Niemand kann mir vorwerfen, dass ich zu optimistisch bin, was die Konjunktur angeht. Aber die Zahlen für die deutschen Auftragseingänge im Januar, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, haben mich doch umgehauen: real und saisonbereinigt lagen sie um sage und schreibe 35,2% unter ihrem Vorjahreswert. Dabei beschönigt das noch die Situation. Aus dem Vergleich Januar zu Juli ergibt sich eine Verlaufsrate, also eine von sechs Monaten auf ein Jahr hochgerechnete Veränderung, von –51,4%. Wenn das so weitergeht, kann bald die halbe Industrie zumachen.
Die Industrieproduktion entwickelt sich fast immer im Gleichschritt mit den Auftragseingängen, so dass wir am Donnerstag mit einem weiteren Schocker rechnen müssen. Ich schätze mal, dass es gegenüber Dezember zu einem Rückgang von mindestens zwei Prozent gekommen ist, was im Vorjahresvergleich -14,6 Prozent bedeutet. Es könnte aber noch viel schlimmer kommen. Klar ist damit auch, dass das reale BIP im ersten Quartal dieses Jahres noch einmal um mindestens zwei Prozent gegenüber dem Vorquartal schrumpfen wird und damit um 5,1% unter dem Wert vom ersten Quartal 2008 liegen dürfte. Damit sind Prognosen von minus zweieinhalb bis minus drei Prozent für das Gesamtjahr ziemlich wirklichkeitsfremd: Wir sollten uns im Vorjahresvergleich auf einen Rückgang von mehr als fünf Prozent einrichten.
Es gibt noch kein Licht am Ende des Tunnels. Dabei hat der relativ schwache Euro Schlimmeres verhindert. Auch am Arbeitsmarkt sieht es eigentlich noch gut aus, will sagen, die Leute sind nicht sonderlich verunsichert.
So erstaunlich es klingt, Deutschland ist eine Art von Konjunkturlokomotive für den Rest der Welt, bisher jedenfalls, wenn auch nur in dem Sinne, dass die Importe weniger stark zurückgehen als die Exporte. Letztere lagen übrigens im Januar real um knapp 20 Prozent unter ihrem Vorjahreswert. Der Rückgang wird sich in den kommenden Monaten allerdings noch verstärken.
Eigentlich wollte ich in dieser Woche etwas zum bevorstehenden Londoner G 20-Treffen schreiben und mich vor allem auf die Pläne für eine verbesserte globale Finanzaufsicht konzentrieren. Der Larosière-Report enthält einige gute Reformvorschläge für Euroland, insbesondere mag ich die Konzentration der Kompetenzen bei einer zentralen Behörde, dem „European Systemic Risk Council“, die bei der EZB angesiedelt sein soll oder ihr unterstellt ist. Damit wären sowohl die funktionalen als auch die nationalen Aufsichtsorgane in eine klare Hierarchie eingebunden, so dass die Transparenz im Finanzsektor viel besser wäre als heute. Zu den Aufgaben einer Zentralbank gehört ja vor allem, dass sie die Funktionsfähigkeit des Geldwesens gewährleistet. Dazu braucht sie umfassende Informationen. Es wäre zu wünschen, dass die Vorschläge, so wie sie da stehen, umgesetzt werden, auch wenn sie aus der Feder eines Mannes, oder einer Gruppe von Männern, stammen, die bis vor kurzem vor allem für mehr Deregulierung argumentiert hatten. Warum soll aus einem Saulus nicht ein Paulus werden? Oder aus Saulussen Paulusse?
So oder so, in London wird das Hauptthema die aktuelle Konjunkturlage sein. Die neue Finanzarchitektur kann warten. Die heutigen Zahlen werden auch die deutsche Seite weicher machen und sie wird den Forderungen aus dem angelsächsischen Lager nach größeren Konjunkturprogrammen weniger Widerstand entgegensetzen. Gut für Opel!
