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Ein modernes Inflationsziel für die EZB

 

Die Europäische Zentralbank trägt seit acht Jahren Verantwortung für die Gemeinschaftswährung Euro – und verfehlt seit sieben Jahren ihr Inflationsziel. Das ist auf den ersten Blick ziemlich blamabel für eine Notenbank, die erstens unabhängig ist und zweitens nur einen Auftrag hat, nämlich Preisstabilität zu gewährleisten. Pikant, pikant: Es war die EZB selbst, die sich das Ziel „unter zwei Prozent Inflation“ verordnet hat. Keine EU-Kommission, kein Parlament und auch kein Ministerrat hat diese niedrige Inflationsrate verlangt.

Der Fall ist klar: „Setzen! Sechs!“, ist das Einzige, was man den Frankfurter Währungshütern zurufen möchte. Doch selbst mein Kollege Patrick Welter, der Oberfalke unter uns EZB-Beobachtern von der schreibenden Zunft, hat Mitleid. Unter der Überschrift „Zu viel“ kommentierte er am Donnerstag in der FAZ: „Die Verbraucherpreise in der Europäischen Währungsunion sind im vergangenen Jahr um 2,2 Prozent gestiegen. Angesichts der kräftigen Verteuerung von Öl und Energie, gegen die Notenbanker machtlos sind, ist das für die EZB kein schlechtes Ergebnis. Aber auch kein gutes …“

Zieht man den Preisanstieg für Energie und Nahrungsmittel ab, gelangt man zur Kernrate der Inflation. Und die lag im vergangenen Jahr nur bei 1,4 Prozent (wie übrigens schon die vergangenen Jahre). Die Kernrate bildet den unterliegenden Inflationstrend besser ab, weil die Preise für die schwankungsanfälligen Güter Energie und Nahrungsmittel mehr vom Wetter abhängen als von Veränderungen der Nachfrage.

Und wer es ganz genau nimmt, müsste eigentlich auch noch die administrierten Preiserhöhungen aus den Verbraucherpreisen herausrechnen, denn dafür kann die Notenbank genauso wenig wie für das Wetter. Dann sähe jeder, dass Inflation, ein echter dynamischer Preisauftrieb in Euroland nicht existent ist – und die EZB eine viel zu restriktive Geldpolitik betriebe. Administrierte Preiserhöhungen sind etwa die Mehrwertsteuererhöhung oder höhere Tabaksteuern, also alles, womit die Politik die Preise im Laden erhöht.

Das Fatale an dem zu engen Inflationsziel von „unter zwei Prozent“, das inzwischen in „unter, aber nahe zwei Prozent“, also in 1,9 Prozent, umdefiniert worden ist, ist die Verbindlichkeit. Welter schreibt in seinem Kommentar, dass die permanenten Verfehlungen an der Glaubwürdigkeit der EZB kratzten. Das ist natürlich Kappes. Ein Blick auf die Inflationserwartungen am Kapitalmarkt lehrt das Gegenteil. Seit Jahren liegen die Inflationserwartungen fest verankert zwischen 1,9 und zwei Prozent. Perfekt. Das eigentlich Fatale ist, dass die Notenbanker so denken wie mein Kollege Welter. Für sie ist es eine Schande und sie versprechen wie unlängst Jürgen Stark, der für die Volkswirtschaft verantwortliche EZB-Rat, dass die EZB noch wachsamer sein müsse.

Noch wachsamer heißt, noch restriktiver. Daher mein Vorschlag an die Herren EZB-Ratsmitglieder: Wählt Euch ein modernes Inflationsziel wie es die Bank of England hat: Nehmt zwei Prozent als Ziel und legt einen Korridor herum, am besten von einem Prozentpunkt, von mir aus auch von 0,5 Prozentpunkten. Dann hätte die EZB in den vergangenen sieben Jahren hervorragende Arbeit geleistet und wäre vielleicht sogar ein wenig lockerer zu Werke gegangen – mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze wären der Lohn gewesen.
Am allerbesten gefällt mir der englische Weg: Dort ist die Notenbank zwar auch unabhängig, aber ihr Inflationsziel bekommt sie von der Politik vorgegeben. Erfüllt sie es nicht, muss sie sich per Brief beim Finanzminister erklären. Und raten Sie mal, welches Inflationsziel die Bank of England verfolgen muss? Zwei Prozent plus/minus einen Prozentpunkt.

Wie ist die EZB zu ihrem asymmetrisch, restriktiven Ziel gekommen? Im stillen Kämmerlein saßen ein paar Technokraten. Wir schrieben das Jahr 1998. Dummerweise war die Inflation in diesem Jahr in Europa außergewöhnlich niedrig (Der Ölpreis lag bei zehn Dollar, der Dollar war sehr fest). Die Verbraucherpreise lagen knapp über einem Prozent. Da haben sich die Bürokraten einfach nicht getraut, ein sinnvolles und modernes Ziel anzupeilen. Sie fürchteten eine negative Presse. Ja, und dann haben sie „unter zwei Prozent“ als Losung ausgegeben und hielten sich schon für mutig!

Unter diesem „Mut“ leidet Euroland noch heute. Denn Kapitalismus braucht Dynamik, braucht auch ein bisschen Inflation, das ist das Schmiermittel. Wer das Schmiermittel zu knapp hält, bremst die Volkswirtschaft.

Ein neues Inflationsziel muss her, dann darf die EZB von mir aus auch total unabhängig bleiben. Ansonsten werde ich Franzose und plädiere wie Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal für weniger Unabhängigkeit.