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Geschockte Verbraucher

 

Die Globalisierung hat in den letzten Jahren in allen industrialisierten Volkswirtschaften dazu geführt, dass der Anteil der Arbeitseinkommen am Volkseinkommen deutlich gesunken ist. Für die Verbraucher waren das schwierige Zeiten. Es stehen aber wohl noch schwierigere bevor, weil die Explosion der Energiepreise die Kaufkraft erneut reduzieren wird, und zwar zugunsten der Produzenten und Verteiler von Öl, Gas und Strom. Wenn die Verbraucher nicht mitziehen, sind alle Prognosen, die darauf hinauslaufen, dass sich das Wachstum der Weltwirtschaft zwar abschwächen, nicht aber in eine Rezession münden wird, das Papier nicht wert, auf dem sie veröffentlicht werden. Ohne die Ausgaben der privaten Haushalte in den Industrieländern geht nichts.

Stephen Roach von Morgan Stanley hat am vergangenen Donnerstag beim Brussels Economic Forum 2008 darauf hingewiesen, dass auf China und Indien zwar 38 Prozent der Weltbevölkerung entfällt, dass der private Verbrauch dieser beiden Länder aber nur ein Sechstel des US-amerikanischen Verbrauchs ausmacht. Das Bruttoinlandsprodukt der BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) beträgt zu heutigen Wechselkursen rund €4.200 Mrd. und liegt damit bei gerade einmal 23 Prozent des kombinierten BIP der USA und Eurolands. Die Schwellenländer treiben die Rohstoffhausse, sie sind aber viel zu klein, als dass sie die Konjunktur der Welt retten könnten.

Das Wachstum Chinas und Indiens wird zudem immer noch vor allem von Exporten und Investitionen getrieben; die Nachfrage nach den Gütern und Dienstleistungen anderer Länder ist nach wie vor schwach, außer natürlich der Nachfrage nach Rohstoffen aller Art. Da die Inflation angesichts des robusten Wachstums und der stark verteuerten Einfuhren zuletzt deutlich angezogen hat, nehmen die Realeinkommen trotz des dynamischen Wachstums nur noch langsam zu; es kommt hinzu, dass die Wirtschaftspolitik wegen der Inflationsrisiken restriktiver geworden ist. Mit anderen Worten, die Gesamtnachfrage beginnt zu schwächeln. Es ist nicht so leicht, und auch noch nicht gewünscht, von einem Wirtschaftsmodell, das auf eine unterbewertete Währung und Exporte setzt, umzuschalten auf eine Expansion, die von der Binnennachfrage getrieben ist. Herr Li und Frau Wang werden so schnell nicht Joe Sixpack und Mrs. Smith als die wichtigsten Verbraucher der Welt ablösen.

Und Euroland? Die jüngste Zuwachsrate des realen BIP von 0,7 Prozent im Vorquartalsvergleich sah ja ziemlich eindrucksvoll aus. Dennoch: es fehlen nach wie vor die Anzeichen, dass wir es inzwischen mit einem sich selbst tragenden Aufschwung zu tun haben, einem, der unabhängig von den Exporterfolgen der Unternehmen wäre. Seit Jahren nehmen die Ausgaben der Haushalte deutlich langsamer zu als das BIP insgesamt. Es hat bislang auch nicht viel geholfen, dass die Anzahl der neuen Jobs seit einiger Zeit mit Jahresraten von 1 ½ Prozent bis 2 Prozent zugenommen hat; da es sich bislang zumeist um einfache und relativ schlecht bezahlte Jobs handelte, ist die Lohnsumme insgesamt nur langsam gestiegen, so dass die normalen Leute kaum ausgabefreudiger geworden sind. Dabei schlägt die Hausse der Energiepreise immer stärker zu Buche.

Vorschläge, in der jetzigen Situation die Steuern zu senken, gelten bei den verantwortlichen Wirtschaftspolitikern geradezu als leichtfertig. Es wird hingenommen, dass die Sparquote auch hierzulande hoch bleibt oder sogar steigt. Dabei ist ein Ölkrise ohnehin dadurch gekennzeichnet, dass weltweit per Saldo mehr gespart wird: Die Förderländer geben sich zwar meist alle Mühe, ihren unerwarteten Reichtum so rasch es geht in Schlösser im Sand und große Limousinen zu verwandeln, ihre Ausgaben sind aber insgesamt so gering, dass das nicht ausreicht, den Kaufkraftverlust in den viel größeren Abnehmerländern auszugleichen. Wohin das führt, wissen wir aus der Vergangenheit.

