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Policies oder Politics?

 

Worüber soll ein Journalist berichten, anhand welcher Kriterien Sachverhalte bewerten? Das ist eine Frage, mit der sich – wahrscheinlich ohne voneinander zu wissen – kürzlich Paul Krugman und Dirk Kurbjuweit vom Spiegel (kein Link) beschäftigt haben.

Kurbjuweit schreibt:

Journalisten dagegen malen die Prozesse der Politik sehr genau ab, sie sind in erster Linie die Chronisten des Hässlichen, und auch das ist ein edler Teil ihres Jobs. Die Demokratie ist eine Staatsform, die den Prozess mindestens so hoch einschätzt wie das Ergebnis. Die Politik soll nicht um jeden Preis gute Ergebnisse erzielen, sie soll Regeln einhalten, sie soll den Prozess bis zu einem Ergebnis unbedingt demokratisch organisieren. Deshalb kann man nicht falschliegen, wenn man Prozessen eine hohe Bedeutung zumisst.

Dagegen Krugman:

Long ago — basically when I started writing for the Times — I decided that I would judge the character of politicians by what they say about policy, not how they come across in person. This led me to conclude that George W. Bush was dishonest and dangerous back when everyone was talking about how charming and reasonable he was. It led me to conclude that Colin Powell couldn’t be trusted, back when everyone said his UN speech clinched the case for war.

Warum ist das wichtig? Weil es im Prinzip um zwei Betrachtungsweisen des politischen Betriebs geht. Die eine beschäftigt sich damit, wer gerade gewinnt und wer verliert im täglichen Kampf um die Macht, wer angezählt ist und wer eine gute Figur macht. In der angelsächsischen Politikwissenschaft nennt man das politics. Die andere schert sich nicht viel um Machtspielchen und Personen, sondern fragt, ob die jeweiligen Konzepte inhaltlich angemessen oder unangemessen sind – auch gerechtigkeitstheoretischen, ökonomischen oder anderen Gründen. Im Vordergrund stehen also die policies.

Politik hat natürlich beide Dimensionen (genauer genommen sind es drei, polities, also die Institutionen fehlen noch) – ich stimme aber Krugman zu, dass wir uns viel zu viel mit dem Kampf um die Macht beschäftigen und viel zu wenig mit der inhaltlichen Qualität der Vorschläge. Das lässt sich schon aus den in einem typischen Nachrichtentext verwendeten Verben erkennt. Da setzt sich jemand durch oder erleidet eine Rückschlag oder es wird ihm zur Seite gesprungen etc.

Was ist die Ursache dieser Entwicklung? Nun – politics ist einfach spannender als sich, sagen wir, mit der Rentenformel auseinanderzusetzen oder der Außenwirtschaftsbilanz. Das ist die Nachfrageseite. Die Angebotsseite: Der Kampf um die Macht ist leichter zu verstehen und lässt sich flotter erzählen als Inhalte. Und Journalisten erzählen nun einmal gern.