Ich bin allerdings hin- und hergerissen. Die jetzige Krise wurde ja verursacht durch das Platzen von Immobilien- und Kreditblasen in den USA, die wiederum durch langjährige Ungleichgewichte entstanden waren: In Amerika waren die Zinsen lange sehr niedrig, der Konsum boomte, damit auch die Einfuhren, der Rest der Welt, vor allem die Schwellenländer, profitierte von einem Exportboom in die USA, der durch künstlich niedrig gehaltene Wechselkurse noch befeuert wurde.
Vereinfacht gesagt, finanzierten die chinesischen Wanderarbeiter die Kreditexzesse der amerikanischen Verbraucher. Dabei schienen alle zu gewinnen: Die einen hatten Arbeit, die anderen konnten deutlich mehr konsumieren als sie produzieren mussten. China und die anderen konnten durch diese Strategie immerhin eine moderne Infrastruktur aufbauen und hunderte von Millionen von unterbeschäftigten Landarbeitern in die Weltwirtschaft integrieren. Der allgemeine Wohlstand war seit Menschengedenken nicht mehr so stark und so lange gestiegen wie seit etwa 2002
Nachdem dieses System nunmehr kollabiert, geht es darum, eine neue und belastbare Struktur der globalen Wirtschaft zu schaffen. Als erstes müsste es darum gehen, dass die Amerikaner mehr sparen, also ihre Konsumquote senken und mehr exportieren. Der Dollar hätte abzuwerten. Die Überschussländer dagegen sollten dafür sorgen, dass sie weniger sparen und exportieren, dass sie ihre Währungen aufwerten lassen und aufhören, durch den Kauf von US-Staatspapieren die amerikanischen Steuerzahler und Verbraucher zu subventionieren. Deutschland ähnelt wegen seines exportgetriebenen Wachstums den Schwellenländern und wird in der aktuellen Diskussion daher nicht zu Unrecht mit China und Japan in einen Topf geworfen.
Kurz, eigentlich müssten wir eines der größten Konjunkturpakete der Welt auf den Weg bringen; der Euro müsste sich kräftig aufwerten, und die USA müssten durch hohe Realzinsen und einen Überschuss im Staatshaushalt das Sparen fördern.
Es geht aber genau in die andere Richtung: In Amerika wird die Binnennachfrage durch Nullzinsen und ein Haushaltsdefizit von mehr als 12% des BIP angekurbelt, dass einem Hören und Sehen vergeht – dabei ist der Dollar bombenfest! -, während hierzulande der Euro abwertet, jedenfalls gegenüber dem Dollar, die EZB sich mit der Lockerung Zeit lässt und die Finanzminister aus Angst vor zu hohen Defiziten sehr vorsichtig zu Werke gehen. Immerhin scheinen die Chinesen das zu tun, was von ihnen aus makroökonomischer und globaler Sicht verlangt wird. Aber China ist immer noch de facto ein kleines Land und kann die Welt nicht retten.
Sollte Herr Steinbrück also nach London reisen und von Herrn Obama verlangen, dass seine Regierung das gigantische Konjunkturpaket rückgängig machen und die Fed die Zinsen erhöhen soll, damit wir nicht von neuem in globale Ungleichgewichte der alten Art schlittern? Das ginge schon deshalb nicht, weil dann der Dollar noch fester würde. Es wäre auch nur dann für die USA eine halbwegs akzeptable Strategie, wenn die deutsche Seite ankündigen könnte, dass sie in Zusammenarbeit mit den anderen Überschussländern Europas Staatsdefizite in der Größenordnung von 15% ins Auge fasst.
Nein, es wird so nicht laufen. Alle Regierungen und Notenbanken werden ihre nationalen Prioritäten haben und tun, was ihnen kurzfristig und aus wahltaktischen Gründen nützt, auch wenn die Welt daran zugrunde geht. Richten wir uns auf eine lange Rezession ein, und auf Deflation! Ich habe noch ein paar goldene Armbänder meiner Oma – die werde ich endlich mal verkaufen und mir dafür die eine oder andere Bundesanleihe besorgen. Leider hat mir die Oma kein Häuschen vererbt – das würde ich jetzt auch verkaufen.