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Alle sparen – wie kann der Exportweltmeister reagieren?

 

Wenn ich mir von der Bank 10.000 Euro leihen möchte, bestimmt die Bank die Konditionen, wenn die Bank mir aber bereits 100 Millionen Euro geliehen hat und ich habe Probleme mit der Rückzahlung, kann ich der Bank die Konditionen diktieren. So ist das heute mit Deutschland: als zweitgrößter Kreditgeber der Welt sind wir in der Hand der Schuldner, der Amerikaner, Briten, Spanier, Balten und Iren. Sie versuchen, ob bewusst oder nicht, die reale Schuldenlast durch Konkurse und dergleichen loszuwerden oder durch forciertes Sparen zu vermindern.

In einer alternden Gesellschaft ist es ja plausibel, ausländisches Vermögen anzusammeln, von dem man später einmal leben kann, wenn die Arbeitskraft nachlässt. So hatte es im 19. Jahrhundert Großbritannien vorgemacht, so machen es die OPEC-Länder, die Schweiz und Japan heute, und natürlich auch Deutschland. Wer realistisch ist, muss aber damit rechnen, dass die Kinder das Geld, das sich die Eltern von diesen sparsamen Ländern geliehen hatten, nicht mehr zurückzahlen wollen, vor allem dann nicht, wenn die Eltern die Kredite nicht in die Verbesserung und Vergrößerung des Kapitalstocks gesteckt hatten – aus dem sich die Schulden dann leicht bedienen ließen -, sondern konsumtiv verjubelt hatten.

Die Gläubiger werden auf die unterschiedlichste Art enteignet, sei es, dass sich amerikanische Wertpapiere als Schrott erweisen, dass man also einem Pyramidensystem aufgesessen ist, oder weil die Kurse und Preise von General Motors-Aktien, des Ferienhauses in Florida oder des Flats in London in den Keller gerauscht sind, oder weil sich Dollar und Pfund stark abwerten, oder weil durch forciertes Gelddrucken („quantitative easing“) die amerikanische oder britische Inflation dann doch einmal ins Gallopieren kommen, wodurch die Kurse der festverzinslichen Wertpapiere einbrechen, einschließlich der von Staatsanleihen. Durch diese Prozesse schrumpft, in Euro gerechnet, der Wert unseres Auslandsvermögens, und die Erträge fallen viel geringer aus als ursprünglich gehofft. All das erleben wir seit etwa einem Jahr – was noch fehlt, ist ein richtiger Dollarcrash.

Hinzu kommt, dass die Schuldnerländer versuchen, von ihrer Drogenabhängigkeit, genannt Kapitalimport und easy credit, loszukommen. Denn so leicht ist es auch für sie nicht, mit dem Schuldenmachen bis zum Sanktnimmerleinstag weiterzumachen. Konkurse und abwertende Währungen sind nichts Schönes und es wäre besser, man käme ohne sie aus. Immer mehr amerikanische und britische Haushalte, die ihre Immobilien bis über die Dachkante beliehen hatten, sind auf einmal finanziell unter Wasser, nachdem die Hauspreise inzwischen um etwa ein Drittel gefallen sind. Immer mehr haben auch ihren Job verloren, so dass ihre gesamte materielle Lebensplanung dahin ist: die „payrolls“, also die Anzahl der abhängig Beschäftigten, haben sich in den Vereinigten Staaten innerhalb des vergangenen Jahres um 3,9% vermindert , während die Arbeitslosenquote in kaum mehr als zwei Jahren von 4,4% auf 9,4% in die Höhe geschossen ist. In den anderen Schuldnerländern ist es im Wesentlichen ähnlich.

Sparen, um die Finanzen wieder in Ordnung zu bringen, hat auf einmal höchste Priorität. Dabei besteht Sparen nicht nur darin, dass man mehr Geld auf die Seite legt, mindestens genauso wichtig ist die Rückzahlung von Schulden. So oder so, Ausgaben werden eingeschränkt. Gesamtwirtschaftlich schlägt sich das nieder in einem Anstieg der Sparquote (in den USA von nahe Null vor wenigen Quartalen auf bald 7% des verfügbaren Einkommens), in geringeren Zuwachsraten beim privaten Verbrauch, einem Rückgang der Unternehmensinvestitionen sowie, jetzt sind wir beim Thema, geringeren Einfuhren und, wenn möglich, steigenden Exporten. Vor allem in den USA hat sich dadurch das Leistungsbilanzdefizit in weniger als einem Jahr auf die Hälfte vermindert.

