Die neuen Bilanzrelationen für Banken, die gerade in Basel vereinbart wurden und im November von der G20 abgesegnet und für verbindlich erklärt werden dürften, sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber insgesamt viel zu zaghaft. Es wird sehr lange dauern, bis sie flächendeckend eingeführt sind, nämlich bis 2019 – und in Deutschland teilweise sogar nicht vor 2023 -, der Reformprozess im Bankensektor wird daher erst einmal verzögert, wenn nicht sogar gestoppt, und die Notenbanken, vor allem die EZB, werden unerträglich lang in der Geiselhaft der Banken bleiben.
Warum soll mehr Eigenkapital in Relation zu Krediten und Wertpapieren vorgehalten werden als bisher? Der Auslöser für die Basler Beschlüsse war natürlich die globale Bankenkrise, die im August 2007 begonnen hatte. Sie hatte die tiefste globale Rezession der Nachkriegszeit ausgelöst. Die Banken wurden jahrelang an einer langen Leine geführt: Mit einer äußerst geringen Kapitalausstattung, dafür umso mehr geliehenem Geld konnten sie ein großes Rad drehen. Sie sind ohnehin die boom-and-bust-Branche par excellence. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie sich im großen Ganzen darauf verlassen können, dass man sie nicht Konkurs gehen lassen kann, vor allem wenn sie groß und global eng vernetzt sind. Sie gelten als „systemisch“ relevant: Wenn man sie über die Wupper gehen ließe, könnte sie das gesamte marktwirtschaftliche System in den Ruin treiben, so die unbewiesene Behauptung. Diese Gewissheit erhöht ihre Risikofreude auf beängstigende und fast schon strukturelle Weise.
Basel III muss als ein weiterer Versuch gesehen werden, die Banken zu bändigen. Auch er wird scheitern. Die Finanzlobby ist zu einflussreich, die Materie zu komplex und Siege auf diesem Feld bringen Politikern keine Stimmen. Der ökonomische Sachverstand ist in den Parlamenten und Parteien durchgängig unterentwickelt, Juristen und Staatsdiener dominieren.
Im Euroraum war das Volumen der Kredite an den privaten Sektor von Anfang 1999, dem Beginn der Währungsunion, bis zum Herbst 2008 (Konkurs von Lehman Brothers!) etwa doppelt so rasch gestiegen wie das nominale Sozialprodukt, das in dieser Zeit im Jahresdurchschnitt um 4,1 Prozent pro Jahr zugenommen hatte. Ein großer Teil der Kredite, der nicht direkt für die Produktion und den Kauf von Gütern und Dienstleistungen benötigt wurde, floss offenbar in Aktien, Immobilien, die berüchtigten Derivative auf subprime loans und dergleichen. Im Rest der Welt war es nicht viel anders. Daraus entstanden dann die diversen Blasen.
Eine Blase ist an den Finanzmärkten durch einen ungewöhnlich starken Anstieg von Kursen und Preisen charakterisiert, der fundamental nicht zu begründen ist. Die Anleger, einschließlich der Banken selbst, verdrängen die Binsenweisheit, dass die Wert der Aktiva eigentlich von den realistischerweise zu erwartenden Mieten, Zinsen oder Dividenden abhängt, von nichts anderem. Es herrscht regelmäßig eine euphorische Stimmung. Die Hausse treibt dann die Hausse, vor allem wenn es leicht fällt, Kredite zu bekommen – weil der Wert der zu hinterlegenden Sicherheiten ständig zunimmt. Es gibt keine Blasen ohne eine leichtfertige Kreditpolitik der Banken, ohne einen starken Anstieg der Schulden von Haushalten und Unternehmen.
Blasen platzen immer. Je größer sie sind, desto größer ist hinterher der Katzenjammer. Der hat seine Ursache vor allem darin, dass die Schulden den reduzierten Wert der Häuser, Aktien und Derivate übersteigen. Dann ist Sparen angesagt, also Konsumverzicht, und je extremer gespart werden muss, desto tiefer ist die Rezession, desto länger dauert es, aus dieser Falle herauszukommen. In einer Rezession, wenn also die Löhne nur langsam steigen, links und rechts Arbeitsplätze verloren gehen und die Gewinne einbrechen, fällt es besonders schwer, Schulden abzubauen. Es ist ein Teufelskreis: Ich muss sparen, aber indem ich das tue, vertieft sich die Rezession, und ich muss noch mehr sparen. Wenn dann noch das allgemeine Preisniveau sinkt, so wie in Japan, steigt der reale Wert der Schulden und ich muss schließlich auf Misosuppe und Reis umsteigen, ohne Beilagen.
