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Konsum hält sich, Exporte und Investitionen brechen weg

 

Die Zahlen zum deutschen Bruttoinlandsprodukt, genauer: zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, waren, was das Gesamtergebnis angeht, nicht überraschend. Das reale BIP ist im letzten Quartal des Vorjahres mit einer Verlaufsrate von 8,2% gesunken und lag damit um 1,65% unter seinem Vorjahresstand.

Für 2008 insgesamt kam es noch zu einer Zuwachsrate von 1,3%. Der zyklische Höhepunkt wurde im 1. Quartal 2008 erreicht, seitdem sinkt der Output (Y). Nach der international üblichen Definition herrscht also seit dem 2. Quartal 2008 in Deutschland Rezession.

BIP - Deutschland - 08Q4

Das war seit dem 13. Februar bekannt. Die detaillierten Zahlen, die heute früh veröffentlicht wurden, waren dann aber doch einigermaßen überraschend. Erstaunlich war vor allem, wie stabil bis zuletzt die Inlandsnachfrage war, trotz des Einbruchs der Investitionen. (Ich verwende im Folgenden nur die saisonbereinigten Zahlen der Bundesbank. Indem auf diese Weise die Wettereffekte weitgehend ausgeblendet werden, lässt sich zeigen, wie sich die zugrundeliegende Konjunktur entwickelt hat.)

Die sogenannte inländische Verwendung war gegenüber dem 3. Quartal real „nur“ um 0,1% zurückgegangen, übertraf ihren Vorjahresstand aber noch um 1,8%. Wenn man den ungewollten Lageraufbau herausrechnet, sieht es allerdings deutlich schlechter aus.

Immerhin, der reale Konsum der Haushalte (CHH) ist im 4. Quartal auch nur um 0,1% gegenüber dem Vorquartal gesunken und hat sich damit besser gehalten als beispielsweise in den USA. Wie kommt’s? Am wichtigsten war wohl, dass die Beschäftigung bis zuletzt zugenommen hat, wenn auch nur um 0,1% gegenüber dem 3. Quartal (1,1% ggü.Vj.). Die Unternehmer wollten lange nicht wahrhaben, wie ernst die Lage ist. Das zeigt sich auch daran, dass die (nominalen) Arbeitnehmereinkommen im 4. Quartal noch mit einer Verlaufsrate von 2,3% gestiegen waren und damit um 3,7% höher waren als vor Jahresfrist. Da die deutschen Verbraucherpreise seit dem 3. Quartal leicht rückläufig sind, blieb den Lohn- und Gehaltsempfängern real mehr in der Tasche, als sie das aus den Vorjahren gewohnt waren.

Privater Konsum - Deutschland - 08Q4

Der Hauptgrund waren die deutlich gestiegenen Terms of Trade. Dieser technische Begriff, der selbst den meisten Volkswirten nicht so recht vertraut ist, bezeichnet die Relation zweier Indices: der Ausfuhrpreise zu den Einfuhrpreisen. Wenn die Preise für unsere Exporte stärker zunehmen als die Preise für die Importe, oder wenn die Exportpreise steigen und die Importpreise sinken, was noch vorteilhafter ist, verbessern sich die Terms of Trade.

Anders ausgedrückt, für einen exportierten Mercedes bekamen wir im Sommer etwa 480 Fass Erdöl, gegen Ende 2008 dagegen rund 1500 Fass. Wir haben also bei gleichem Ölverbrauch, mehr Geld übrig für andere Dinge – unsere Kaufkraft hat zugenommen. Man kann es auch auf eine noch andere Weise ausdrücken: Die Preise für das, was wir produzieren (ausgedrückt im BIP-Deflator) steigen stärker als die Preise für das, was wir kaufen (also die Preise der inländischen Nachfrage einschließlich der Einfuhren).

Rohölpreis - WTI - Monatswerte

Im 3. Quartal lagen die Terms of Trade noch um 2,1% unter ihrem Vorjahreswert, im 4. Quartal dagegen um 2,0% darüber. Wir haben in außerordentlichem Maße vom Verfall der Rohstoffpreise profitiert. Wir sollten uns allerdings nicht zu sehr freuen – denn die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass Rohstoffexporteure wie Russland, Brasilien, Südafrika und die OPEC-Länder entsprechend schlechter dastehen. Sind ja unsere Kunden, wenn auch nicht die wichtigsten.

Eine andere Stütze der Inlandsnachfrage waren die Konsumausgaben des Staates (CSt), wenn auch, anders als man das angesichts des publizistischen Dauerfeuers zu den Themen Konjunkturprogramme und Staatsverschuldung erwarten könnte, eine nach wie vor ziemlich schwache. Sie hatten sich im 4. Quartal real auf dem Niveau des 3. Quartals gehalten, waren aber immerhin nicht zurückgegangen, und lagen um 2,1% über dem Stand des Vorjahres. Hoffentlich lässt der Staat in diesem Jahr seinen Ankündigungen auch einmal Taten folgen und legt eine Schüppe drauf. Heute morgen gab es ja vom Statistischen Bundesamt die Nachricht, dass die gesamte Neuverschuldung des Staates 2008 nur bei 0,1% des nominalen BIP lag. An finanziellem Spielraum fehlt es nicht! Zudem liegen die Zinsen bei zehnjährigen Bundesanleihen nur bei 3%.

