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Von Steuern, Wachstum und Servietten

 

Groß hatten Liberale und Christsoziale vor der Wahl angekündigt, sie wollten auf jeden Fall die Steuern senken. Es müsse mal eine große „Steuerstrukturreform“ geben, bei der den gebeutelten Steuerzahlern endlich mehr Netto vom Brutto übrig bleiben sollte. Im Wahlkampf meinte Angela Merkel, dass niedrigere Steuersätzen – so paradox ist die Welt – zu höheren Steuereinnahmen führen würden. Wenn mehr Netto vom Brutto übrigbliebe, würde sich Leistung auch wieder lohnen, die Leute würden dann wieder mehr arbeiten, mehr verdienen und sogar mehr Steuern zahlen. Der Haushalt könnte sich dann von ganz allein konsolidieren.

Auf diesen folgenschweren Gedanken sind die deutschen Liberalen und Konservativen nicht von allein gekommen, sondern er ist 1974 beim Kaffeeplausch unter US-Republikanern in Washington entstanden. Der Ökonom Arthur Laffer zeichnete damals in Anwesenheit von Dick Cheney und Donald Rumsfeld eine Kurve auf eine Serviette, aus der hervorging: Wenn die Steuersätze zu hoch sind, könnten Steuersenkungen nicht zu weniger, sondern zu mehr Steuereinnahmen führen. Geboren war die berühmte Laffer-Kurve.

Mit seiner Serviettentheorie hat Arthur Laffer nicht nur US-Republikaner wie den ehemaligen Präsidenten Ronald Reagan oder deutsche Liberalkonservative überzeugt. Auch die rot-grüne Bundesregierung fand sich selbst finanzierende Steuersenkungen eine prima Idee. Das Experiment mit der größten Steuerreform der bundesrepublikanischen Geschichte im Jahr 2000 ging (absehbar) mächtig schief: Die rot-grünen Entlastungen für Gutverdiener und Unternehmen finanzierten sich mitnichten von selbst, sondern rissen in den Folgejahren riesigen Löcher in den Bundeshaushalt, die mit höheren Schulden gestopft wurden. Unter dem damalige Finanzminister Hans Eichel, der als großen Sparer und Haushaltskonsolidierer angetreten war, durchbrach Deutschland mehrmals die drei Prozent Defizitgrenze des EU-Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Natürlich waren die Haushaltsdefizite auch durch den Einbruch des Wachstums und die steigende Arbeitslosigkeit ab 2001 und den Folgejahren gewachsen. Ein Großteil der Defizite war aber hausgemacht. Im Jahr 2000 wurde nicht nur der Eingangssatz für die Einkommenssteuer von knapp 26 auf 15 Prozent gesenkt, auch die Besserverdienenden wurden entlastet. Denen hatte die SPD vor der Wahl eine Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf knapp 49 Prozent versprochen. Gefallen ist der Satz dann aber auf 42 Prozent, also um ganze elf Punkte.

Auch die Unternehmen wurden beschenkt. Die Regierung senkte die Körperschaftssteuer – mit der Kapitalgesellschaften ihre Gewinne versteuern müssen – auf 25 Prozent; die Gewinne aus Verkäufen von Unternehmensteilen wurden gleich ganz steuerfrei gestellt.
Finanzierten sich diese Steuersenkungen in Höhe von insgesamt 72 Milliarden Euro selbst, wie es nach der Laffers Theorie zu erwarten gewesen wäre?

Nein. Sowohl die Einnahmen aus der Einkommens- als auch aus der Körperschaftssteuer fielen. Die Körperschaftssteuer brach im Jahr 2001 sogar vollkommen ein – und damit über Jahre hinaus das Ziel, den Haushalt zu konsolidieren. Wegen der neuen Regelungen mussten die Finanzämter den Unternehmen 2001 sogar eine halbe Milliarde Euro zurückzahlen – obwohl die Gewinne der Unternehmen nicht stark gefallen waren. Durch den Einbruch fehlten dem Fiskus von 2001 bis etwa 2003 jährlich Einnahmen von etwa einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nicht ganz wenig, wenn in einer Rezession die Defizite auch ganz ohne Steuersenkungen steigen.