Die Kreditvergabe der Banken läuft, historisch gesehen, immer wieder neu aus dem Ruder. Kämen die Leute nicht so leicht an das Geld der Banken, könnten sie sich nicht so leicht für etwas verschulden, was sich irgendwann als überteuert herausstellen wird. Da muss jede Reform ansetzen. Typischerweise haben die Banken eine Eigenkapitalquote von etwa fünf Prozent (Anteil an der Bilanzsumme) – die restlichen 95 Prozent leihen sie sich von Sparern und Notenbank. Wenn die Stimmung richtig gut, die Inflation also niedrig und das Wachstum robust ist, bekommen sie diese Fremdmittel fast zum Nulltarif, jedenfalls zu viel niedrigeren Zinsen als die, die sie auf Kredite, Wertpapiere und andere Anlagen bekommen.
Wenn es dann auch noch an „normalen“ oder nicht besonders lukrativen Anlagemöglichkeiten fehlt, genannt Anlagenotstand, weichen die Banken zunehmend auf riskantere Aktien und Immobilien aus, auf Kredite an schlechte Schuldner und exotische Finanzprodukte. Sie setzen dabei oft einfach darauf, dass ein Bieterwettbewerb deren Preise wegen der angeblichen Knappheit immer weiter in die Höhe treiben wird. Cash Flows sind für Spießer – „Wertgewinn“ ist in solchen Zeiten das Zauberwort. Die Banken und Broker überreden zudem ihre Kunden, Hypotheken für Zweitwohnungen und Kredite für den Kauf von Derivaten und obskuren Finanzinstrumenten aller Art aufzunehmen, also größere Risiken einzugehen.
Wenn es den Banken nicht gestattet wäre, sich relativ zu ihrer Eigenkapitalbasis so viel Geld zu leihen, und das oft zu Konditionen, die de facto Subventionen darstellen, gäbe es auch keine Kreditpyramiden und Vermögensblasen, die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen und tiefen Rezessionen wäre geringer, das Sozialprodukt nähme stetiger zu und die Haushalte und Unternehmen könnten sich zu günstigeren Konditionen verschulden – weil die von den Gläubigern geforderten Risikoprämien geringer wären. Das ist der tiefere Grund, weswegen mit Basel III vor allem versucht wird, die Banken durch ein größeres Eigenkapitalpolster zu zwingen, mit einem kleineren Anteil an Drittmitteln auszukommen, den sogenannten Hebel also zu verkürzen.
Die Banken haben, aus ihrer Sicht verständlich, dagegen gekämpft, dass die neuen Anforderungen zu radikal ausfielen. Zur Zeit brauchen sie nur ein Aktienkapital in Höhe von 2 Prozent ihrer risikogewichteten Aktiva zu halten („Kernkapitalquote“), nach Basel III werden sie dagegen 7 Prozent vorhalten müssen. Diese 7 Prozent setzen sich zusammen aus einer neuen Kernkapitalquote von 4,5 Prozent und einem Risikopuffer von 2,5 Prozent. Außerdem wird diskutiert, dass die Aufsichtsbehörden bei Bedarf, also bei Überhitzung, antizyklisch weitere 2 Prozent an Kernkapital verlangen können. Ebenfalls noch in der Diskussionsphase ist der Vorschlag, für die allergrößten Banken der Welt einen zusätzlichen „systemischen“ Kapitalpuffer von 1 bis 2 Prozent einzuführen. Banken wie JPMorgan oder die Deutsche müssten in der nächsten globalen Bubblephase daher eine Kernkapitalquote von 11 Prozent vorhalten. Das klingt nach viel, und hätte theoretisch den gewünschten Effekt – nur haben einige der großen Banken dank ihres Zugangs zum Kapitalmarkt schon jetzt solche Quoten. Simon Johnson vom MIT, der frühere Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds hält die neuen Quoten zu Recht für viel zu niedrig. In der Süddeutschen Zeitung wird er mit dem Satz zitiert: „Selbst Pessimisten, die ich kenne, sind enttäuscht. Es hätten mindestens 15 Prozent (statt 7 Prozent Kernkapital) werden müssen, und in guten Jahren 20 Prozent.“ Kein Wunder, dass sich die Aktienkurse der finanzschwachen Banken nach der Verkündigung der Beschlüsse deutlich erholten.
