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Leute, gebt mehr Geld aus!

 

Wenn ich mir die detaillierten Zahlen für das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal ansehe, die am Mittwoch veröffentlicht wurden, komme ich, wie sonst auch immer, zu der nicht sehr originellen Erkenntnis, dass es mal wieder an der Binnennachfrage gehapert hat: real minus 2,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal, minus 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert, und Stagnation seit inzwischen zehn Jahren. Wenn der Export nicht wäre! Der Wachstumsbeitrag des Außenhandels zum realen BIP war +2,0 Prozentpunkte, womit er den neuerlichen Einbruch der Inlandsnachfrage genau ausglich. Insgesamt ergab sich für das reale BIP im Vorquartalsvergleich ein Nullwachstum. Der Abstand zum vierten Quartal 2008 betrug immer noch minus 2,4 Prozent.

Grafik: Reale Inländische Verwendung - 09Q4

Schlimmer noch: Das BIP lag um nicht weniger als 5,6 Prozent unter seinem zyklischen Hoch vom ersten Quartal 2008. Unterstellt, das mittelfristige Produktionspotential Deutschlands wächst noch mit einer jährlichen (mickrigen) Rate von einem Prozent, heißt das, dass wir es mit einer Lücke von 7,5 Prozent zu tun haben – nämlich zwischen dem, was tatsächlich produziert wurde, und dem, was ohne Kapazitätsprobleme hätte produziert werden können. Das ist ein Nachkriegsrekord, vermute ich.

Kaum hatte der Aufschwung begonnen, ist er schon wieder ins Stocken geraten: +0,4 Prozent im zweiten Quartal, +0,7 Prozent im dritten, und Null im vierten. Nach einer tiefen Rezession sollte man erwarten, dass es mit großen Schritten aufwärts geht, weil zum Einen alle wirtschaftspolitischen Ampeln auf Grün stehen und zum anderen die leergefegten Lager aggressiv aufgefüllt werden, sobald sich die Endnachfrage stabilisiert. Danach hatte es ja um die Jahresmitte 2009 ausgesehen.

Gemessen am steilen Anstieg der Erwartungskomponente des Ifo-Index hätte das BIP in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres eigentlich nicht stagnieren, sondern weiter expandieren müssen. Die befragten Unternehmer blicken, wie dem Schaubild zu entnehmen ist, seit dem vergangenen Frühjahr nämlich immer optimistischer in die Zukunft. Nicht mal auf die bislang so stabile Korrelation kann man sich also verlassen!

Grafik: Ifo-Erwartungen und BIP Wachstum

Auch wenn ich mir die Auftragseingänge an das Verarbeitende Gewerbe ansehe, kann ich nur darüber staunen, dass sich beim BIP so wenig tut. Die Orderbücher haben sich seit dem Frühjahr real mit einer Jahresrate von rund 20 Prozent gefüllt – danach müsste doch die Aufstockung der Lager in vollem Gang sein. Müsste! Im vierten Quartal kam es stattdessen zu einem kräftigen Abbau, was die Wachstumsrate des BIP für sich genommen um erstaunliche 1,2 Prozentpunkte vermindert hat. Mit anderen Worten, wenn sich der Lagerbestand einfach nicht verändert hätte, wäre das reale BIP gegenüber dem dritten Quartal kräftig gestiegen (statt zu stagnieren).

Grafik: Wachstumsbeiträge zum BIP Wachstum

Am Donnerstag gab es die neuen Arbeitsmarktzahlen. Auch sie waren eigentlich ganz gut und würden zu einem einigermaßen robusten Wachstum des Sozialprodukts passen – im Januar und Februar gab es saisonbereinigt etwa genau so viele Arbeitslose wie im vierten Quartal, nämlich 3,425 Millionen (Arbeitslosenquote: 8,2 Prozent). Was den Arbeitsmarkt angeht, ist Deutschland trotz der tiefen Rezession bisher mit einem blauen Auge davongekommen. Die Beschäftigung ist beispielsweise seit dem zyklischen Hoch vom Oktober 2008 bis zum Januar 2010 nur um 0,4 Prozent zurückgegangen (auf 40,231 Millionen); in den USA betrug der Rückgang in diesem Zeitraum 4,4 Prozent (auf 138,333 Millionen). Bisher gibt es entgegen den meisten Vorhersagen keine Anzeichen dafür, dass wir uns auf vier Millionen Arbeitslose zubewegen, oder gar auf die fünf Millionen, die im März 2005 gezählt wurden.

