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Deutsche Konjunktur: robust trotz – oder wegen? – der Eurokrise

 

Noch ist die Eurokrise nicht in unserer Realwirtschaft angekommen. Die Arbeitslosigkeit sinkt nach wie vor, und die Stimmung der Unternehmer könnte besser nicht sein. Angesichts dessen, was so um uns herum passiert, ist das ziemlich verblüffend.

Der Internationale Währungsfonds hat gerade die Prognose für das Wachstum des realen BIP Deutschlands im Jahr 2012 gegenüber seiner Septemberprognose um nicht weniger als einen vollen Prozentpunkt auf 0,3 Prozent gesenkt, für die Europäische Währungsunion sogar um 1,6 Punkte auf jetzt -0,5 Prozent. Es sieht also überhaupt nicht gut aus. Der Kontinent steht vor der zweiten Rezession innerhalb von drei Jahren. Die gesamtwirtschaftliche Produktion wird unter das Niveau von 2008 fallen. Besonders betroffen sind Italien und Spanien, die dritt- und viertgrößten Volkswirtschaften Eurolands, wo das Sozialprodukt voraussichtlich um 2,2 beziehungsweise um 1,7 Prozent zurückgehen wird. Mittel- und Osteuropa ist derweil ebenfalls ins Schleudern gekommen und dürfte nur noch mit einer Rate von 1,1 Prozent statt der bislang üblichen 4,5 Prozent expandieren; es handelt sich immerhin um den wichtigsten deutschen Absatzmarkt außerhalb Eurolands, vor Großbritannien, den USA oder China.

Auch das globale Sozialprodukt wird nach den Schätzungen des IWF viel langsamer zunehmen als noch vor wenigen Monaten erwartet, nämlich um 3,3 Prozent statt 4,0 Prozent. Wie immer basieren diese Zahlen auf den sogenannten Kaufkraftparitäten, also künstlichen Wechselkursen – nimmt man tatsächliche Wechselkurse und gibt damit den armen Ländern beim Aggregieren ein geringeres Gewicht, ergibt sich eine Zuwachsrate von nur 2,5 Prozent. Sie liegt um Einiges unter dem mittelfristigen Trendwert. Die globale Outputlücke wird also wieder größer und ein scharfer Anstieg der Arbeitslosenzahlen und damit der sozialen Spannungen ist so gut wie sicher. Angst vor steigenden Inflationsraten braucht man in einem solchen Szenarium natürlich nicht zu haben, oder dass die Notenbanken wieder die Zügel anziehen könnten. Die Flutung der Weltwirtschaft mit Liquidität wird weitergehen.

Grafik: Wachstum der Weltwirtschaft seit 1980

In diesem trüben realwirtschaftlichen Umfeld ist es erstaunlich, dass der ifo-Geschäftsklimaindex im Januar zum dritten Mal in Folge gestiegen ist, auf einen Wert von 108,3 – der Durchschnitt der Jahre seit 1991 liegt bei 100,7, und der Tiefpunkt (von Ende 2008) bei 84,6. Nicht nur dass die Geschäftslage hervorragend ist, auch die Erwartungen haben wieder gedreht und übertreffen ihren längerfristigen Durchschnittswert, wenn auch nur leicht. Müssten die Unternehmen angesichts der eskalierenden Eurokrise und der ständigen Reduzierung der Wachstumsprognosen nicht viel pessimistischer sein?

Grafik: ifo-Geschäftsklimaindex - Januar 2012

Das Statistische Bundesamt hatte vor einigen Tagen eine vorläufige Schätzung für die BIP-Zuwachsrate des Jahres 2011 vorgelegt. Danach war das deutsche Sozialprodukt im Durchschnitt real um 3,0 Prozent gestiegen, nach 3,6 Prozent im Jahr zuvor. Wenn man die Zahl genauer analysiert, erkennt man rasch, das es im vierten Quartal saisonbereinigt zu einem Rückgang gegenüber dem dritten Quartal von etwas weniger als 0,5 Prozent gekommen sein muss, was einer Verlaufsrate von -1,9 Prozent entspricht. Das schmeckt schon sehr stark nach Rezession, finde ich. Tendenziell bestätigt wird das Ergebnis durch die Zahlen zur Industrieproduktion, die es bis einschließlich November gibt. Danach ist diese im Vergleich zum dritten Quartal mit einer saisonbereinigten Verlaufsrate von 7,6 Prozent gefallen, wenn man unterstellt, dass der Dezemberwert dem Durchschnitt von Oktober und November entspricht. Die Auftragseingänge sind schon etwas früher eingebrochen und lagen, wieder auf der Basis Okt/Nov, real und annualisiert um 9,3 Prozent niedriger als im zweiten Quartal.

Hält die enge zeitversetzte Korrelation zwischen der Erwartungskomponente im ifo-Indikator auch weiterhin, könnte die Industrieproduktion im Vorjahresvergleich nach einem kurzen Ausflug ins Negative schon bald wieder expandieren. Warum eigentlich?

