Philosophie viele Verlockungen bereit. Die Vorstände, die sich bislang immer um einen Kompromiss mit ihrem Aufsichtsrat bemühen mussten und international bescheiden verdienten, wollten auch endlich richtig Kasse machen. Was gab es da Eleganteres, als den Aktienkurs zum allein seligmachenden Maßstab zu bestimmen, und damit nur noch die Interessen der Aktionäre, die Stimmung der Börse zu bedienen? So führten zum Beispiel die Vorstände bei Deutscher Bank und Daimler Benz erstmals im Jahr 1996 Aktienoptionen ein. Die Regierung verabschiedete ein Finanzmarktförderungsgesetz nach dem anderen, um den Kapitalmarkt aufzuwerten – auch weil sie große Privatisierungen plante wie die Telekom. 1998 durften Unternehmen zum ersten Mal eigene Aktien zurückkaufen, und bekamen so die Möglichkeit zu schrumpfen. 2001 wurde das Übernahmegesetz verabschiedet, das klar regelt, wie in Deutschland ein börsennotiertes Unternehmen aufgekauft werden darf.

Zur selben Zeit wurde die Stellung der Banken im deutschen Modell geschwächt. Im Finanzministerium hatten während der Regierung von SPD und Grünen, die Kapitalmarktfreunde die Oberhand. „Die Vorstellung, dass Banken in der Corporate Governance keine Rolle spielen sollten, fing mit der ersten Regierung Schröder an“, sagt Schmidt von der Uni Frankfurt. Das Gesetz, das die Deutschland AG in die Auflösung schickte, war das Geschenk der Steuerfreiheit für Beteiligungsverkäufe des Ex-Finanzminister Eichel. Damit brachen die Schutzwälle. Der anonyme Aktionär hatte sich auch in Deutschland von der untersten Hierarchiestufe ganz nach oben gearbeitet.

Vollends zerbarst das System des Rheinischen Kapitalismus in den Nachwehen des Börsencrashs zur Jahrtausendwende. Die Banken, durch die Vorbereitung auf die neue Regulierung Basel II bereits geschwächt, schlitterten 2002 und 2003 nur knapp an einer Krise vorbei. Derart in Not zogen sie sich aus der günstigen Finanzierung vieler Firmen zurück und gaben ihre herausgehobene Stellung auf. Mit dramatischen volkswirtschaftlichen Folgen: „Plötzlich wurde die geringe Rendite auf das eingesetzte Kapital zum Problem“, sagt Dirk Schumacher, Deutschlandschefvolkswirt von Goldman Sachs. Nach seinen Berechnungen lag die gesamtwirtschaftliche Kapitalrendite im Jahr 2000 um rund drei Prozentpunkten unter der in der EU. Zur Steigerung der Rendite stoppten die Vorstände die Investitionen, gingen auf Konfrontation mit den Gewerkschaften und drückten die Lohnkosten wo irgend möglich, durch unbezahlte Mehrarbeit, weniger Pausen und Urlaubstage sowie die Streichung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Das letzte konstituierende Element des alten Systems, die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeit und Kapital, war dahin. Die Banken ihrerseits verlangten höhere Kreditzinsen. Nach Schumacher’s Berechnungen stiegen die Kreditzinsen für Unternehmen in Deutschland seit 2000 – obwohl die Europäische Zentralbank zur selben Zeit die Notenbankzinsen kräftig gesenkt hatte.

Diese Anpassungskrise des alten Finanzierungssystems an das neue, angelsächsische lässt sich in der Verteilung zwischen Lohn- und Gewinneinkommen ablesen.

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Seit fünf Jahren steigt der Anteil der Gewinne am Volkseinkommen und sinkt der Anteil der Löhne – nur so steigt die Kapitalrendite. „In Frankreich gab es diese krasse Umverteilung trotz Globalisierung, trotz China und Osteuropa nicht“, sagt Sylvain Broyer, Deutschlandchefvolkswirt bei der französischen Investmentbank Ixis. Die stagnierenden Lohneinkommen lasten auf dem Konsum und damit auf dem Wachstum.

Doch es mehren sich die Anzeichen, dass die Anpassungskrise überstanden ist. Die deutsche Kapitalrendite liegt inzwischen höher als im Rest der EU. Die deutschen Unternehmen samt großer Teile des Mittelstandes sind „äußerst wettbewerbsfähig“, sagt Norbert Irsch, Chefvolkswirt der KfW und verweist auf die steigenden Marktanteile am internationalen Handel, was keinem anderen Industrieland in den letzten Jahren gelang. Selbst Michael Hüther, der Chef des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft macht sich um die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen keine Sorgen mehr. „Wir bekommen aus dem Unterholz der Volkswirtschaft gute Signale.“ Der begonnene Investitionszyklus werde sich 2006 fortsetzen und auch am Arbeitsmarkt könnte es zur Trendwende kommen. Es gebe zwar immer noch weniger Unternehmen, die nächstes Jahr einstellen statt entlassen wollen. Aber „der Saldo ist der geringste seit Beginn des Jahrtausends“, so Hüther. Optimistisch stimmt Irsch auch das Kreditneugeschäft der Banken und Sparkassen. Es hat sich nach Schätzungen der KfW im dritten Quartal erstmals stabilisiert, nachdem es seit Anfang 2002 Quartal für Quartal gesunken ist.

Und selbst die Aktieninvestoren, die neuen Herren in den deutschen Unternehmen, setzen wieder auf Expansion. Laut der Fondsmanagerumfrage von Merrill Lynch, hat im November erstmals die Mehrzahl der befragten 300 internationalen Vermögensverwalter verstärkten Investitionen das Wort geredet. (siehe auch „Vorstandschefs, hört auf die Investoren“) Damit ging eine 15monatige Phase zu Ende, in der die Investoren vor allem eins sehen wollten: Geld. Der Cash flow sollte für Aktienrückkäufe und Dividendenerhöhungen eingesetzt werden, hieß es seit August 2004.

Wenn wieder investiert wird, dürfte auch die Arbeitslosigkeit zurück gehen – und damit dürfte sich auch die Umverteilung von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen ihrem Ende nähern. Bereits in den nächsten Tarifverhandlungen erwartet Ralf Zimmermann, Aktienstratege beim Bankhaus Sal. Oppenheim, dass die Gewerkschaften unterm Strich etwas höhere Abschlüsse durchsetzen können als in den vergangenen Jahren. „Waren es früher 1,5 Prozent Lohnsteigerung für 18 oder 24 Monate, könnten es nächstes Jahr 2,x für nur noch zwölf Monate werden.“ Und auch Schumacher glaubt, dass sich die krasse Umverteilung des Jahres 2005 sich nicht wiederholt. Nach seinen Schätzungen haben sich dieses Jahr die gesamtwirtschaftlichen Profite um 7 Prozent erhöht, während die Lohnsumme um 0,3 Prozent zurückgegangen ist. Für die nächsten zwei Jahre sagt es 4,2 und 3,3 Prozent für die Gewinneinkommen voraus und 1,9 sowie 2,4 Prozent für die Lohneinkommen.

Damit bleibt das Kapital weiter im Vorteil, aber die Arbeit partizipiert wieder am Zuwachs des Volkseinkommens.