Für kapitalschwache Institute wie die Landesbanken werden allerdings auch die jetzigen Pläne zu fast nicht zu meisternden Problemen führen. Aber ist es nicht ohnehin an der Zeit, dass in dem Sektor endlich mal gründlich aufgeräumt wird? Wieso brauchen die Landesfürsten solche Spielzeuge? Dutzende Milliarden an Steuergeldern sind in der Vergangenheit in das tiefe Loch genannt „Landesbanken“ gekippt worden. Was hätte dafür an nützlichen Dingen alles finanziert werden können! Die Landesbanken sind ein deutsches Strukturproblem.
Leider verzögern die Basler Beschlüsse den Anpassungsprozess sehr (bis 2015 beziehungsweise 2019 beziehungsweise sogar 2023). Die Vorstellung ist offenbar, dass dadurch den Banken, die nicht so leicht an neues Eigenkapital kommen können, die Möglichkeit gegeben wird, durch einbehaltene Gewinne und reduzierte Boni für die Manager und andere Mitarbeiter aus eigener Kraft ihren Kapitalstock zu vergrößern. Zum Einen heißt das, dass die EZB auf Jahre hinaus dafür sorgen muss, dass die Banken Gewinne machen können – sie muss für eine dauerhaft positiv geneigte Zinskurve, also sehr niedrige Geldmarktsätze sorgen, auch wenn das vielleicht angesichts der Inflationsentwicklung nicht situationsgerecht wäre; sie macht sich auf diese Weise zum „fiscal agent“ des Staates und verliert an Unabhängigkeit (genau wie die Fed, die Bank of England und die Bank of Japan, von anderen Notenbanken gar nicht zu reden). Wer will das?
Höhere Eigenkapitalquoten sind zwar nützlich, sie sind aber nur eins von mehreren Mitteln, mit dem das volkswirtschaftlich so teure boom-and-bust-Modell des Sektors bekämpft werden kann. Auch Banken, die ein dickes Kapitalpolster haben, können Konkurs gehen, wenn sie sich verspekuliert haben. Der Versuch, so etwas wie Glass-Steagall wieder einzuführen, wird immer wieder abgeschmettert. Wir brauchen auf Dauer aber einen strikt regulierten „langweiligen“ und nur normal profitablen Sektor, der sich mit den Grundfunktionen der Banken befasst, und der im Ernstfall vom Staat gerettet wird, sowie einen nur leicht regulierten Finanzsektor, in dem sich wesentliche Teile des Investment Banking und der Hedge Funds wiederfinden würden, für den es aber keinerlei staatliche Auffangnetze gäbe.
Dazu gehört vermutlich auch, dass die Banken kleiner werden müssen. Von einer bestimmten Größenordnung an sollten die Eigenkapitalvorschriften prohibitiv teuer werden, so dass es gegenüber den kleineren Akteuren zu Wettbewerbsnachteilen kommt. Das ist ein Tabuthema. Schließlich würde ich mir auch wünschen, dass der Finanzsektor insgesamt kleiner wird. Es kann nicht angehen, dass in manchen Jahren ein Drittel bis die Hälfte der Unternehmensgewinne aus dem Finanzsektor stammt. Noch hat niemand belegen können, dass das Wachstum der Volkswirtschaft positiv mit der Größe des Sektors korreliert ist. Vielleicht würden dann auch nicht so viele kluge junge Menschen Finance studieren wollen, eine per Saldo ziemlich irrelevante Disziplin.
I get carried away, und höre daher an dieser Stelle auf. Schönes Wochenende!