Wenn also die fröhlichen Schuldenmacher auf einmal ihr Heil in Exportoffensiven und – auch das gehört dazu – Beschränkungen der Importe suchen, einschließlich der Abwertung ihrer Wechselkurse, was kann ein Land wie unseres dagegen tun? Bisher nicht viel, wie sich an der Halbierung des Außenüberschusses zeigt. Die Auftragseingänge aus dem Ausland an die Industrie lassen zudem nichts Gutes ahnen: real gesehen lagen sie im April um 36,3% unter ihrem Vorjahreswert, ohne dass sich an dem steilen Abwärtstrend in den letzten Monaten etwas geändert hätte; die Verlaufsrate für die Periode Oktober bis April betrug -37,5%.

Die Situation ist viel ernster als die nach wie vor ziemlich robusten Arbeitsmarktzahlen vermuten lassen. Es sieht so aus, als sei das Wirtschaftsmodell des Landes nicht mehr tragfähig, wenn die Ausländer auch auf einmal so zu sparen beginnen wie wir. Die Auftragseingänge aus dem Ausland machen rund die Hälfte aller Aufträge aus. Kein Wunder, dass die Industrieproduktion in den ersten vier Monaten des Jahres um 22,2% niedriger war als vor Jahresfrist.

Da die Bilanzreparaturen in den Schuldnerländern noch keineswegs abgeschlossen sind – weil die Immobilienpreise im freien Fall sind und hohe Verluste dazu zwingen, die Kosten zu reduzieren, ist in Deutschland jedenfalls noch kein Ende der Rezession abzusehen.

Kurzfristig lässt sich nicht viel tun. Die Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht. Ein Hauptfehler war die geradezu leichtfertige Finanzierung der deutschen Exporte und der blauäugige Erwerb von überteuertem ausländischem Vermögen.

Auf alle Fälle ist es vordringlich, dass wir uns als Gläubiger in die Lage der Schuldner versetzen (damit sich die Chancen auf einen Erhalt des Auslandsvermögens verbessern). Wir helfen uns vor allem dadurch, indem wir ihnen helfen, durch Exporte (an uns!) von ihren Schulden herunterzukommen. Da Deutschland allein dazu zu klein ist, handelt es sich um ein Projekt für Euroland insgesamt. Auch wenn Frau Merkel anderer Meinung sein sollte, ein Ende der expansiven Geldpolitik ist noch nicht möglich. Und die Finanzpolitik? Das für dieses Jahr vom IWF und anderen vorhergesagte Staatsdefizit ist angesichts der gewaltigen Produktionslücke geradezu restriktiv. Das passt nicht. Wie wäre es mit einer Infrastruktur- und Bildungsoffensive von vielleicht 5% des BIP, für mindestens drei Jahre, damit das Geld nicht verpufft? Eine Lösung muss ja offensichtlich darin bestehen, dass wir einen größeren Teil der Ersparnisse als bisher in eine zukunftsfeste Wirtschaftsstruktur stecken. Eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengelds und die Förderung der Kurzarbeit, verbunden mit Weiterbildung, sind ebenfalls nützliche Elemente.

Auch wenn sich herausstellen sollte, dass aus den „green shoots“, die allerorten ausgemacht werden, doch noch robuste Pflanzen werden, führt kein Weg daran vorbei, die Abhängigkeit von Güter- und Kapitalexporten zu vermindern. Eigentlich ist die Wirtschaftsstruktur nicht schlecht angesichts der Tatsache, dass das Volumen des Welthandels trendmäßig fast doppelt so rasch zunimmt wie das globale BIP. Auf die nächsten vier oder fünf Jahre gesehen muss umgesteuert werden in Richtung produktiverem Kapitalstock. Wenn die Krise dann vorbei ist, ergibt sich daraus eine belastbarere Wirtschaftsstruktur.