Grafik: Industrieproduktion und ifo-Geschäftserwartungen

Ja warum? Auch der deutsche Arbeitsmarkt ist für mich ein großes Rätsel. Die Unternehmen lassen sich immer noch nicht von der Eurokrise, oder den Lasten, die möglicherweise auf alle von uns zukommen könnten, oder den Revisionen der Wachstumsprognosen beeindrucken. Bis zuletzt haben sie ihre Belegschaften vergrößert – die Anzahl der Erwerbstätigen übertraf im November ihren Vorjahreswert um 1,3 Prozent. Selbst im Zeitraum August bis November, als sich die konjunkturellen Warnsignale bereits stark vermehrten, wurde im Verlauf noch eine Zuwachsrate von 0,9 Prozent erreicht. Wenn die Produktion sinkt, die Beschäftigung aber zunimmt, gehen Produktivität und Gewinne zurück. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Arbeitgeber nur mit einer Konjunkturdelle rechnen, nicht mit einem Einbruch. Sie machen sich mehr Sorgen um einen Fachkräftemangel als um einen nachhaltigen Gewinnrückgang. Hoffentlich haben sie recht.

Ich sehe vier mögliche Gründe für den erstaunlichen Optimismus der Unternehmer, ohne dass ich sagen kann, welcher der wichtigste ist, oder ob es eine ganz andere Erklärung gibt.

Erstens, so scheint mir, haben wir seit einiger Zeit einen belastbaren Sozialkontrakt, bei dem für die Arbeitnehmerseite der Erhalt ihrer Jobs im Vordergrund steht, auf der Arbeitgeberseite dagegen die stetige, nicht notwendigerweise die maximale Steigerung der Gewinne. Möglicherweise hat das verfügbare Einkommen inzwischen ein Niveau erreicht, bei dem es sich auskömmlich leben lässt, wo finanzielle Sicherheit Vorrang hat vor hohen Zuwachsraten. Offenbar wird die Einkommensverteilung nicht als schreiend ungerecht empfunden, jedenfalls im Durchschnitt.

Zweitens ist eine Expansionsrate der Weltwirtschaft von real 3,3 Prozent deutlich verschieden von Null – global wird es wohl keine Rezession geben, so dass von daher nur mit einer langsameren Zunahme der Exporte zu rechnen ist, keineswegs mit einem Rückgang. Ganz im Gegenteil: Da die deutschen Ausfuhren im Trend fast doppelt so rasch expandieren wie das reale Welt-Sozialprodukt, ist auch in diesem Jahr erneut mit einem kräftigen positiven Wachstumsbeitrag des Außenhandels zu rechnen. Die deutschen Unternehmen haben die Produkte im Angebot, die international benötigt werden. Das gilt vor allem auch für die Schwellenländer, die seit mehr als einem Jahrzehnt zweieinhalb- bis dreimal rascher wachsen als die Industrieländer.

durchschnittliche jährliche Wachstumsraten des realen BIP
in Prozent
  Welt Industrie-
länder
Schwellen-
und Entwicklungs-
länder
Deutschland
1980-89  3,2 3,1 3,5 1,9
1990-99 3,0 2,7 3,6 2,2
2000-08 4,1 2,3 6,5 1,6
2009-11 2,8 0,4 5,4 0,5
Quelle: Internationaler Währungsfonds

 

Drittens: der schwache Euro! Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit war schon lange nicht mehr so gut wie im Augenblick. Hätten wir noch die D-Mark, wäre es uns vermutlich so gegangen wie bis vor Kurzem der Schweiz. Wegen der hervorragenden Fundamentaldaten – gewaltiger Überschuss in der Leistungsbilanz, fast ausgeglichener Staatshaushalt – hätte sich die Mark so stark aufgewertet, dass sowohl im Inland als auch im Ausland Marktanteile verloren gegangen wären. Investitionen und Beschäftigung hätten entsprechend gelitten. Die Probleme unserer Partnerländer haben uns über den Umweg „schwacher Euro“ ein Beschäftigungswunder beschert. Wir sollten uns nicht ernsthaft beklagen und uns nicht allzu knauserig zeigen, wenn wir jetzt um Hilfe für die Anderen gebeten werden. Der Euro nützt uns sehr.

Grafik: Reale effektive Wechselkurse - Euro, Dollar; Yen

Und viertens: die niedrigen, real sogar negativen Zinsen! Die EZB kann nicht nur nicht bremsen, sie wird auf lange Sicht sehr expansiv bleiben. In Spanien, Italien, Irland, Portugal und selbst in Frankreich ist eine solche Politik dringend erforderlich, weil sie mit den Folgeschäden geplatzter Immobilienblasen zu kämpfen haben. Wir wissen inzwischen (wieder), dass die realwirtschaftlichen Probleme, die durch den forcierten Schuldenabbau verursacht werden, viele Jahre anhalten können. Der Kampf gegen eine drohende Deflation wird weiterzugehen haben. In Deutschland gab es keine Blasen, daher konnten auch keine platzen, und wir haben uns daher auch nicht mit den Folgeschäden herumzuschlagen – aber wir kommen trotzdem in den Genuss niedriger Zinsen. Wunderbar!