Grafik: Erwerbstätige und Arbeitslose in Deutschland - 1002

Da der Arbeitsmarkt so stabil ist, könnte man erwarten, dass die Verbraucher etwas spendabler wären. Bereinigt um die Inflation waren ihre Ausgaben aber nicht höher als im Sommer 2001, vor achteinhalb Jahren, und sie sind auch zwischendurch kaum viel gefallen oder gestiegen. (siehe übernächste Grafik)

Die Lage am Arbeitsmarkt ist natürlich nicht alles. Wie sieht es mit den Einkommen aus? Die Nettolöhne und -gehälter sind real vom Sommer 2001 bis zum Januar 2010 um 3,0 Prozent gesunken (!), die verfügbaren Einkommen, die auch die Sozialeinkommen, die betrieblichen Überschüsse und die Einkommen der Selbständigen einschließen, sind (bis zum vierten Quartal) um 1,0 Prozent gestiegen, also eigentlich auch nicht.

Grafik: Tarifverdienste und verfügbares Einkommen der Haushalte - 09Q4

Ein anderer Aspekt drängt sich bei der Analyse dieser Zahlen auf: Die Einkommensverteilung hat sich über den Gesamtzeitraum hinweg deutlich zugunsten der Besserverdiener verschoben und damit zu Lasten der Bevölkerungsschichten, die eine hohe Konsumquote haben, auch wenn das im Verlauf der Rezession (wegen des Gewinneinbruchs) etwas korrigiert worden ist. Es überrascht nicht, dass die Sparquote Schritt für Schritt von 9,5 auf 11,4 Prozent gestiegen ist – in kaum einem anderen der großen Industrieländer sparen die Haushalte so viel wie bei uns, und das schließt Japan ein, den einstigen Sparweltmeister!

Angesichts solcher Zahlen braucht sich niemand zu wundern, dass der private Verbrauch, der 2009 einen Anteil von 61,6 Prozent an der Binnennachfrage hatte, nicht anspringen will. Fragt sich nur, warum das so ist und wie sich das ändern ließe. Höhere Löhne! sagen Heiner Flassbeck und die Gewerkschaften, Strukturwandel! sagen der Sachverständigenrat und alle, die mal in Kiel studiert haben, die Steuern müssen runter! dagegen die Supply Siders und die FDP. Was sage ich?

Grafik: Reale Konsumausgaben des Staates und der privaten Haushalte - 09Q4

Bevor ich das verrate, müssen wir uns noch ansehen, was sich bei den anderen Komponenten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung getan hat. Bislang war der staatliche Konsum, auf den 20,6 Prozent der Binnennachfrage entfallen – Stichworte: Sozialleistungen, Lehrer, Polizisten, Bundeswehr -, für deutsche Verhältnisse so etwas wie eine Konjunkturlokomotive. Von Sommer 2001 bis zum vierten Quartal 2009 war er real um 10,7 Prozent gestiegen und übertraf seinen Vorjahresstand zuletzt um 2,7 Prozent. Zwar war es zwischen dem dritten und vierten Quartal vergangenen Jahres zu einem Rückgang von 0,6 Prozent gekommen, aber insgesamt haben unsere Politiker nicht das Gefühl, dass sie mit zu den Hauptverantwortlichen für die tiefe Rezession und die lahme Konjunkturerholung gehören. Ohne die einigermaßen anti-zyklischen und mittelfristig am Wachstum des Produktionspotentials ausgerichteten Ausgaben des Staates wäre Deutschland noch mehr von der Auslandsnachfrage abhängig. Vergessen wir nicht, dass unsere vertragstreue Regierung versucht, trotz der schwierigen Einnahmesituation das Maastricht-Kriterium von 3 Prozent Neuverschuldung einzuhalten, also zu sparen wo sie nur kann. Mehr auszugeben war einfach nicht drin, heißt es.

Das klingt plausibel, allerdings nur auf den ersten Blick. Ich werde den Staat nicht so leicht davonkommen lassen. Auch dazu später mehr.

