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So wird 2008 – bestimmt

 

Eigentlich wollte HERDENTRIEB heute die Prognosen für 2008 vorstellen. Aber daraus wird nichts. Lag es daran, dass Dieter Wermuth und ich uns nicht zum Essen verabredet haben, sondern jeder ganz allein in die Glaskugel geglotzt hat? Lag es an Dieters häufigen Reisen ins boomende Russland und nach Asien, wo es nicht weniger boomt, und meinen S-Bahn-Fahrten ins triste Frankfurt? Dieter ist halber Bulle, ich bin ganzer Bär. So kommen wir nicht überall zusammen. Deshalb gibt’s dieses Mal keine ganz einheitliche HERDENTRIEB-Prognose, denn an drei von zehn Punkten gehen Dieters und meine Wetten in verschiedene Richtungen. Sorry. Auf jeden Fall können wir uns später rühmen, richtig gelegen zu haben.

Die spannenden Fragen für 2008 lauten: 1. Greift die Kreditkrise von der monetären Sphäre in die reale über? 2. Gelingt der Weltwirtschaft die Abkopplung von Amerika? 3. Hat die langandauernde Phase der Disinflation (beginnend Anfang der 80er Jahre) ausgedient und kommt es nun wieder zu ansehnlichen Inflationsraten?

Während Dieter die erste Frage mit Jein beantwortet, gibt es von mir ein klares Ja. Dieter glaubt, dass die Kreditkrise in Amerika Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat, nicht jedoch im Rest der Welt. Sowohl Euroland, Japan als auch die wichtigsten Schwellenländer sind seiner Meinung nach finanziell kerngesund und werden nur am Rand von der amerikanischen (und britischen) Finanzkrise betroffen sein. Ich kann mir dagegen nicht vorstellen, dass der Stress im Bankensystem hierzulande spurlos an der Kreditvergabe vorüber geht und damit nicht bremsend auf die Investitionstätigkeit und die Konsumausgaben in Euroland wirken wird.

Auch bei der zweiten Frage sind Dieter und ich auseinander. Er schaut auf die jüngsten Daten und hält eine Abkopplung des Rests der Welt von den rezessiven USA für wahrscheinlich. Ich glaube überhaupt nicht dran. Wenn es in Amerika zu einer Rezession kommt, dann hört der Spaß auch hier auf. Es wird nicht so sein wie früher, dass, wenn Amerika einen Schnupfen bekommt, der Rest der Welt postwendend von einer schweren Grippe befallen wird. Aber schnupft Amerika, werden wir nicht zu Hochleistungen fähig sein.

Bei der dritten Frage stimmen Dieter und ich überein. Die große Inflation steht uns nicht bevor. Schwächt sich das Weltwirtschaftswachstum ab, geraten auch die Energiepreise unter Druck. Und von den Löhnen geht nach wie vor kein inflationärer Druck aus.

Hier unsere zehn Wetten, drei davon, wie gesagt mit Dissens. Ich widerspreche beim Dax, Dollar und dem Wachstum in Deutschland.

  

1. In den USA kommt es zu einer Rezession

Die Voraussetzungen für eine Rezession in den USA sind gegeben, also für einen Rückgang des realen BIP, der mindestens zwei Quartale lang anhält (Quartal gegen Vorquartal, saisonbereinigt):

> Die Hauspreise sinken, was einen negativen Vermögenseffekt auslöst und die Beleihung von Immobilien für Konsumzwecke sehr erschwert.

> Die Konditionen für die Kreditvergabe haben sich deutlich verschärft.

> Die Inflationsrate steigt wegen der Ölpreisexplosion, des schwachen Dollars und der Verteuerung der Nahrungsmittel fast so rasch wie die verfügbaren Einkommen. Das real verfügbare Einkommen nimmt also immer langsamer zu, was den Konsum bremst.

> Die Situation am Arbeitsmarkt hat sich seit einigen Wochen rapide verschlechtert.

> Die Haushalte sind stark verschuldet und müssen ihre Bilanzen durch Sparen wieder ins Lot bringen.

> Insgesamt wird der private Konsum nur noch sehr langsam expandieren.

> Die Gewinne der Unternehmen werden auch im vierten Quartal zurückgehen, so dass es möglicherweise auch bei den Unternehmensinvestitionen jetzt zu einem Rückgang kommen wird.

