Eines kann man nicht sagen: dass sich die deutschen Verbraucher bis über die Ohren verschuldet hatten, um Aktien und Immobilien zu kaufen. Wie der kleinen Graphik zu entnehmen ist, gab es so eine Tendenz zwar in den neunziger Jahren, danach aber nahmen die Schulden, ausgedrückt in Prozent des Verfügbaren Einkommens, stetig ab, und zwar von 114 im Jahr 2000 auf 98 im Jahr 2008. Die deutschen Haushalte hatten sich offenbar durch zusätzliche Schulden an der New Economy-Blase beteiligt, nicht aber an den internationalen Verschuldungsexzessen des gerade zu Ende gehenden Jahrzehnts.
Dass die Aktienkurse im Jahr 2008 so stark eingebrochen waren – der DAX verlor vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 39,5 Prozent – hatte nichts damit zu tun, dass es vorher durch eine Kombination von Euphorie und leichtfertigem Schuldenmachen seitens der deutschen Haushalte zu der Blase gekommen war, die dann platzte. Deswegen waren die Verbraucher nicht überschuldet, als die Kurse einbrachen, und waren damit auch nicht zu Notverkäufen gezwungen, die wiederum die Kursverluste hätten beschleunigen können. Es gab keine Euphorie und daher hinterher auch nur einen milden Katzenjammer.
Wieso kam es dann doch zu einer Blase? Vom Tief im Jahre 2003 bis Ende 2007 hatte der DAX immerhin 266 Prozent gewonnen. Die Ursache war offenbar vor allem die sehr starke Kreditexpansion in anderen Ländern. Da dort die Aktienmärkte (schuldengetrieben) boomten, sahen die deutschen Aktien aus Sicht der internationalen Anleger meist preiswert aus, was dann bei uns einen Aufholprozess auslöste.
Die Hauptverantwortlichen für die boomende globale Nachfrage nach Aktien und Immobilien waren die USA und Großbritannien. Dort stieg die Verschuldung der Haushalte außerordentlich stark an, und zwar im Fall der USA von 101 Prozent des Verfügbaren Einkommens im Jahr 2000 auf 138 im Spitzenjahr 2007, und von 117 auf 186 Prozent in Großbritannien (siehe OECD, Economic Outlook, Dezember 2009, Annex Table 58). Ein großer Teil des Anstiegs entfiel auf Hypothekenschulden – damit wurden bekanntlich nicht nur Immobilienkäufe finanziert, sondern auch Konsumausgaben und spekulative Aktienkäufe. Die steigenden Hauspreise waren die Basis für immer größere Kredite an die Haushalte. Zudem waren sie hauptverantwortlich dafür, dass die amerikanischen und britischen Verbraucher glaubten, es sich leisten zu können, immer weniger von ihrem laufenden Einkommen zu sparen – der Wert ihrer Häuser und Aktienportefeuilles nahm ja ständig zu, das musste reichen. Hieraus – aus den Vermögensblasen und ihrem Platzen – entwickelte sich die globale Finanzkrise, die uns immer noch beschäftigt, und zwar mit weiterhin ungewissem Ausgang.
Übrigens hatten sich auch die Verbraucher in Italien und Frankreich, unsere größten Nachbarn im Euroland, an der Schuldenparty beteiligt, auch wenn sie es nicht so übertrieben wie unsere angelsächsischen Vettern. Anders als hierzulande kam es daher in den beiden Ländern nicht nur zu steigenden Aktienkursen, sondern auch zu einer ansehnlichen Preishausse bei Immobilien. Der Grund war vermutlich, dass sich die italienischen und französischen Verbraucher immer noch darüber freuten, dass die langfristigen Realzinsen ungewohnt niedrig waren, der Einführung des Euro (und damit der deutschen Stabilitätskultur) sei Dank. Aber am Ende, also im Jahr 2007, als die Sache kippte, betrugen die Schulden der französischen Verbraucher genau 100 Prozent ihres Verfügbaren Einkommens, und in Italien waren es erst bescheidene 72 Prozent, also etwa in der Größenordnung Deutschlands oder sogar darunter. Die Sparquoten lagen nach wie vor im zweistelligen Bereich.