Am härtesten hatte es in der Rezession erwartungsgemäß die Ausrüstungsinvestitionen getroffen, auf die (zusammen mit den sonstigen Anlagen) im Jahr 2009 8,1 Prozent der Binnennachfrage entfielen. Real lagen die Ausrüstungen im vierten Quartal um nicht weniger als 22,3 Prozent unter ihrem zyklischen Höchststand vom vierten Quartal 2007. Bis zuletzt haben sie sich nicht erholt (real -1,5 Prozent im 4. gegenüber dem 3. Quartal): Einerseits sind die Gewinne in den vergangenen zwei Jahren nominal um 6,6 Prozent zurückgegangen (Arbeitnehmerentgelt dagegen plus 2,8 Prozent), zum anderen ist die Kapazitätsauslastung so niedrig wie seit Menschengedenken nicht mehr. Warum also neue Maschinen kaufen? Die Unternehmen hatten – und haben – vermutlich auch schlichtweg Angst davor, dass ihre Banken ihnen die Kreditlinien zusammenstreichen könnten. Deren Bilanzprobleme sind ja zur Genüge bekannt. Cash is king, dürften sich viele sagen.

Grafik: Reale Investitionsausgaben - 09Q4

Für viele Unternehmen sind zudem die Ertragschancen im Ausland einfach auch besser als im Inland, selbst wenn man berücksichtigt, dass die Risiken höher sind. Die ausländischen Märkte expandieren rascher, und in manche kommt man nur, wenn man dort auch investiert. Das ist einer der Gründe, weswegen Deutschland der zweitgrößte Nettokapitalexporteur ist, nach China (!). Abgesehen vom immer noch sehr armen China gibt es unter den wohlhabenden Ländern zahlreiche andere, die gewissermaßen aus strukturellen Gründen Kapital exportieren, also stets einen Leistungsbilanzüberschuss haben, beispielsweise die Schweiz, alle skandinavischen Länder, Holland, Österreich, Japan, Hongkong, Singapur, Taiwan, Malaysia und Südkorea. Das ist eine Gruppe von Ländern, der man zumindest aus ökonomischen Gründen gern angehören möchte: Sie haben allesamt geordnete Finanzen, behaupten sich gut an den Weltmärkten, haben entweder bereits einen hohen Lebensstandard erreicht oder wachsen sehr rasch, und gehören nach Angaben von Transparency International zu den am wenigsten korrupten Ländern. Der ständige Netto-Kapitalexport scheint ihnen nicht zu schaden. Das gilt, finde ich, auch für Deutschland, dessen Kapitalexporte, gemessen am Saldo der Leistungsbilanz, im Jahr 2009 120 Mrd. Euro ausmachten. Das waren 5 Prozent des BIP. So lange die internationalen Unterschiede bei den Einkommen und den Wachstumsraten groß sind, so lange wird Deutschland weiter netto Kapital ausführen, was aber nicht heißt, dass es nicht auch weniger sein könnte als bisher – dann müsste sich aber bei den anderen Komponenten der Binnennachfrage etwas in Richtung Expansion tun.

Die Bauten sind bei uns, anders als in vielen anderen Ländern, ein stabilisierendes Element im Konjunkturverlauf; auf sie entfielen im vergangenen Jahr 10,7 Prozent der Binnennachfrage. In dieser Beziehung können wir uns ausnahmsweise mal darüber freuen, dass wir eine vergreisende Gesellschaft sind. Viel neuer Wohnraum wird nicht benötigt, und Spekulieren lohnt daher nicht (dann schon lieber US-Wertpapiere auf der Basis von Schrottimmobilien!). Zudem sind die Leerstandsraten bei Gewerbeimmobilien nach wie vor hoch.

Einige Antworten auf die Frage, warum die Binnennachfrage denn so schwach ist, heute ebenso wie gestern, habe ich schon gegeben: stagnierende Realeinkommen, Verschiebung der Einkommensverteilung zugunsten der Besserverdienenden, steigende Sparquote, der Maastricht-Vertrag, nur mäßig steigender Bedarf an Wohnraum und Gewerbeimmobilien, starke Unterauslastung der Kapazitäten. Das sind auch einige der Ansatzpunkte, wenn es darum geht, die Binnennachfrage nachhaltig auf einen steileren Wachstumspfad zu heben.