Staatsverbrauch - Deutschland - 08Q4

Der größte Beitrag zum Wachstum errechnete sich im 4. Quartal übrigens durch etwas sehr Negatives: den scharfen Rückgang der realen Einfuhren (M). Sie waren gegenüber dem Vorquartal um nicht weniger als 3,6% zurückgegangen, das heißt mit einer Verlaufsrate von, spitz gerechnet, 13,5%. In der Formel für das Sozialprodukt Y = CHH + CSt + I + X – M haben die Einfuhren (M) ein negatives Vorzeichen – wenn sie also sinken, steigt der Außenbeitrag (X – M), und mit ihm das Sozialprodukt.

Freuen wir uns nicht zu früh: Wenn wir weniger importieren, können wir normalerweise auch nicht so viel exportieren. Und so war es auch: Im 4. Quartal kam es gegenüber dem Vorquartal zu einem Rückgang der Ausfuhren (X) um 7,3%, was eine Verlaufsrate von -26,2% ergibt. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Ein Glück, dass der Euro in letzter Zeit etwas zur Schwäche neigt; den Ländern des Club Med sei Dank.

Exporte - Deutschland - 08Q4

Eingebrochen sind, wie in einer richtigen Rezession nicht anders zu erwarten, die Investitionen (I): Die Ausgaben für Ausrüstungen schrumpften real mit einer Verlaufsrate von 18,3%, die für Bauten mit 5,0%. Da die Kapazitäten ohnehin ständig schlechter ausgelastet sind, ist es für Unternehmen nicht sehr sinnvoll, sie gerade jetzt zu vergrößern (das gilt nicht für die Investitionen des Staates!). Das hat natürlich unangenehme Nebeneffekte: Nicht nur dass damit keine neuen Arbeitsplätze geschaffen werden, es sinkt auch die mittelfristige Wachstumsrate der Volkswirtschaft, und bei einem Aufschwung stößt man eher an physische Grenzen, wodurch dann das Inflationsrisiko steigt. Letzteres ist zugegebenermaßen nichts, worüber wir uns heute Sorgen machen müssten. Niedrige Zinsen sind übrigens in dieser Situation das richtige Rezept, sie sind aber nicht kriegsentscheidend. Ausschlaggebend für die Schwäche der Investitionen ist der Einbruch der Nachfrage. Sie zu stimulieren muss die Priorität der Wirtschaftpolitik sein.

Ausrüstungsinvestitionen - Deutschland - 08Q4

Wie sah es im vergangenen Quartal bei der Einkommensverteilung aus? Von Ende 2000 bis Anfang 2008 ist der Anteil des Arbeitnehmerentgelts am Volkseinkommen von knapp 73% auf knapp 64½% zurückgegangen, während der Anteil der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen entsprechend zugenommen hat. Im 3. und 4. Quartal kam es infolge von rückläufigen Gewinnen – die Jahresrate betrug im Schlussquartal -29,1%! – wieder zu einem Anstieg der Lohnquote, und zwar auf 67%. Vermutlich wird sie auch in den kommenden Quartalen weiter kräftig steigen, einfach weil die Gewinne rascher auf eine Rezession reagieren als die Löhne.

Funktionale Einkommensverteilung - Deutschland

Man kann es auch aus anderer Perspektive sehen: Die Produktivität, das BIP je Erwerbstätigenstunde, war im 4. Quartal erneut gesunken. Die Löhne hatten sich dagegen weiter erhöht, so dass die Lohnstückkosten mit einer Verlaufsrate von 14,2% zunahmen. Löhne sind aus volkswirtschaftlicher Sicht der bei weitem größte Kostenblock. Da gleichzeitig die Erzeugerpreise, also die Outputpreise der Unternehmen, mit einer Rate von 4,0% gefallen sind, musste es zu einem Einbruch der Gewinne kommen. Das ist nicht gerade ein Anlass für Optimismus. Laut Ifo glauben immer weniger der Befragten an einen baldigen Konjunkturumschwung; sie werden jetzt wohl energischer als bisher daran gehen, ihre Belegschaften zu verkleinern.

Die Sparquote ist derweil auf 11,8% des Verfügbaren Einkommens gestiegen, einen Wert, der zuletzt zu Anfang der neunziger Jahre erreicht wurde. Das zeigt, dass die Leute stark verunsichert sind.

Und wo bleibt das Positive, Herr Wermuth? Ich weiß es auch nicht. Ich weiß allerdings, dass der Staat in der heutigen Lage deutlich mehr für die Nachfrage tun muss, als er bisher vorhat. Wenn das reale Sozialprodukt weiter mit einer Rate von 8% zurückgeht, was für’s Erste zu vermuten ist, lässt sich ausrechnen, wie viele Arbeitslose wir bekommen werden. In den USA visiert die neue Regierung für mehrere Jahre ein Haushaltsdefizit von jeweils 10% des BIP an. Dabei fällt der Konjunktureinbruch dort wegen der geringeren Rolle der volatilen Industrieproduktion nicht so scharf aus wie bei uns. Bitte aufwachen! Die EZB allein kann es nicht richten.