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Die Lage ist ernst

 

Nach den Zahlen für die Industrieproduktion im Dezember zu urteilen, wird das deutsche Sozialprodukt im 4. Quartal gegenüber dem 3. Quartal real und saisonbereinigt um ein bis zwei Prozent geschrumpft sein. Das bedeutet, dass es im Vorjahresvergleich zwischen 0,6 und 1,6 Prozent zurückgegangen ist.

Um die Sache mal dramatischer darzustellen – oder so dramatisch, wie sie wirklich ist: Die Industrieproduktion einschließlich Bau lag im Dezember um 12,0 Prozent unter ihrem Vorjahreswert. Der Absturz läuft seit September: Wenn man den Rückgang von August bis Dezember auf’s Jahr hochrechnet, ergibt sich eine Verlaufsrate von –33,6% (104,6/119,9 hoch drei, da vier Monate ein Drittel eines Jahres sind). Das ist ein deutlich stärkerer Rückgang als etwa in den USA (-16,0 Prozent) oder in Großbritannien (-17,6 Prozent). Auch im Vorjahresvergleich ist der Rückgang in Deutschland größer.

Bruttoinlandsprodukt und Industrieproduktion seit 1970 (qoq) - Deutschland

Die globale Rezession trifft die Länder am härtesten, die einen relativ großen Industriesektor haben. Die Nachfrage nach Dienstleistungen schwankt nicht so stark, jedenfalls wenn die Rezession nicht zu lange dauert. Das ist im Abschwung natürlich ein Nachteil, auf mittlere Sicht aber eher ein Vorteil, weil das Trendwachstum der Produktivität in der Industrie deutlich höher ist als bei den Dienstleistungen.

Die Frage ist, wie lang der Abschwung noch dauern wird. Von den Auftragseingängen her leider noch lange. Im vierten Quartal lagen diese preisbereinigt um 22,9 Prozent unter ihrem Vorjahreswert, wobei aus einem bloßen Rückgang in den letzten Monaten ein Einbruch geworden ist, genau wie bei der Produktion. Der Vergleich viertes zu drittes Quartal ergibt eine Verlaufsrate von -49,6%. Überspitzt gesagt: Es sieht so aus, als ob es nichts mehr zu tun gäbe, niemand will mehr etwas kaufen, und niemand braucht daher zu arbeiten.

Produktion und Auftragseingang in der Industrie seit 1970

Erstaunlich ist dabei, wie gut sich der Arbeitsmarkt bei alledem bisher gehalten hat. Nur wissen wir, dass der ein nachlaufender Indikator ist, das Schlimmste also noch bevorsteht. Seit Dezember steigt die Arbeitslosigkeit an – saisonbereinigt lag ihr zyklischer Tiefpunkt in den Monaten Oktober und November. Die Arbeitslosenquote war auf 7,6% gefallen, was nicht weniger als viereinhalb Prozentpunkte niedriger war als der Rekordwert, der im März 2005 verzeichnet wurde. Auch die Beschäftigung geht neuerdings zurück, wenn auch nur leicht. Im Dezember sank sie auf 40,405 Mio. und übertraf damit ihren Vorjahreswert immer noch um 0,9 Prozent, was sowohl absolut als auch im internationalen Vergleich nach wie vor ein ausgezeichneter Wert ist. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hatte bis November – einen aktuelleren Wert gibt es nicht – gegenüber dem Vorjahr sogar um stolze 1,6 Prozent (auf 27,6 Mio.) zugenommen.

Wenn die Arbeitslosigkeit allerdings in den Folgemonaten saisonbereinigt so stark anschwillt wie im Januar, was nach den Auftragseingängen zu urteilen eher als optimistisch zu gelten hat, werden wir binnen Jahresfrist 700.000 Arbeitslose mehr haben als jetzt. Dann sind wir zurück bei 4 Millionen.