> Die Nettoausfuhren werden zwar kräftig steigen, das wird aber nicht reichen, die Schwäche des Konsums auszugleichen – auf ihn entfallen 72 Prozent der Gesamtnachfrage.

  

2. Der Ölpreis wird auf 70 Dollar/Barrel fallen

Wegen der Abschwächung des Wirtschaftswachstums lassen sich die hohen Rohstoffpreise nicht halten. Sie sind in den vergangenen Jahren mit einer um das Vier- bis Fünffache höheren Zuwachsrate als das globale nominale BIP gestiegen. Sparprozesse und Substitutionen tragen ebenfalls zu einer Verlangsamung der Nachfrage nach Öl bei. Eine wichtige Annahme ist allerdings, dass es zu keinen großen politischen Krisen im Nahen oder Mittleren Osten kommt.

  

3. Die EZB wird den Refinanzierungssatz auf 3,5 Prozent senken

Die Inflationsrate Eurolands wird im Verlauf des Jahres durch den Rückgang der Rohstoffpreise, den starken Euro sowie günstige Basiseffekte erstaunlich rasch zurückgehen. Von den Löhnen droht keine Gefahr für die Inflation, da die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer wegen der hohen Arbeitslosigkeit, der Globalisierung und der Euro-Aufwertung schwach bleiben wird. Vorläufig muss die EZB allerdings noch Vorschläge der deutschen Ratsmitglieder abwehren, angesichts einer aktuellen Inflationsrate von rund 3 Prozent die Zinsen zu erhöhen. Der EZB wird die Entscheidung, die Zinsen zu senken, dadurch erleichtert , dass die Fed die Funds Rate von heute 4,25 Prozent auf 3,5 Prozent oder weniger zurücknehmen wird.

  

4. Schwaches US-Wachstum treibt den Euro auf $1,60

Da die amerikanische Inlandsnachfrage schwächelt, ist eine weitere Abwertung des Dollars unumgänglich, wenn eine Rezession vermieden werden soll. Da sich das Leistungsbilanzdefizit immer noch auf 5,5 Prozent des BIP beläuft, ist auch von dieser Seite her ein schwächerer Dollar angesagt. Die dringend gebotene Umschichtung von der Inlandsnachfrage zur Auslandsnachfrage lässt sich am leichtesten durch eine Anpassung der relativen internationalen Preise, also der Wechselkurse, erreichen. Eine Abwertung ist leichter zu verkraften als eine Rezession.

Die Inflationsgefahren, die von einem schwachen Dollar ausgehen, werden kompensiert durch die preisdämpfenden Effekte der sinkenden Kapazitätsauslastung und der steigenden Arbeitslosigkeit. Die Inflation ist nicht die größte Sorge der amerikanischen Wirtschaftspolitik. Schließlich liegt die sogenannte Kernrate immer noch nur knapp über 2 Prozent.

Die Alternativen zum Euro sind allesamt nicht sonderlich attraktiv: Der Yen wegen der nach wie vor sehr niedrigen japanischen Zinsen – ähnliches gilt für den Schweizer Franken -; der Renminbi wegen der Kapitalverkehrskontrollen und des unterentwickelten Geldmarkts, und das Pfund wegen der zunehmend schwächeren britischen Wirtschaft. Der Euro ist nicht mehr unterbewertet. Vermutlich ist er sogar bereits überbewertet. Dennoch steht uns die für Wechselkurse typische Übertreibungsphase erst noch bevor.

Hier gibt’s Einspruch von Heusinger: Der Dollar wird Ende 2008 bei 1,40 Dollar/Euro notieren.

Warum? Weil das Leistungsbilanzdefizit sich schon im alten Jahr gebessert hat, sprich sich nicht mehr ausgeweitet hat, sondern kräftig sinkt! Die bislang erfolgte Abwertung hat also schon dafür gesorgt, dass sich das Ungleichgewicht langsam abbaut. Wenn dann Amerika auch noch in die Rezession schlittert und der Rest der Welt halbwegs wächst, schrumpft es weiter.

