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Sparen ist eine schlechte Idee

 

Spanien, Portugal und erst recht Griechenland sollen jetzt sparen bis zum Umfallen, sonst würden sich die Finanzmärkte gar nicht mehr beruhigen. Und nicht nur die Problembären der Eurozone sollen sparen, auch der Rest, Deutschland und Frankreich voran. Sarkozy und Merkel haben das schon mal angemerkt. Es ist richtig, dass die öffentlichen Haushalte durch die Krise (Bankenrettung und Konjunkturhilfen) arg gebeutelt wurden, und dass man in der mittleren Frist die Schulden auch wieder abbauen muss.

Dabei gibt es nur einige Fragen. Erstens, wenn die Staaten der Eurozone jetzt sparen, machen sie da nicht das zarte Pflänzchen Konjunktur, das jetzt anfängt zu sprießen, gleich wieder kaputt? Und zweitens, wenn dem so sein sollte (was sehr wahrscheinlich ist), was passiert dann mit den Einnahmen aus Steuern und Abgaben? Richtig, sie werden weiter sinken, und damit die Sparabsicht der Regierungen durchkreuzen. Wenn der Staat zu viel spart, reißt er die ganze Wirtschaft mit sich – und die Defizite werden dann genauso hoch, wenn nicht sogar höher sein als vorher. Das Bundesfinanzministerium oder die Forschungsinstitute sollten das doch mal ausrechnen: Welcher Effekt des Sparens wird denn überwiegen in nächster Zukunft?

Wie ich schon an anderer Stelle ausgeführt habe, ist das Sparen in der momentanen weltwirtschaftlichen Situation besonders schlecht, weil außer vom Staat von nirgendwo anders die Nachfrage kommt. Was die europäischen Regierungen jetzt trotzdem zur Verkündung verstärkter Sparanstrengungen treibt, ist der Griechenland-Schock – die Angst vor den Finanzmärkten, an denen sich plötzlich der Glaube an Staatspleiten breit macht und eine Panik auslösen kann. Aber sollte man Angst vor der Angst der Finanzmärkte haben? Schon der ehemalige US-Präsident Roosevelt wusste: “The only thing we have to fear is fear itself” – bevor er den amerikanischen Finanzsektor ordentlich an die Regulierungskandare nahm, um das unkontrollierte Auf und Ab an den Märkten zu erschweren.

Wie wirtschaftlich kontraproduktiv extrem restriktive Maßnahmen zur Beruhigung der Finanzmärkten sind, hat das unabhängige Evaluierungsbüro des IWF (IEO) schon vor einiger Zeit aufgeschrieben. In einem heute wieder hoch aktuellen Report aus dem Jahr 2003 analysieren die Ökonomen die IWF-Politikempfehlungen zur Fiskalpolitik in den Finanzkrisen der 90er Jahre, besonders in den Schwellenländern. Interessantes ist da zu lesen.

Zum Beispiel hat das IEO herausgefunden, dass der IWF oft viel zu ambitionierte Ziele für die Senkung der fiskalischen Defizite ausgegeben hatte. Eine Begründung für die harschen – und unrealistischen – Konsolidierungsvorgaben an die Staatsfinanzen war deren Signalwirkung an die Finanzmärkte. Der Mangel an Glaubwürdigkeit der Regierungen, so der IWF, müsse dadurch überkompensiert werden, indem die Staaten mehr konsolidieren als wirtschaftlich vernünftig wäre. Um es etwas anders zu sagen: Die Märkte müssen daran glauben, dass ein Land alles tut, um seine Schulden zu bezahlen. Das Problem dabei ist nur, dass das zu sehr hoher Arbeitslosigkeit führen kann, die mit klassischen keynesianischen Nachfrageprogrammen oft hätte vermieden werden können.

Was beim Konsolidieren im Hauruckverfahren passieren kann, haben besonders zwei viel gelobte Länder seit der Krise erfahren – Lettland und Estland. Die Finanzmärkte haben die Konsolidierungsbemühungen zwar damit belohnt, dass sie ihr Geld in den Ländern gelassen haben, und diese damit ihre Parität gegenüber dem Euro halten konnten. Der Preis dafür war bloß, dass beide Ökonomien jetzt an die zwanzig Prozent Arbeitslosigkeit verzeichnen und die Wirtschaftsleistung um 20 und 25 Prozent gefallen ist. Glückwunsch, die Märkte glauben den Regierungen, wenn sie ihr Volk dermaßen bluten lassen, und lassen ihr Geld im Land. Das erinnert etwas an Ceausescu, den rumänischen Diktator, der sein Volk verhungern ließ, um für die Ehre des Vaterlandes jeden Dollar Auslandsverschuldung zurückzuzahlen.

Heißt das, dass Griechenland sich jetzt munter weiter Geld leihen sollte, um es auszugeben? Natürlich nicht. Es heißt aber, dass es wenig Sinn macht, überambitioniert zu sparen, weil damit die griechische Wirtschaft stärker belastet wird als nötig. Das hatte vor den Finanzmarkteskapaden um Griechenland auch die OECD so gesehen, wie Thomas Fricke recherchiert hat. Das große Sparen ist aber ganz sicher nicht für Spanien geeignet, dessen öffentliche Schulden zu Beginn der Krise sehr gering waren – 2007 lag die Schuldenstandsquote bei 36,2 Prozent des BIP. Spanien hatte nämlich im Gegensatz zu Griechenland seit der Euroeinführung keine nennenswerte Haushaltsdefizite und von 2005 bis 2007 sogar beträchtliche Überschüsse (zwischen einem und zwei Prozent des BIP).

Wer unbedingt weiter Geld ausgeben muss, sind Deutschland und Frankreich. Sie müssen damit ihre eigene Arbeitslosigkeit gering, ihre Wirtschaft am laufen und die Eurozone am wachsen halten. Jede Angst vor den Finanzmärkten wäre verfehlt, denn die lassen Länder auch fallen, wenn es kein Wachstum gibt.

Allerdings bleibt bei allen Fragen um die Fiskalpolitik das Problem der Wettbewerbsunterschiede im Euroraum unbeantwortet. Ob man Deutschland für seine reale Abwertung der letzten Jahre verantwortlich macht oder die Südländer für ihre Aufwertung, es bleibt, dass die realen Wechselkurse ein riesiges Problem für die Währungsunion sind.

Denn auch wenn die Löhne in Deutschland stark ansteigen würden (sehr unwahrscheinlich) und die Löhne in den südlichen Ländern nominal sinken würden (noch unwahrscheinlicher): Das könnte die großen Unterschiede schwer ausgleichen. Paul Krugman hat ausgerechnet, dass die Löhne der Defizitländer um zwanzig bis dreißig Prozent relativ zu Deutschland fallen müssten, um die realen Wechselkurse anzupassen. Lettlands riesenhafte Arbeitslosigkeit hat die Lohnkosten nur um fünf Prozent gedrückt, so Krugman. Wie viel Wachstum müsste in Deutschland entstehen, um nach der Lohnstagnation der letzten 15 Jahre die Lohnkosten schnell um zehn Prozent steigen zu lassen? Um wie viel mehr müsste die ohnehin schon hohe Arbeitslosigkeit der Südländer steigen, um die Lohnkosten um zehn Prozent oder mehr zu senken? Schon Keynes wusste in seiner General Theory, dass Lohnsenkungen dieser Größenordnung eigentlich nur in Diktaturen möglich wären. Krugman hat Recht, wir müssen uns sehr ernsthaft darüber Gedanken machen, wie es mit dem Euro weitergehen kann.