Ich habe den Eindruck, dass den Wirtschaftpolitikern und auch der Öffentlichkeit nicht klar ist, was für eine Tsunami da auf uns zurollt. Gelassenheit ist ja eine Tugend, aber sie ist nur dann angebracht, wenn es Anzeichen dafür gäbe, dass die konjunkturelle Wende nicht mehr lange auf sich warten lässt.

Positiv ist sicher, dass die Realeinkommen in Deutschland wegen der rapide fallenden Inflation kräftig zunehmen. Nachdem die Verbraucherpreise von Juni bis Oktober stabil geblieben waren, sind sie seitdem mit einer Verlaufsrate von etwa 2 ½ Prozent gesunken, während die Löhne weiter steigen. Es sieht so aus, als gäbe es in wenigen Monaten ein Minus vor der Inflationsrate. Der private Verbrauch, die bei weitem größte Nachfragekomponente, könnte sich aus diesem Grund gut halten und die Konjunktur stabilisieren. Nur ist den Verbrauchern auch klar, dass die Probleme am Arbeitsmarkt Woche für Woche zunehmen – sie brauchen ja nur die Zeitung zu lesen. Aus der Sicht eines jeden Einzelnen ist es deshalb rational, sein Geld sicherheitshalber zusammenzuhalten. Für die Wirtschaft insgesamt ist das jedoch fatal.

Wo soll das Vertrauen in die wirtschaftliche Zukunft herkommen? Es hilft natürlich, dass die EZB durch immer niedrigere Zinsen das Sparen unattraktiver und das Schuldenmachen attraktiver macht, wenn aber das Preisniveau weiter so stark sinkt, wird es immer riskanter, sich Geld zu leihen. Bei fallenden Preisen nimmt die reale Schuldenlast bekanntlich ständig zu. Die EZB wird sich beeilen müssen, damit es nicht zu einer solchen Situation kommt. Noch herrscht im Zentralbankrat allerdings die Ansicht vor, dass die Haushalte und Unternehmen durch eine „überhastete“ Zinssenkung erst recht verunsichert würden. Die Zinsen steigen derweil real an und dämpfen so die Ausgabeneigung.

Die Outputlücke wird dabei immer größer. Ohne zusätzliche staatliche Programme wird es nicht gehen. Der Staat muss seine geplanten Ausgaben nicht nur aufrechterhalten, er wird sie steigern müssen. Es ist jedoch auch klar, dass seine Ausgabenstruktur deutlich anders ist als die des privaten Sektors – der Staat fährt beispielsweise weder in Ferien noch kauft er sich Kücheneinrichtungen. Er stellt Lehrer ein, lässt Straßen und Tunnel bauen und kauft Panzer. Er kann die Ausgaben der Privaten nicht eins-zu-eins ersetzen und so die Lücke füllen.

Daher sind Steuersenkungen dringend als Zusatzmaßnahme nötig, und zwar solche, die den Konsum nachhaltig stimulieren. Die Abwrackprämie wird nicht mehr als ein Strohfeuer bewirken. Danach kommt dann ein umso tieferes Loch. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Mehrwertsteuer gesenkt werden muss, und zwar für mindestens drei Jahre. Auch wenn zunächst nicht alles bei den Verbrauchern ankommen sollte, ist doch davon auszugehen, dass es dazu über kurz oder lang kommen wird. Gegen eine solche Maßnahme wird immer wieder eingewendet, dass das meiste beim Handel hängen bleiben wird und sie damit verpuffen dürfte. Abgesehen davon, dass nichts falsch daran ist, wenn auch der Handel seine Einkommenssituation verbessern kann, zieht dieses Argument nicht wirklich: Alle Unternehmen sind an einer besseren Auslastung ihrer Kapazitäten interessiert und werden mit niedrigeren Preisen um Kunden werben müssen. In den heutigen Käufermärkten wäre alles andere sehr erstaunlich.

Letzte Änderung: 10.02.2009 12:05