Ist der Sozialstaat an der vermeintlich ausufernden deutschen Staatsverschuldung schuld? Das ist die Frage, die die Politik bewegt und über die wir bekanntlich an dieser Stelle gerade eine kleine, aber feine Auseinandersetzung mit Rainer Hank von den Kollegen von Wirtschaftliche Freiheit führen. Im Kern geht es um die Frage, ob unser Wohlfahrtsstaat wie eine Krake immer mehr Ressourcen bindet und nicht mehr – beziehungsweise nur durch immer höhere Schulden – finanzierbar ist. Ich habe das bezweifelt. In seiner Antwort verweist Hank auf die in der Tat stetig steigende absolute Staatsverschuldung von inzwischen fast 1700 Milliarden Euro. Das ist die berühmte Schuldenuhr. Aber deren Aussagekraft geht gegen Null.
Die Schulden wachsen in der Tat, seit es die Republik gibt, aber die Wirtschaft wächst natürlich mit. Deshalb ist für die Frage der Finanzkraft des Staates nur die Schuldenquote – also der Anteil der Verschuldung am Bruttoinlandsprodukt relevant. Sehen wir uns diese Grafik einmal an (die Daten stammen von der Webseite des Sachverständigenrats).
Leider beginnt die Reihe erst 1970. In der Tat stieg die Schuldenquote in den berühmt-berüchtigten siebziger Jahren an. Von 18,6 Prozent des BIP im Jahr 1970 auf 29,7 im Jahr 1979. Genau: 29,7 Prozent! Ein lächerlicher Wert aus heutiger Sicht. Und es kommt noch besser: 1991 sind wir bei 40,4 Prozent. Auch nicht gerade ein Indiz für Hyperinflation oder Staatspleite.
Richtig rund geht es – ganz genau – nach der Wiedervereinigung. Bis zum Jahr 1999 steigt die Verschuldung auf 60,9 Prozent des BIP. Es geht dann in der großen Krise nach dem Platzen der IT-Blase weiter als zusätzlich Hans Eichels Steuerreform über eine drastische Absenkung des Spitzensteuersatzes Milliarden auf Kosten des Staates in die Taschen der Reichen schob.
Und zum Thema Staaten können nicht sparen – die Reversibilität der Fiskalpolitik für die Ökonomen unter uns: Es ist keineswegs so, dass die Schuldenquote kontinuierlich steigt. Die Staatsverschuldung fiel zum Beispiel von 68 Prozent im Jahr 2005 auf 65 Prozent 2007. Dann kam die große Krise und jetzt klettert sie natürlich wieder nach oben.
Fazit: Man kann argumentieren, der Osten war es, oder die große – angeblich sozialdemokratische – Steuersenkung oder vielleicht Internet- und Kreditexzesse. Mit dem Sozialstaat hat die deutsche Staatsverschuldung praktisch nichts zu tun.
Und nur am Rande: Das Konzept der impliziten Staatsverschuldung, das an dieser Stelle von Raffelhüschen & Co gerne angeführt wird, ist methodisch höchst problematisch: Dabei wird ja davon ausgegangen, dass die Rahmenbedingungen unverändert bleiben, und das Ergebnis dann zuzusagen abdiskontiert auf die Gegenwart. Das ist aus folgenden Gründen unlauter. Wenn es in 100 Jahren in Deutschland kaum noch junge Leute gibt, dann werden natürlich die Menschen länger arbeiten oder die Renten gekürzt oder beides. Aber darum kümmere ich mich dann in 100 Jahren.
Update: Eine Reihe von Kommentatoren macht zu Recht darauf aufmerksam, dass ein wichtiger Indikator der Anteil der Sozialausgaben am BIP sei. Davon war in vorherigen Beiträgen aus der Debatte schon die Rede, deshalb fehlt er hier. An dieser Stelle nur grob, später mit Grafik: Sie stagnieren seit Jahren bei ungefähr 30 Prozent. q.e.d.
Update II: Die versprochene Grafik mit den korrekten Werten ist hier.