Erst im Jahr 2006 erreichte das Aufkommen aus der Körperschaftssteuer wieder seinen Stand von 2000 – da waren die Gewinne der Unternehmen aber um ein Vielfaches höher als 2000. Von den Rekordgewinnen der Unternehmen der letzten Jahre hat der Fiskus kaum profitiert.
Die berühmte Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, bei der nach einer Steuersenkung theoretisch mehr Einkommen versteuert werden sollte, hat die Steuerausfälle nach der Senkung der Steuersätze nicht ausgeglichen, wie auch Nadja Dwenger und Viktor Steiner in einer DIW Studie zeigen.

Das ist auch ein Grund dafür, dass die Schulden der öffentlichen Haushalte in Relation zum Bruttoinlandsprodukt von 2001 bis 2006 um knapp neun Prozentpunkte auf 67,6 Prozent gestiegen sind. Höhere Schulden müssen an sich nicht schlecht sein, solange Sinnvolles mit ihnen finanziert wird. Ob Steuersenkungen für Gutverdiener dazu gehören, mag jeder für sich entscheiden.

Der Staat hat auf jeden Fall einen höheren Zinsdienst zu leisten, Geld, das an anderer Stelle fehlt, etwa bei öffentlichen Investitionen. Die fielen in Deutschland unter rot-grün auf ein historisch niedriges Niveau. Seit 2003 sind die Nettoinvestitionen sogar negativ – das heißt, die öffentliche Infrastruktur, darunter auch Schulen und Universitäten, verfällt zusehends. In die schwarzen Zahlen geriet der Haushalt erst wieder, nachdem die Große Koalition die Mehrwertsteuer Anfang 2007 erhöht hatte.

Der Politikwissenschaftler Christoph Egle stellt deswegen in einer interessant zu lesenden Bilanz der rot-grünen Jahre fest, dass der sozial-ökologischen Regierung die Entlastung der Gutverdiener sehr viel wichtiger war als die Konsolidierung des Haushalts – die Sparhans Eichel doch versprochen und immer wieder vehement verteidigt hatte. Diese Konsolidierung musste schließlich in der Öffentlichkeit immer wieder für Einschnitte in Sozialsysteme und öffentliche Investitionen herhalten.

Um Umverteilung von oben nach unten ging es Sozialdemokraten und Grünen bei der ganzen Reform nicht, so Egle. Im Gegenteil: Verschiedene Studien (z.B. von Giacomo Corneo und von Viktor Steiner und Peter Haan) zeigen, dass die Reform der Einkommenssteuer Gutverdiener überdurchschnittlich entlastet hat.

Auf der anderen Seite hat die Politik sozialdemokratischer Finanzminister Geringverdiener stärker belastet, besonders durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wer nicht viel verdient, muss meist sein ganzes Einkommen für den Konsum ausgeben und ist deswegen besonders von der Mehrwertsteuererhöhung betroffen. Die Steuerreformen allein mögen nicht die Ursache des starken Anstiegs der Ungleichheit in Deutschland gewesen sein – des stärksten Anstiegs in der ganzen OECD-Welt. Aber die Sozialdemokraten haben nicht gerade versucht, durch Steuerpolitik etwas dagegen zu unternehmen. Wahrlich, die SPD hat in nächster Zeit mehr zu tun als allein die Agenda 2010 aufzuarbeiten. Ihre Steuerpolitik hatte mit Sozialdemokratie wenig zu tun, mit Umverteilung von unten nach oben zulasten der öffentlichen Kassen aber sehr viel mehr.

Den Liberalen, die vom falschen Charme der Laffer Kurve verzaubert noch auf Wahlkampftour waren, scheint es, wenn auch spät, langsam zu dämmern, dass die Theorie zuweilen sehr grau sein kann. Hermann Otto Solms, der als kommender Finanzminister im Gespräch ist, zeigt sich überrascht, dass die prekäre Haushaltslage in der größten Weltwirtschaftkrise seit Bestehen der Bundesrepublik vielleicht doch keine großartigen Steuersenkungen erlaubt.