Jürgen Stark ist als Chef-Volkswirt der EZB zurückgetreten. Warum ist das wichtig? Weil Stark die deutsche Radikal-Position des ewigen „Njet“ zu allen unorthodoxen Maßnahmen zur Eurostützung vertritt wie kein anderer: Die EZB darf bloß keine Staatspapiere aufkaufen und eine aktive Fiskalpolitik sei des Teufels. So hört man auch viele Politiker in Deutschland, den Niederlanden oder Finnland. Bloß ist die Konsequenz der Njet-Position bis jetzt gewesen, dass die Krise immer schlimmer, die Zinsaufschläge immer höher geworden sind. Nun empfiehlt der zurückgetretene Stark, die Krise werde sich schon legen, wenn die Politik in der Eurozone erst richtig spart. Denn so würde sie Vertrauen schaffen. So schreibt er heute im Handelsblatt:
„Im gegenwärtigen Umfeld ist daher eher davon auszugehen, dass positive Vertrauenseffekte aufgrund solider Finanzpolitik beträchtlich sein werden, was Fallstudien bestätigen: Ambitionierte Anpassungsprogramme gehen bereits nach kurzer Zeit mit positiven Wachstumseffekten einher.“
Bloß auf welche Fallstudien bezieht sich Stark? Wer die Debatte der letzten Jahre etwas genauer verfolgt hat – Aufgabe des Chefvolkswirts wäre so etwas ja gewesen – kommt zu ganz anderen Schlüssen. Besonders instruktiv ist eine Studie des unabhängige Evaluierungsbüro des IWF (Independent Evaluation Office – IEO). Dort hat das IEO 2003 genau analysiert, ob „positive Vertrauenseffekte“ durch strenge Haushaltsdisziplin zu mehr Wachstum in den Ländern geführt haben, die der IWF zum Sparen verpflichtet hat. Das IEO stellt fest, dass das nicht der Fall war – und das nicht auf Grundlage ominöser Fallstudien, sondern einer breiten Analyse von mehr als hundert IWF-Sparprogrammen
Das IEO findet heraus, dass die Wachstumsprognosen in den meisten Fällen viel zu optimistisch waren. Auf denen beruhen aber die Ziele zur Reduktion der staatlichen Defizite. Deswegen wurden die Defizitziele auch regelmäßig verfehlt. Das ist eigentliche keine originelle Erkenntnis: Wenn der Staat in einer Wirtschaftskrise spart, reduziert sich das Einkommen der Haushalte und der Unternehmen, und damit steigen auch automatisch die Defizite. Wenn das Wachstum ausbleibt, entstehen dem Staat weniger Einnahmen, weil ihm die Steuern wegbrechen. Gleichzeitig hat er mehr Ausgaben, etwa für Sozial- und Arbeitslosenhilfe – die Defizite steigen automatisch, gerade wenn der Staat durch radikales Sparen die Wirtschaft selbst nach unten treibt. Wie soll aber mehr Vertrauen entstehen, wenn die Arbeitslosigkeit immer weiter steigt und Unternehmen Pleite gehen? Das ist eine Vorstellung aus dem ökonomischen Märchenland. Es ist das Märchen von der Vertrauensfee, die mit ihrem Zauberstab Unternehmen, die kurz vor der Pleite stehen, investieren lässt und das Geld der Finanz-Anleger begeistert in eine schrumpfende Wirtschaft lockt.
Die Realität ist freilich eine andere und Griechenland dafür im Moment eine besonders gute „Fallstudie“: Die griechische Regierung hat allein 2010 ihr Haushaltsdefizit in Prozent des BIP um fünf Prozentpunkte reduziert. Das war eine Herkulesaufgabe – der IWF berichtet, dass Länder unter seiner Kuratel ihr Defizit im Durchschnitt nur um 1,7 Prozentpunkte reduziert haben. Aber nicht in einem, sondern in zwei Jahren. Haben die Finanzmärkte die starken Kürzungen – die mittlerweile regelmäßig zu Straßenschlachten in Athen führen – honoriert, haben sie Vertrauen in die griechische Regierung gefasst? Natürlich nicht, die Renditen sind immer weiter von Rekordhoch zu Rekordhoch gestiegen und das Wachstum bleibt ohne das Wirken der märchenhaften Vertrauensfee stetig hinter den Erwartungen zurück; das soziale Elend in Griechenland nimmt zu.
Das alles hätten die EU und vor allem die EZB mit ihrem Chefvolkswirt wissen können, wenn sie sich die Mühe gemacht hätten, sich die konkreten Fallbeispiele – wie der IWF sie vorgelegt hat und wie sie in den Zeitungen jeden Tag beschrieben werden – mal anzuschauen. Besonders die Griechen, aber auch Spanier, Iren, Portugiesen, Italiener und damit ganz Europa müssen unter der Vorstellung von der Märchenökonomie einiger Chefvolkswirte leiden. Jetzt ist es einer weniger.