Walter Riester hat ein Schicksal getroffen, das dem seines IG-Metall-Kollegen Peter Hartz nicht ganz unähnlich ist. Zumindest, was seinen Ruf in der Öffentlichkeit angeht – und nicht den Umgang mit Damen aus Brasilien. Mit den Namen beider Gewerkschaftsmitglieder sind die als neoliberal verschrienen Reformen der Rot-Grünen Regierung verbunden. Nicht nur die Arbeitsmarktreformen, die der Volksmund Hartz-Reformen (eins bis vier, dann wurde die Reihe eingestellt) nannte, bringen mehr Schand als Ehr. Auch die Riesterrente zeigt sich in großen Teilen als Flop – weil sie viel mit der Förderung der privaten Banken- und Versicherungswirtschaft, aber wenig mit einer sicheren Rente für den einfachen Sparer zu tun hat.
Was haben uns die Medien mit starker Unterstützung vieler in Versicherungs-Aufsichtsräten sitzenden Wissenschaftlern nicht alles an Angst eingejagt: Die Deutschen werden älter und die armen jungen Menschen müssen für ihre Eltern immer mehr von ihrem kostbaren Brutto abgeben – so dass ihnen im Jahr 2050 fast nichts mehr netto übrig bleiben wird. Die einzige, die beste Lösung sei: Die private Altersvorsorge. Denn, so die Logik, während das Adenauer’sche Umlageverfahren nicht demografieresistent sei, wäre das bei der privaten kapitalgedeckten Sicherung ganz anders. Würden die Menschen nur mehr Geld in die Hände von Banken- und Versicherungen legen, könnten sie trotz schlechter Demografie auch eine gute Rente bekommen.
Dass sowohl Umlageverfahren als auch ein kapitalgedecktes System in der Zukunft aus dem gleichen Topf – nämlich dem gleichen in der Zukunft erwirtschafteten Einkommen – bezahlt werden müssen, haben die Apologeten der privaten Vorsorge lieber verschwiegen. Schließlich wird das privat Ersparte nicht in den Keller geschafft und liegt dort bis zum Rentenalter rum, um dann wunderbar gewachsen alle Ansprüche an einen gediegenen Lebensabend erfüllen zu können.
Vielmehr kauft man sich mit dem jetzt eingezahlten Geld ein rechtlich verbrieftes Versprechen, in der Zukunft einen bestimmten Teil des erst dann erwirtschafteten Einkommens abzubekommen. Der Unterschied zum Umlageverfahren besteht allein darin, dass das Versprechen nicht vom Staat, sondern von Banken und Versicherungen gegeben wird – von denen man ja seit der Finanzkrise weiß, wie sorgfältig und bedacht sie das Geld ihrer Kunden anlegen.
Walter Riester hatte so viel Vertrauen in die Sorgfalt der Banken und Versicherungen, dass er und die Rot-Grüne Regierung marktwirtschaftlich mal alle fünfe gerade sein ließen und die private Vorsorge und mit ihr die privaten Finanzunternehmen kräftig steuerlich subventionierte. Die Unternehmen zeigen sich erwartungsgemäß dankbar dafür – und stecken sich einen Großteil der Förderung gleich selbst in die Tasche. Zumindest, wenn man dem Spiegel, der Wirtschaftswoche oder der ARD Glauben schenkt. Denn was die Finanzwirtschaft mit Riesterrentenpolicen und Riesterfondssparrenten besonders gern macht, ist, auf einen Großteil der Einzahlungen erst mal Gebühren zu erheben – bevor die Rendite auch nur in Sicht ist.
Die guten Menschen von Finanztest (11/2009, Seite 20) haben sich die Gebühren mal genauer angesehen und zählen auf: Erstens, die Kosten, die schon zu Beginn der Laufzeit entstehen. In den ersten fünf bis acht Jahren ziehen die meisten Versicherer und einige Fondsverwalter um die vier Prozent und mehr der vertraglich vereinbarten Beitragssumme für die gesamte Laufzeit von den ersten Einzahlungen ab. Zweitens, die Gebühren, die bei jedem monatlichen Beitrag flöten gehen, und schon mal bei bis zu fünf Prozent der Einzahlung liegen können. Eine Versicherung verlangt sogar 14 Prozent pro Einzahlung. Drittens, Gebühren, die man abdrücken muss, wenn man mal mehr sparen will als am Anfang mit dem Anbieter vereinbart: das sind manchmal an die neun Prozent, eine Versicherung verlangt sogar 14 Prozent. Viertens, die Anbieter lassen ihre Hände auch nicht von den staatlichen Zuschüssen. Auch hier wird erst mal was abgezogen. Fünftens und zu guter Letzt entstehen jedes Jahr noch mal Verwaltungskosten von an die zwei Prozent. All das zählt Finanztest unter der schönen und passenden Überschrift „Was Riester-Fondprodukte kosten – Für manche der reine Selbstbedienungsladen“ auf.