Dass es nicht schlecht wäre, wenn die Löhne endlich real wieder rascher zunehmen würden, ist leider leichter gesagt als getan. Gerade haben die Gewerkschaften in der Metall- und Elektroindustrie einem zweijährigen Tarifvertrag zugestimmt, bei dem es vor allem um die Sicherung der Beschäftigung geht. Kürzere Arbeitszeiten ohne vollen Lohnausgleich sind Teil des Gesamtpakets. Insgesamt haben die Arbeitnehmer schon seit Jahren keine starke Verhandlungsposition. Solange die Grenzen offen sind, konkurrieren die Arbeiter von Opel mit denen in Korea, und die verdienen nur einen Bruchteil der deutschen Löhne. Was also tun? Kurzfristig lässt sich nicht viel machen, da uns Handelsrestriktionen gerade noch gefehlt haben. Mindestlöhne wären hilfreich, sie müssten aber einhergehen mit einer Qualifizierungsoffensive der Arbeiter, die diese Löhne erhalten sollen – sonst haben wir, wie in Frankreich oder Spanien, eine Jugendarbeitslosenquote von 25 Prozent.

Stärkere, auch staatliche, Anstrengungen zur Verbesserung der beruflichen Bildung sind ohnehin der Königsweg zu höheren Löhnen und robusterem Konsum. Warum bewegen sich die Gewerkschaften nicht in diese Richtung? Es darf beispielsweise nominell keine Arbeitslosen geben: Wer seinen Job verliert, sollte umgehend in die Weiterbildung, so etwas wie Schulpflicht für Arbeitslose, und ruhig auf Kosten der Allgemeinheit. So wie sich gerade herauszustellen scheint, dass die Kosten der Kurzarbeit für den Staat niedriger sind als wenn die Betroffenen arbeitslos geworden wären, so ist es vermutlich billiger, Geld in die Umschulung zustecken als einfach jeden Monat Geld zu überweisen, ganz abgesehen davon, dass dadurch die Qualität des sogenannten Humankapitals verbessert wird, von der unser Wohlstand entscheidend abhängt. Weiterbildung darf allerdings nicht bedeuten, dass jeder, der einmal arbeitslos war, am Ende einen Gabelstaplerführerschein besitzt: Wo besteht echter Bedarf, und zwar nicht nur heute, sondern auf lange Sicht?

Die Einkommensverteilung könnte auch mal wieder einen Schubs in Richtung mehr Gleichheit vertragen, etwa durch höhere Freibeträge bei der Einkommensteuer, eine Senkung der Mehrwertsteuer (aber Wiedereinführung des Regelsatzes bei Hotelübernachtungen!), die Gleichbehandlung aller Einkommensarten (keine Bevorzugung der Kapitaleinkünfte oder der bäuerlichen Einkommen), finanziert durch höhere Steuern auf Heizöl, Diesel, Kerosin und den CO2-Verbrauch allgemein (auch hier bitte eine Gleichbehandlung!) und die allmähliche Abschaffung der umweltzerstörenden Pendlerpauschale. Und bitte weiter CDs mit den Daten von Steuerflüchtlingen kaufen! Selten wurde das Geld der Steuerzahler so produktiv angelegt.

Wenn die Kapazitäten so unterausgelastet sind wie jetzt, muss der Staat schon sehr starke Anreize bieten, damit mehr investiert wird. Auf alle Fälle muss vermieden werden, dass Brücken ins Nirgendwo oder noch mehr Häuser gebaut werden. Wie gesagt, unser Wohlstand hängt davon ab, wie es um unser Humankapital bestellt ist: Daher ist es wichtig, in Kindergärten, Schulen, Universitäten und Forschung und Entwicklung zu investieren, aber nicht, wie die Amerikaner sagen, in bricks and mortar, sondern ins Personal. Vielleicht die Bundeswehr verkleinern, stattdessen mehr Kindergärtnerinnen einstellen und den Stipendientopf für ausländische Studenten kräftig auffüllen, um nur mal unsystematisch aufzulisten, wie die Prioritäten zu setzen wären.

