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Der Staat muss jetzt Schulden machen

 

Die Schuldenpanik macht sich wieder breit in Deutschland. Viele meinen, die steigenden Staatsschulden stürzen uns ins Unglück. Das hat auch wieder die Debatte gezeigt, die viele hier im Blog zum Einstandsbeitrag von Mark Schieritz geführt haben. Aber in der jetzigen Situation bleibt dem Staat leider nicht viel anderes übrig als mehr auszugeben und einen beträchtlichen Teil seiner Ausgaben über Kredite zu finanzieren. Denn die übrigen Stützen des Wachstums – die Konsumausgaben der Privathaushalte und die Investitionen der Unternehmen – sind eingebrochen. Deutschland befindet sich in einer Rezession.

Und nicht nur Deutschland. Die großen Treiber der Weltwirtschaft, allen voran die USA, sind nach dem Kreditboom der vergangenen Jahre gezwungen, ihre Verschuldung zu reduzierenden. Sie müssen mehr sparen. Wenn sich aber die ganze Welt in einem Prozess des Schuldenabbaus (auf Neudeutsch nennt sich das deleveraging) befindet, ist es Wunschdenken, sich wie in den Jahren vor der globalen Finanzkrise auf das Ausland als Nachfrager der letzten Instanz zu verlassen.

Das McKinsey Global Institute, ein ökonomischer Think Tank der Unternehmensberatung McKinsey, hat neulich in einer Studie die negativen Effekte auf Wachstum und Beschäftigung aufgezeigt, die sich ergeben, wenn weite Teile einer Volkswirtschaft ihre Bilanzen wieder in Ordnung bringen müssen. Unter dem Titel: „Debt and deleveraging: The Global Credit Bubble and its economic consequences“ haben die McKinsey-Ökonomen die Erfahrung einer ganzen Reihe von Ländern untersucht.

Dabei hat sich gezeigt, dass in den meisten Fällen die Schuldenreduktion, die in der Regel auf eine Finanzkrise folgt, durch höhere Ersparnis erreicht wurde. Wenn nur einzelne Haushalte oder Unternehmen mehr sparen, ist das gesamtwirtschaftlich kein Problem, sondern der Normalfall. Machen es aber ganze Wirtschaftssektoren, ist die Folge eine Rezession. Damit haben wir es zu tun. Im Schnitt schrumpfte die Wirtschaft in den Ländern, die den Gürtel enger geschnallt haben, um 0,6 Prozent pro Jahr in den ersten zwei, drei Jahren der Entschuldungsphase.

In der Vergangenheit hatten Länder im Entschuldungsprozess auch noch die Möglichkeit, die fehlende Nachfrage der inländischen Haushalte und Unternehmen durch das Ausland ausfüllen zu lassen. Besonders Deutschland war darin Meister – sogar Weltmeister.

Das ist aber keine wirkliche Option mehr. Denn was die heutige Situation besonders brisant macht, ist die globale Dimension des Entschuldungsprozesses. Es sind nicht einzelne mehr oder weniger kleine Volkswirtschaften betroffen, sondern mindestens die halbe Welt und darunter besonders heftig große Industrieländer wie die USA, Großbritannien oder Spanien. Das heißt, auf das Ausland als stabilisierenden Faktor können viele Länder nicht mehr bauen: Es können nicht alle Länder gleichzeitig ihre Nettoexporte erhöhen.

Das ist übrigens auch eine Lehre der Großen Depression der 30er Jahre. Da hatten auch die meisten Länder versucht, sich durch Beschränkung der Importe und Förderung der Exporte an den Nachbarländern gesundzustoßen. Aber das geht nun mal nicht, wenn alle es machen. Die Konsequenz war ein Zusammenbruch des Handels und der Beschäftigung und schließlich auch der Zweite Weltkrieg.

Wegen der globalen Dimension der Krise befürchten die McKinsey-Ökonomen wohl zu Recht, dass der Entschuldungsprozess länger dauern wird als die sechs bis sieben Jahren, die sie in ihrer Studie im Schnitt für den Entschuldungsprozess einzelner Länder beobachtet haben. Es sei deshalb auch damit zu rechnen, dass die Weltwirtschaft über einen längeren Zeitraum weiter anfällig für Störungen bleibt und die Verschuldung der Staatshaushalte stark ansteigen wird.

Und das muss sie wohl. Denn wenn die Wirtschaftspolitik der um sich greifenden Sparanstrengung nichts entgegenhält, kann sich die Rezession zur Depression ausweiten. Wenn Haushalte, Unternehmen und das Ausland sich für längere Zeit als Nachfrager zurückhalten, bleibt nur noch der Staat übrig. Indem er seine Ausgaben erhöht, stabilisiert er das gesamtwirtschaftliche Einkommen, das sich sonst in einer Abwärtsspirale befinden würde.

Dabei ist der Anstieg der Staatsverschuldung in der Welt natürlich ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite war die bisherige expansive, kreditfinanzierte Ausgabenpolitik notwendig, um ein Abgleiten in die Depression zu verhindern. Was wohl gelungen ist. Mittlerweile hat sich der Begriff „Große Rezession“ für die aktuelle Wirtschaftskrise eingebürgert. Die Gefahr ist allerdings noch nicht gebannt. Man sollte sich davor hüten, zu früh einen Politikwechsel einzuleiten.

Deshalb verweisen die Autoren der Studie auch nachdrücklich auf die Erfahrungen der USA in den 30er Jahren, als die Wirtschaftspolitik 1937 die Zügel voreilig anzog und eine zweite Rezession verursachte. Auch das Beispiel Japans sollte abschrecken. Dessen Regierung war nach der großen Finanzkrise Anfang der 90er Jahre zu schnell wieder auf Sparkurs umgeschwenkt und hat damit die bis heute anhaltende Wachstumsschwäche verlängert.

Auf der anderen Seite befürchten die Ökonomen, dass die steigende Verschuldung der Staaten dazu beiträgt, den gesamtwirtschaftlichen Entschuldungsprozess zu verzögern. Der Druck auf die Privaten, ihre Bilanzen zu bereinigen, wird geringer, wenn die öffentlichen Haushalte die Rolle des Stabilisators übernehmen. Auch die Belastungen durch den Schuldendienst wird noch mancher Regierung Probleme bereiten. Es wird eine politische Debatte darüber geben müssen, wer die Folgen der Krise finanzieren soll. Die Senkungen der Einkommenssteuern, wie sie jetzt diskutiert werden, würden etwa besonders Gutverdiener aus der Finanzierung der Krisenfolgen herausnehmen.

Die entscheidende Frage ist aber, was die Alternative zu schuldenfinanzierten höheren Staatsausgaben wäre: Würde auch der Staat bei schrumpfender Wirtschaft sparen, gäbe es ein noch geringeres Wachstum. Die Steuerausfälle würden noch größere Löcher in die Haushaltskassen reißen und damit am Ende – bei sehr viel höherer Arbeitslosigkeit – würde der Schuldenberg noch größer sein.