Worauf ich hinaus will: In der europäischen Währungsunion sind die Verbraucher nach dem Verfall der Kurse und Preise finanziell deutlich weniger unter Wasser als die amerikanischen und britischen. Die Ausnahmen sind Irland, Spanien und Griechenland, die jedoch nicht so sehr ins Gewicht fallen. Blasen können platzen, aber wenn sie nicht schuldenfinanziert sind, ist es nicht so schlimm. Die persönlichen Bilanzen sind im großen Ganzen robust. Das dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass sich die Konsumausgaben im Euroland bisher so gut gehalten haben.
Japanische Verhältnisse sind nach wie vor nicht auszuschließen, das Risiko ist aber deutlich geringer als in den USA und in Großbritannien. Die Probleme, die wir in Deutschland haben, rühren zum Einen aus unserer starken Abhängigkeit vom Außenhandel – das erweist sich aber inzwischen, seit die Schwellenländer wieder kräftig expandieren, als Vorteil -, zum Anderen aus der unprofessionellen und insgesamt verfehlten Geschäftspolitik unserer Banken. Sie hatten sich von der allgemeinen Euphorie an den Weltmärkten anstecken lassen und ihre Bilanzen mit amerikanischen, britischen, osteuropäischen und spanischen Papieren, Krediten und Beteiligungen vollgeladen. Später erwiesen sich die in erheblichem Umfang als wertlos. Die Euphorie der Banker ging so weit, dass sie mit immer größeren Hebeln operierten, also mit immer mehr geliehenem Geld. War ja auch so billig. Landesbanker glaubten auf einmal, aus Wasser Wein machen zu können. Und nicht nur sie! Dabei lief der gesamte Hype, der um die produktivitätssteigernden Finanzdienstleistungen gemacht wurde, letztlich darauf hinaus, dass sich die Banken noch stärker als sonst verschuldet hatten. So war es im Übrigen im Vorfeld aller großen Finanzkrisen der Geschichte abgelaufen. Es gibt nicht viel Neues unter der Sonne, vor allem nicht bei den Banken: Ihre Gewinne explodieren vor allem dadurch, dass sie auf die eine oder andere („innovative“) Weise ihre Fremdmittelhebel verlängern.
Der deutsche Bankensektor hat weiterhin die größten Probleme und verhindert, weil seine Rettung so viel Geld kostet, bis auf Weiteres, dass der Staat seinen Aufgaben so nachkommt, wie es die sparsamen Haushalte eigentlich erwarten könnten. Sie werden vielmehr weiterhin für Rettungsaktionen zur Kasse gebeten.
Da die Banken noch gewaltigen Abschreibungsbedarf haben und ihr Eigenkapital wieder auf ein Normalmaß hochfahren müssen, fehlt ihnen die Kraft, der nach wie vor schwächelnden Realwirtschaft mit Krediten auf die Beine zu helfen. Sie sind selbst Sanierungsfälle.
Ein anderer Aspekt ist, dass die Banken die EZB de facto dazu zwingen, bei ihrer Sanierung mitzuhelfen. Das bedeutet, dass die Zinskurve steil bleiben muss, damit die Banken mit billigem kurzfristigen Geld längerfristige und höher verzinsliche Anlagen finanzieren und auf diese Weise ihren Gewinn steigern können. Das bedeutet auch, dass es bei der generösen Liquiditätsversorgung bleiben muss, denn die ist der Garant dafür, dass die Wertpapierkurse steigen und so den Abschreibungsbedarf vermindern. Es könnte sein – ich glaube es allerdings nicht -, dass das schon wieder die Saat für die nächste Blase an den Vermögensmärkten ist. Die EZB kann nicht viel machen. Sie ist ebenso wie wir alle in der Geiselhaft der Banken. Es darf, was deren künftige Regulierung angeht, kein Zurück zum business as usual geben: Die Eigenkapitalquoten müssen steigen, und es muss eine Trennung zwischen dem, was inzwischen das „Kasino“ genannt wird, und den Basisdienstleistungen für die Sparer und Kreditnehmer geben.
Schöne Feiertage allerseits!