Es muss auch nicht einfach hingenommen werden, dass das staatliche Defizit nicht größer sein darf. Abgesehen davon, dass die 3-Prozentgrenze nicht von zentraler Bedeutung für den Fortbestand der Währungsunion ist, muss sich die staatliche Neuverschuldung nicht zuletzt an der gesamtwirtschaftlichen Outputlücke orientieren. Wenn die bei 7 Prozent liegt und das Defizit bei 3 Prozent, kann man die Finanzpolitik – ich vereinfache – nicht als expansiv bezeichnen. Genau das brauchen wir aber, wenn auch nur vorübergehend. Wenn die Wirtschaft wieder läuft und die Finanzpolitiker das Ziel solider Finanzen weiterhin ernst nehmen, wovon man in Deutschland ausgehen darf, werden sowohl die Defizite als auch die Schuldenquote sehr rasch zurückgehen. Man sollte nicht aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen.

Thomas Mayer von der Deutschen Bank hat sich vor einigen Tagen von meinem Mitblogger Robert von Heusinger zu der Aussage hinreißen lassen, dass es für die Beschäftigung hilfreich wäre, wenn die Produktivität nicht so rasch zunähme. Richtig so! Um was es geht, ist, dass Arbeitslose in Arbeit kommen, auch wenn es eine wenig produktive ist. Das ist allemal besser, als nichts zu tun. Der Gesamtoutput nimmt zu, aber die durchschnittliche Produktivität sinkt. Macht nichts, so erklärt sich ja auch das kleine deutsche Beschäftigungswunder der vergangenen zwei Jahre. Besser wäre natürlich, wenn die Arbeitslosen vorneweg eine Ausbildung in einem einigermaßen zukunftsträchtigen Job bekämen.

Fehlt noch was? Natürlich die Geldpolitik! Hätte sie mehr für die Stärkung der Binnennachfrage tun können? Sie hätte, wenn auch nicht für die deutsche allein. Ihr Ziel lautet ja, die Inflation bei knapp unter 2 Prozent zu stabilisieren. Dass wir nach wie vor weit unter diesem Ziel liegen und vermutlich auch liegen werden (es sei denn der Euro verliert noch einmal 10 Prozent) akzeptiert die EZB nicht als Aufforderung, die Zinsen weiter zu senken – die mittelfristigen Inflationserwartungen lägen ja genau in der Zielregion. Es müsste doch erst einmal ausprobiert werden, ob die Inflationserwartungen tatsächlich in die Höhe schießen würden, wenn der Refinanzierungssatz auf 0,25 Prozent gesenkt würde – in den USA hat sich da auch nichts getan, als die Fed Funds Rate auf diesen Satz gesenkt wurde und gleichzeitig die Wirtschaft mit deutlich mehr Zentralbankgeld geflutet wurde als im Euroraum. Im Übrigen gibt es so etwas wie eine Nullgrenze bei den Zinsen nicht – wenn niemand Geld ausgeben will, muss im Notfall die Ersparnis durch negative Zinsen verringert werden. Na ja, ich will nicht übertreiben. Es würde schon helfen, wenn die exit strategy für eine Weile auf Eis gelegt würde. Warten wir doch, bis die Inflation wirklich zu traben beginnt (dazu bedarf es aber ganz anderer Lohnsteigerungen als die, die jetzt in der Pipeline sind).

Wenn ich zu guter Letzt mal ein bisschen esoterischer werden darf: Die Binnennachfrage lässt sich auch dadurch ankurbeln, dass die Politik versucht, die terms of trade zu verbessern, also den Euro real aufzuwerten. Die Exporte würden tendenziell zurückgehen, die Einfuhren steigen, ebenso wie die Realeinkommen (durch einen Rückgang der Verbraucherpreise). Wenn die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Beschäftigung dadurch nicht ernsthaft Schaden nimmt, kann die Binnennachfrage anspringen. Gut gebrüllt, Löwe, aber geht das eigentlich? Es geht, wenn es zuvor eine kräftige Abwertung gegeben hat (wie jetzt beispielsweise) und die Spekulanten überwiegend Short-Positionen in Euro halten. Das sogenannte Eurosystem könnte dann in bewährter (Bundesbank-) Manier Dollar auf den Markt werfen und dadurch den Wechselkurstrend umkehren. Es geht auch ohne Zinserhöhungen.