In der FT hat Wolfgang Münchau vorgeschlagen, Griechenland und Portugal pleitegehen zu lassen, sie jedoch in der Währungsunion zu halten. Um alle anderen Länder sollte eine Art Brandmauer („ringfence„) gezogen werden, weil sie solvent und in der Lage sind, ihre Schulden zu bedienen. Das gilt selbst für das hoch verschuldete Italien.
Ich habe Sympathie für die Idee: besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Die pro-zyklische Wirtschaftspolitik, zu der Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, ja selbst Frankreich zur Zeit gezwungen werden, damit die Haushalte wieder in Ordnung kommen und die Zinsbelastung tragbar bleibt, ist außerordentlich teuer und sollte so rasch es geht beendet werden. Die Währungsunion insgesamt hat kein Haushaltsproblem – das aggregierte Defizit wird von der OECD für 2012 auf 3,7 Prozent des BIP geschätzt -, sie hat ein Wachstumsproblem (außerdem natürlich ein Bankenproblem).
In den USA wird das staatliche Defizit in diesem Jahr bei etwa acht Prozent des BIP liegen. Bisher lässt die Regierung das ziemlich kalt. Sie setzt vielmehr darauf, dass es sich vor allem durch Wirtschaftswachstum vermindern wird, nicht durch höhere Steuern und Ausgabenkürzungen. Das reale BIP der USA wird 2012 voraussichtlich um 2,5 Prozent höher ausfallen als 2011, während das der Währungsunion um 0,7 Prozent schrumpfen dürfte, ein Unterschied von 3,2 Prozentpunkten. Nur damit die Größenordnung klar wird: Bezogen auf das BIP Eurolands (9.424 Mrd. Euro) entspricht das 302 Mrd. Euro, in einem einzigen Jahr! Wenn man will, könnte man das als die „laufenden“ Kosten der europäischen Restriktionspolitik bezeichnen. Die gesamten Staatsschulden Griechenlands und Portugals lagen 2011 bei etwa 530 Mrd. Euro. Wenn Euroland schon eine Fiskalunion hätte, und damit ebenso wie die USA einen handlungsfähigen Finanzminister, müsste keine selbstmörderische Finanzpolitik betrieben werden. Wegen der vergleichsweise gesunden Rahmenbedingungen – geringes Haushaltsdefizit, kleines Leistungsbilanzdefizit, große Outputlücke – könnte Eurolands Wirtschaft mindestens so rasch expandieren wie die amerikanische.
Auch wenn Griechenland alle Auflagen der Geldgeber erfüllt, wäre sein Schuldenstand im Jahr 2020 immer noch bei 120 Prozent des Sozialprodukts und damit nur tragbar, wenn die Realzinsen, die auf neue Schulden zu zahlen sind, deutlich negativ wären. Das ist unrealistisch, denn es erfordert einerseits ein kräftiges und dauerhaftes Wirtschaftswachstum und andererseits ein neues Vertrauen der Marktteilnehmer in die Kompetenz und Durchsetzungsfähigkeit der politischen Entscheidungsträger. Erst einmal werden die Sparprogramme die Rezession verschlimmern – im vergangenen Jahr ist das reale BIP gegenüber 2010 um etwa sechs Prozent geschrumpft, gegenüber 2008, dem letzten guten Jahr, waren es 13 Prozent, und am Ende diese Jahres könnten es leicht 20 Prozent sein. Die Arbeitslosenquote, die zuletzt 17,7 Prozent betrug, würde weiter steigen, sich womöglich verdoppeln. Die massiven Proteste in der Bevölkerung zeigen, dass sich eine revolutionäre Situation entwickelt. Dass sich in diesem Klima und in dieser desaströsen wirtschaftlichen Lage die überfälligen Strukturreformen durchsetzen lassen, ist unwahrscheinlich, denn aus was würden diese Reformen bestehen? Es ginge um eine höhere Steuerquote, eine gerechtere Verteilung der Steuerlast, ein effizientes System von Finanzämtern, um den Abbau der Personalkosten beim Staat, Rentenkürzungen, eine längere effektive Lebensarbeitszeit und so weiter. Nur damit Griechenland eines Tages wieder kapitalmarktfähig ist, wird ein kumulierter Verlust an Output hingenommen, der bis 2020 mindestens dem Gegenwert des jährlichen Sozialprodukts entspricht. Es könnte aber genauso gut auf das Zweifache hinauslaufen.
Grundsätzlich gibt es zwei Lösungen: ein Konkurs Griechenlands und Portugals, wie es Wolfgang Münchau vorschlägt, oder die Übernahme ihrer Schulden durch die übrigen Euroländer. Es reicht, wenn sie nur für den Teil eintreten, der über die 60-Prozentmarke von Maastricht hinausgeht. Das sind etwa 295 Mrd.Euro. In dieser Höhe würde sich der European Stability Mechanism ESM peu à peu verschulden, zu Zinsen, die nicht signifikant höher sein dürften als die von Frankreich. Dann könnte von heute auf morgen die pro-zyklische Finanzpolitik dieser beiden Länder beendet werden und es gäbe wieder Wachstum. Der Deal mit den beiden Krisenländern erfordert natürlich, dass ein europäischer Haushaltskommissar (oder der ESM, oder eine Art Rechnungshof) die nötigen Strukturreformen durchsetzt.
Gingen die beiden Länder pleite, wären von heute auf morgen ihre Haushaltsdefizite weg – sie können sich dann ja kein Geld mehr leihen. Der Druck, die Haushalte auf eine solide institutionelle Grundlage zu stellen, wäre gewaltig und würde vermutlich innerhalb kürzester Zeit die gewünschten Resultate bringen, und nicht erst 2020. Es gäbe aber so etwas wie einen Lehman-Schock, wenn plötzlich Forderungen in Höhe von 530 Mrd. Euro abgeschrieben werden müssten. Das ist zum Teil im Verlauf dieser endlosen Geschichte schon geschehen (und damit de facto schon von den Steuerzahlern in den Gläubigerländern bezahlt worden), trotzdem reden wir über hunderte von Milliarden Euro. Die Banken und Versicherungen würden erneut ins Schleudern kommen und den Staat zur Hilfe rufen, was auf vorübergehende Teilverstaatlichungen und einen neuen Anstieg der Staatsschuldenquoten hinausläuft. Dann wäre aber immerhin der Weg frei für einen Neubeginn, vor allem für eine weniger restriktive Finanzpolitik im gesamten Euroraum.