Früher konnte man einigermaßen sicher sein, dass die US-Verbraucher den Karren rasch wieder flott machen würden. Die amerikanische Wirtschaftspolitik ist mit expansiven Maßnahmen immer schnell bei der Hand gewesen. Obwohl das auch diesmal so ist, wird die Medizin so rasch nicht anschlagen. Zum einen steckt der Wohnungsmarkt in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten: Die Preise verfallen, der Überhang an unrentablem Wohnraum ist noch nicht abgetragen, und die Banken sind bei der Kreditvergabe wegen ihrer Bilanzprobleme viel restriktiver als üblich. Der Preisverfall ist dabei vermutlich das Schlimmste, weil es auf einmal schwierig geworden ist, die Sicherheiten zu stellen, auf deren Basis neue Schulden aufgenommen werden können. Nicht nur das, da der Preisverfall weitergeht, übersteigen für immer mehr Haushalte die Hypothekenschulden den Wert ihrer Immobilien – sie sind finanziell unter Wasser, so dass ihnen nichts übrig bleibt, als erst einmal ihre Schulden abzutragen, also mehr zu sparen. Das nennt man „deleveraging“, so erlebt im Japan der neunziger Jahre. Anders als die Japaner haben die Amerikaner allerdings den Nachteil, dass ihre Ersparnisse nicht der Rede wert sind.

Dass die Beschäftigung in den USA seit fünf Monaten kontinuierlich sinkt, ist auch nicht gerade vertrauensfördernd. Last but not least: Real gerechnet stagniert dort das verfügbare Einkommen mehr oder weniger seit einem Jahr, ohne dass eine Besserung abzusehen wäre. Dass die Arbeitslosenquote noch so niedrig ist, kommt daher, dass sich immer mehr „discouraged workers“ aus dem Erwerbsleben verabschieden und so nicht mehr als Arbeitslose gezählt werden – Zähler und Nenner der Arbeitslosenquote gehen um denselben absoluten Betrag zurück, was tendenziell die Quote senkt. Eigentlich brauchen die USA angesichts der wachsenden Bevölkerung pro Monat netto 150.000 neue Jobs, nur damit die Arbeitslosenquote (bei gleichbleibender Beschäftigungsquote) unverändert bleibt.

Nach den Umfragen der University of Michigan nähert sich das Verbrauchervertrauen zur Zeit im freien Fall dem bisherigen Tiefstwert, der im Mai 1980 ermittelt wurde. Damals gab es die sogenannte double dip recession, die schwerste Rezession der Nachkriegszeit. Auch sie war durch eine Ölkrise ausgelöst worden.

Uni Michigan Consumer Sentiment May 2008

Überall also schockierte Verbraucher. Was das für die Gewinne der Unternehmen bedeutet, lässt sich an fünf Fingern abzählen. Ich sehe auf der Seite WPE auf Bloomberg, dass die befragten Aktienanalysten in ihrer üblichen Naivität erwarten, dass die Gewinne der 500 Unternehmen im S&P 500-Index im laufenden Jahr in der Summe um 52,5 Prozent über dem Wert der vergangenen vier Quartale liegen werden. Klar, die Exporte laufen wegen des niedrigen Dollarkurses und der immer geringer ausgelasteten Kapazitäten prächtig, aber erstens lässt sich das nicht ohne weiteres extrapolieren, weil überall im Ausland Wolken aufziehen, und zweitens wird letztendlich, immer und überall, für den Verbrauch produziert. Da dieser in den USA zuletzt einen BIP-Anteil von nicht weniger als 72 Prozent hatte, ist er der alles entscheidende Faktor. Ohne optimistische Verbraucher kein Gewinnwachstum – und kein Wachstum insgesamt. Das ist die Lage. Es sieht ganz so aus, als hätten sich die Analysten im Vorzeichen geirrt.