Mein Hauptgrund ist jedoch fundamentaler Natur: Der Dollar ist gegenüber dem Euro massiv unterbewertet. Der gemäß Kaufkraftparität ermittelte Kurs liegt irgendwo bei 1,10 Dollar je Euro und nicht bei 1,47! Deshalb dürften erste kluge Spekulanten allmählich Positionen im Dollar aufbauen. Ich schließe ein Überschießen nicht aus, aber das dürfte vor 1,60 stoppen – ganz gleich, ob mit oder ohne Interventionen.

  

5. Das Pfund wird unter 0,80 Euro fallen und Frankreich lässt England links liegen

Die britische Wirtschaftspolitik hat nur noch einen Pfeil im Köcher: die Zinspolitik. Da die Hauspreise jetzt sinken, beginnt der wichtigste Konjunkturmotor, der Immobilienmarkt, zu stottern. Hoch verschuldet sind die Haushalte ohnehin. Da das staatliche Defizit trotz Hochkonjunktur bei über 3 Prozent des BIP liegt, kann die Finanzpolitik nicht mehr stimulierend eingreifen. Niedrigere Zinsen, unter Inkaufnahme einer schwächeren Währung, sind die wichtigste kurzfristig wirksame Alternative. Da die Inflationsrate nur 2,1 Prozent beträgt, dürfte das Risiko begrenzt sein, dass die Inflation außer Kontrolle gerät. Das schwächere Pfund hat im Übrigen zur Folge, dass das französische Sozialprodukt das britische übertrifft und Frankreich damit wieder auf den zweiten Platz in Europa vorrückt.

  

6. Der DAX wird am Jahresende 2008 bei 9.500 liegen

Das impliziert noch einmal eine Gewinnsteigerung von mindestens 15 Prozent. Vermutlich werden die deutschen Löhne schneller steigen als bisher, aber selbst wenn sich die durchschnittliche Zuwachsrate der tariflichen Stundenlöhne (zuletzt 1,3 Prozent im Oktober gg. Vj.) kräftig erhöhen sollte, wie es nicht nur von der SPD gefordert wird, steigen die Unternehmensgewinne voraussichtlich erneut viel rascher. Angenommen die Löhne nehmen um 3 Prozent zu und die Inflationsrate sinkt auf 2,3 Prozent, dann gäbe es bei den Reallöhnen erstmals seit Jahren zwar eine positive Zuwachsrate, sie läge aber immer noch unter der voraussichtlichen Zuwachsrate des realen Sozialprodukts. Dadurch verschiebt sich die Einkommensverteilung erneut zugunsten der Kapitaleinkommen.

Dabei ist im Übrigen fraglich, ob die Gewerkschaften tatsächlich so viel an Verhandlungsmacht gewonnen haben, dass sie 3 Prozent durchsetzen können. Das Damoklesschwert der Jobverlagerung ins Ausland hängt immer noch über ihnen. Angesichts der kräftigen Zunahme der Beschäftigung (zur Zeit 1,7 Prozent gg. Vj.) sollten sie sich allerdings nicht so viele Sorgen um ihren Arbeitsplatz machen. Wenn Arbeiter und Angestellte mehr ausgeben können, und das auch tun, sichert das in der gegenwärtigen Situation nicht zuletzt die Gesamtnachfrage und damit ihren Arbeitsplatz. Da nicht auszuschließen ist, dass der feste Euro doch noch Spuren hinterlassen wird, sowohl beim Export als auch beim Import, passt eine expansivere Inlandsnachfrage ins Bild. Das ist genau das, was der Arzt – und die internationalen Organisationen – heute verschreiben würden.

Der Leistungsbilanzüberschuss beträgt fast 6 Prozent des BIP – so gefährdet kann die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen also nicht sein. Höhere Lohnsteigerungen sind sowohl verkraftbar als auch überfällig.

Einspruch von Heusinger: Ich erwarte dieses Jahr keine steigenden Aktienkurse, weder in Amerika noch in Euroland. Deutsche Aktien mögen im fallenden Markt wieder Outperformer sein, also weniger abgeben als der Rest, aber fallen werden auch sie. Meine ultimative Dax-Wette kommt in den nächsten Tagen!

  

7. Der Standard & Poor’s 500 wird in diesem Jahr 10 Prozent verlieren

Der entscheidende Punkt ist, dass die Gewinne der US-Unternehmen sowohl im dritten als auch, verstärkt, im vierten Quartal rückläufig waren und es ganz danach aussieht, als würde sich der Rückgang im Verlauf des neuen Jahres fortsetzen.

