Sollte auf meine alten Tage mein mühsam angeeigneter Zynismus in Frage gestellt werden? Suchen Anfälle von wirtschaftspolitischer Planung die Bundesregierung heim? Vernunft gar dort, wo man sie zuletzt vermutet, im Wirtschaftsministerium? Diese Fragen und Zweifel kamen mir, als ich am Samstag auf „Spiegel-Online“ eine Nachricht las, deren Überschrift lautete: „Glos zimmert Notprogramm gegen Konjunkturkrise“.
Der Text der Meldung war kurz. Er handelte davon, dass die Konjunkturprognose des Wirtschaftsministeriums für das laufende Jahr ein weiteres Stück reduziert wird, auf 1,8 Prozent. Das ist eindeutig kein Aufschwung mehr, besonders wenn man einkalkuliert, wie Dieter Wermuth mir und den anderen Herdentrieb-Lesern vor kurzem erklärt hat, dass das vermutlich noch starke Wachstum Ende 2007 einen Wachstumsüberhang 2008 hervorruft, der sich wahrscheinlich auf fast 1 Prozent beläuft. Solche statistischen Zahlenspielchen haben Sachverständigenrat und Konjunkturabteilung im Wirtschaftsministerium auch drauf. Das heißt im Klartext: Glos‘ Leute rechnen mit nur knapp 1 Prozent Wachstum in diesem Jahr.
Das ist die schlechte Nachricht, die noch schlechter wird, wenn man bedenkt, dass die Herde der Konjunkturforscher erst vor vier Monaten angefangen hat, die Prognosen zurückzunehmen. Solche Trends halten gemeinhin an. Ich wette (nur weil beim Herdentrieb gern gewettet wird), ich vermute also, dass die Wachstumsprognosen für Deutschland in weiteren vier Monaten auf 1 ¼ Prozent in der Überschrift und mit Überhangsrechnung auf unter einem halben Prozent lauten. Die gute Nachricht in der schlechten ist der kühle Realismus in den Reihen der Bundesregierung, die schneller als die meisten Bankenvolkswirte oder gar die privaten Wirtschaftsforschungsinstitute erkennen, dass die Konjunktur gekippt ist.
Wenn dann noch stimmt, was der Spiegel schreibt, dass Minister Michael Glos genau für den Fall, dass meine Vermutung eintrifft, ein „Hilfspaket für die Konjunktur entwerfen“ lässt. Dann wäre mein Glück im konjunkturellen Unglück fast vollkommen. Das in Deutschland von allen Bundesregierungen seit 1982 vertretene ultraorthodoxe unglaublich dumme Verbot, Konjunkturpolitik zu betreiben, wäre endlich gebrochen. Vielleicht ist Michael Glos der richtige Mann, um dieses Tabu zu brechen. Er erzählt vor laufender Kamera gern neoliberale Glaubenssätze, als wären es Volksweisheiten. Vielleicht fällt es den ordnungspolitischen Sittenwächtern gar nicht auf, wenn der Wirtschaftsminister plötzlich Wirtschaftspolitik betreibt.
Und ob es auffällt! Ich hatte diese Sätze gestern, am 15. Januar als hoffnungsfrohes Entrée für den Herdentrieb kaum formuliert, da hatte Frau Merkel den guten Glos schon zurückgepfiffen. Auch ihm wird kein Abweichen von der Orthodoxie gestattet. Der ausgeglichene Staatshaushalt hat Priorität. Es wird in diesem Land Wirtschaftspolitik nicht geben, und ich wäre besser Zyniker geblieben.