Wenn dann überhaupt eine positive Rendite aus den Anlagen der Versicherer zustande kommt (und nicht gerade die Wirtschaft schrumpft, Banken straucheln oder die Aktienmärkte in sich zusammenfallen usw. usf.), bleibt nach Abzug all dieser Kosten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr viel übrig. Riester-Rentenversicherungen – die etwas anders als Fondsparpläne funktionieren, aber auch kräftig Gebühren verlangen – garantieren zwar eine Mindestverzinsung von momentan 2,25 Prozent – aber nur auf das Kapital, das nach Abzug der Kosten und Gebühren übrigbleibt. Um es mit Reiner-Werner Fassbinder zu sagen: Gebühren essen Rendite auf.
Wenn der geneigte Sparer nur immer wüsste, was alles an Kosten auf ihn zukommen würde im Laufe seines Riester-Lebens, könnte er sich seine erwartete Rendite ja ausrechnen (das bisschen Finanzmathematik kann doch jeder, oder?). Nur beklagt nicht nur Finanztest, dass die Anbieter ihre Kosten oft verheimlichen.
Besonders schön ist, was eine Versicherung laut Finanztest (12/2009, Seite 30) auf die Anfrage nach Offenlegung der Kosten ihres Riester-Vertrages einer Kundin geantwortet hat: „In unserer freien Marktwirtschaft werden dem Verbraucher die Preiskalkulationen, insbesondere die darin enthaltenen Kosten (…) nicht offengelegt. Deshalb ist es auch in der Versicherungswirtschaft nicht üblich, dem Kunden (…) die entstandenen Abschluss- und Verwaltungskosten zu nennen.“ Blöd nur, dass vielleicht nicht die Gesetze der Marktwirtschaft, sehr wohl aber die der Bundesrepublik Deutschland die Versicherer seit 2008 dazu zwingen, ihre Kunden über die anstehenden Kosten zu informieren.
Aber nicht nur die Gebühren sind das Problem. Klaus Jaeger von der Freien Universität Berlin hat ausgerechnet, dass sich Riestern für viele Menschen erst dann lohnt, wenn sie das biblische Alter von 90 Jahren oder älter erreichen – was nun nicht viele Menschen schaffen: Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt eher bei etwa 80 Jahren. Dieser interessante Effekt kommt daher, dass dem Riester-Sparer ab Eintritt in die Rente ein fixer Teil des vorher Ersparten in Form einer Rente in festen Beträgen bis zum Lebensende ausgezahlt wird.
Dieses erwartete Lebensende haben die Anbieter aber geschickter weise besonders hoch angesetzt – so dass nicht besonders viele Sparer in den vollen Genuss ihres Ersparten kommen. Wenn die Rentner vor Erhalt ihres Ersparten sterben, können sich die Anbieter einen Teil davon in die Tasche stecken. Denn die Erben der Riester-Sparer bekommen nicht immer etwas ab. Kinder von Riester-Fonds- oder Banksparern bekommen die Summe nur unter Abzug der staatlichen Förderung. Rentner mit einer Riesterrentenversicherung müssen mit den Anbietern eine fixe Zeit für die Rentenauszahlung fest machen, damit sie ihre Ansprüche vererben können. Die Rente fällt dann aber geringer aus.
Wahrlich, für die in Angst vor den immer wieder beschworenen Rentenausfällen sparenden Deutschen ist dieses Kind Walter Riesters sicher keine Freude. Einen kleinen Hoffnungsschimmer scheint es allerdings zu geben: der sogenannte Riester-Banksparplan kommt zu großen Teilen ohne Gebühren aus und ist auch leicht zu wechseln – anders als bei anderen Riester-Verträgen, bei denen hohe Wechselgebühren anfallen und die vielen schon gezahlten Gebühren für immer verloren sind.
Beim Banksparplan zahlt man einfach sein Geld bei der Bank ein, bekommt die staatliche Zulage, kann einiges steuerlich absetzen und erhält eine Verzinsung, die sich an der Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen orientiert – all das, ohne den Unwägbarkeiten der Kapitalmärkte ausgesetzt zu sein. Weil das alles so praktisch, relativ transparent und mit nicht besonders hohen Gebühren verbunden ist, bieten es Privatversicherer und Privatbanken gleich gar nicht an. Sie verdienen eben kaum, wenn Sparer eine sichere Rendite haben wollen. So werden Banksparpläne vor allem von Sparkassen und Genossenschaftsbanken angeboten, wie Öko-Test schreibt.
Was können wir aus all dem lernen? Dass es vielleicht am schönsten wäre, die jetzige Bundesregierung würde sich wieder an die echte Marktwirtschaft ihrer Altvorderen erinnern – an die soziale Marktwirtschaft, wie sie sich Ludwig Erhard und Konrad Adenauer ausgedacht haben: Die vor Inflation und Kapitalmarktrisiken gesicherte Rente per Umlageverfahren – in heutigen Zeiten gerne auch mit Beiträgen von Selbständigen und Kapitaleinkommensbeziehern – und eine Wettbewerbspolitik, die nicht einzelne Branchen durch Subventionen hochpäppelt. Ein bisschen mehr Ordoliberalismus und weniger Finanzmarktinteressen könnten die ängstlichen Deutschen bestimmt beruhigen – dafür müsste sich doch auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erwärmen können!