Jetzt kommen die Einschläge doch näher. Es ist an der Zeit, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, dass die Prognosen, die in den letzten Wochen veröffentlicht wurden, vermutlich zu optimistisch waren. Auch in Deutschland muss inzwischen dringend darüber nachgedacht werden, wie das Wachstum stimuliert werden kann. Das ist im eigenen Interesse, nicht zuletzt damit die Währungsunion nicht auseinander fliegt.
Die immer noch gute Stimmung in der Wirtschaft, der starke Anstieg der Beschäftigung (+1,5 Prozent im Vorjahresvergleich) und eine Arbeitslosenquote von nur 6,8 Prozent, die weiterhin sehr gesunden Staatsfinanzen (fast kein Defizit mehr), der gewaltige Überschuss in der Leistungsbilanz (fast 6 Prozent des BIP) sowie eine Inflationsrate nahe der Zielmarke von etwas unter zwei Prozent kommen mir fast unwirklich vor, wenn ich mir ansehe, was sich in den Nachbarländern tut. Dort gehen die Leute auf die Straße, um gegen die miserable wirtschaftliche Lage und die immer schärfere Restriktionspolitik zu protestieren. So eine Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Situation in Deutschland und dem benachbarten Ausland hat es seit Menschengedenken nicht mehr gegeben. Die Arbeitslosenquote hat in der Währungsunion außerhalb Deutschlands inzwischen 12,3 Prozent erreicht, Tendenz stark steigend. Und der Internationale Währungsfonds hat zuletzt vorhergesagt, dass das reale BIP in diesen Ländern 2012 um mehr als 0,6 Prozent unter dem Durchschnitt von 2011 liegen wird – es herrscht also Rezession –, während die deutsche Wirtschaft voraussichtlich noch mit einer Rate von 0,6 Prozent expandieren wird.
Es sieht jedoch auch hierzulande gar nicht mehr so rosig aus, wenn man mal genauer hinschaut. Hier ein paar Zahlen:
- Die realen Auftragseingänge in der Industrie sind im Januar und Februar gegenüber Juli und August mit einer Verlaufsrate von 11,0 Prozent eingebrochen, und zwar sowohl die inländischen als auch die aus dem Ausland. Es handelt sich hier um den wichtigsten „harten“ Frühindikator für die Konjunktur.
- Ein „weicher“ Frühindikator ist der Purchasing Managers‘ Index für das Verarbeitende Gewerbe – er ist ziemlich stetig von 62,7 im Februar 2011, seinem letzten Hoch, auf 46,2 im vergangenen Monat gesunken und liegt damit deutlich unter seinem sechsjährigen Durchschnittswert von 52,7 (es gibt diesen Index erst seit sechs Jahren).
- Im 6-Monatszeitraum September 2011 bis März 2012 kam es in Deutschland bei den Krediten an Unternehmen und Privatpersonen saisonbereinigt zu einem Anstieg von lediglich 0,1 Prozent, was real einen kräftigen Rückgang bedeutet; trotz rekordniedriger Zinsen und der insgesamt noch günstigen Lage, lassen sich die potenziellen Schuldner nicht aus der Reserve locken: Schuldenabbau hat weiterhin Vorrang.
- Auch mit der deutschen Industrieproduktion geht es rapide bergab: Sie war im Januar und Februar gegenüber Juli und August saisonbereinigt mit einer Jahresrate von 7,0 Prozent zurückgegangen!
- Im April ist die Arbeitslosigkeit saisonbereinigt um 19.000 gestiegen; da das der erste Anstieg seit vielen Monaten war und das Niveau so niedrig ist, ist das in der Öffentlichkeit kaum beachtet worden.
- Da der Output im Verarbeitenden Gewerbe insgesamt im ersten Quartal um mehr als ein Prozent unter dem des vierten Quartals gelegen haben dürfte (die noch ausstehenden Märzzahlen gibt es am 8. Mai) und das Volumen der Einzelhandelsumsätze ebenfalls stark gesunken ist, dürfte auch das reale BIP saisonbereinigt mindestens leicht rückläufig gewesen sein; bereits im vierten Quartal 2011 hatte es beim BIP-Wachstum ein negatives Vorzeichen gegeben (-0,2 Prozent). Für viele Ausländer, die daran gewöhnt sind, von Quartal zu Quartal zu denken, befände sich damit Deutschland inzwischen in einer Rezession. Genaueres werden wir am 15. Mai erfahren, wenn die erste Schätzung für das erste Quartal veröffentlicht wird.
Das ist eine ziemlich lange Liste unerfreulicher Vorzeichen. Deutschland ist das einzige Land von Gewicht, das Spielraum für eine expansivere Finanzpolitik hat. Der Spielraum sollte genutzt werden.