Bisher waren vor allem Werte betroffen, die mit der Immobilienkrise oder dem Finanzsektor zu tun hatten. Die Realwirtschaft insgesamt ist als Nächstes dran, wobei sich die Multinationalen und die Exporteure gut halten dürften, während alle Werte, die von der Inlandskonjunktur abhängen, weiter leiden werden. In normalen Nachkriegsrezessionen sind die Gewinne von der Spitze bis zum Tiefpunkt um 15 Prozent gesunken, und die Kurse real um 20 Prozent. Das muss natürlich nicht innerhalb eines Jahres geschehen.

Kann es überhaupt sein, dass der Dax steigt, während der S&P fällt, so wie es Dieter vorhersagt? Ihm ist klar, dass es höchst ungewöhnlich ist. Bekanntlich ist die Korrelation zwischen den beiden nicht mehr so hoch wie einst, sie liegt aber immer noch bei über 50 Prozent und ist positiv. Korrelationen können auf Kausalitäten hinweisen, sie müssen es aber nicht. Ich dagegen glaube nicht an diese krasse Abkopplung.

  

8. Deutsches BIP nimmt real um 2,3 Prozent zu

Das klingt ebenfalls nicht sehr wahrscheinlich. Wir befinden uns gerade in einer Phase, in der die Prognosen zurückgenommen werden. 1,8 Prozent scheint augenblicklich der Konsens zu sein. Aus den folgenden Gründen könnte mehr herauskommen:

> Die Investitionen waren bislang nicht sonderlich dynamisch; angesichts guter Gewinne, weiter zunehmender Kapazitätsauslastung und stärkerer Lohninflation liegt es nahe, hier eine Schippe draufzulegen; die Auftragslage könnte zudem besser kaum sein; der starke Euro hat noch keine Spuren hinterlassen – vermehrte Ausgaben für Kapitalgüter waren in der Vergangenheit eigentlich immer das Mittel, mit dem die Unternehmen den Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit ausgeglichen hatten.

> Da das vierte Quartal 2007 offenbar sehr gut ausgefallen ist (siehe die erneut sehr guten Arbeitsmarktzahlen im Dezember), gehen wir mit einem sogenannten Überhang von gut einem Prozent ins neue Jahr; das heißt, selbst wenn das BIP von nun an stagniert, wird das BIP 2008 seinen Vorjahrestand um ein Prozent übertreffen; da sehen 2,3 Prozent nicht sonderlich ehrgeizig aus.

> Der Auftragseingang im Verarbeiteden Gewerbe hat in den drei Monaten bis Oktober seinen Vorjahresstand real um nicht weniger als 6,8 Prozent übertroffen. Bei den Auftragseingängen aus dem Ausland, über die man sich wegen des Wechselkurses eigentlich Sorgen machen sollte, waren es sogar 10,8 Prozent – was will man mehr? In den Zahlen ist jedenfalls noch nichts von einer echten Wachstumsabschwächung zu sehen.

Einspruch von Heusinger: Der Überhang sieht in der Tat gut aus, doch angesichts schwächerer Weltwirtschaft und nach wie vor sinkenden Reallöhnen plus teureren Krediten vermag ich an 2,3 Prozent nicht zu glauben. Ich bleibe bei meiner Wachstumswette von 1,5 und darunter.

  

9. Die Arbeitslosenquote fällt im Jahresdurchschnitt auf 7,6 Prozent

Das ergibt sich unmittelbar aus der Prognose des Wirtschaftswachstums und ist daher nicht weiter überraschend oder ehrgeizig. Im Jahr 2006 lag die Quote noch bei 10,8 Prozent, im vergangenen Jahr bei 9,0 Prozent. Mit einigem Glück könnten wir am Jahresende saisonbereinigt sogar bei 7,0 Prozent landen.

  

10. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen geht auf 3,7 Prozent zurück

Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: den Rückgang der Inflation und der Inflationserwartungen durch den festen Euro und die voraussichtlich wieder rückläufigen Rohstoffpreise, die Bedeutung des Euro – und besonders der deutschen Assets – als Safe Haven sowie die Aussicht, dass die EZB in der zweiten Jahreshälfte die Zinsen senken wird.