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Staatsschulden – eine Belastung für künftige Generationen?

 

Logo: Wirtschaftsdienst - Zeitschrift für WirtschaftspolitikExklusiv aus dem Wirtschaftsdienst: Lange Zeit hörte man aus der Wissenschaft Warnungen vor der zu hohen Staatsverschuldung, was sich schließlich auch in der Politik niederschlug: 2009 wurde die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert.

Mittlerweile scheint sich das Blatt zu wenden. Nachdem im April eine Arbeitsgruppe um Marcel Fratzscher in ihrem Bericht „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ vor dem massiven Investitionsstau bei der Infrastruktur gewarnt hatte, haben sich Experten mit ganz unterschiedlichen Ausgangsmeinungen – wie beispielsweise Lars P. Feld und Wolfgang Streeck – auf einen Bericht zu den Staatsschulden geeinigt, der die Angelegenheit sehr differenziert betrachtet. Der Sprecher der Arbeitsgruppe, Carl-Ludwig Holtfrerich, hat diese Analyse in der August-Ausgabe des Wirtschaftsdienst zusammengefasst.

Er weist darauf hin, dass die geringen staatlichen Investitionen angesichts des riesigen Sparaufkommens in Deutschland die niedrigen Zinsen mitverursacht haben und langfristig zu Wachstumsverlusten und sinkender Produktivität führen können. Die Beurteilung dessen, ob Staatsverschuldung positiv oder negativ wirkt, hängt entsprechend nicht davon ab, ob sie hoch oder niedrig ist, sondern davon, wofür die öffentlichen Kredite ausgegeben werden. Investitionen in materielle und vor allem auch immaterielle Infrastruktur wie Rechtssicherheit, Bildungssystem und effiziente Verwaltungsstrukturen nützen künftigen Generationen und schaden ihnen keineswegs.

Was ist aber von der Messgröße „Staatsschuldenquote“ zu halten? Holtfrerich schreibt, dass die historische Erfahrung dagegen spricht, immer auf den Zähler in dieser Größe – die Staatsschulden – zu starren. Vielmehr kommt es auf die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes – den Nenner – an. Bei hohen Wachstumsraten ist die Quote immer gesunken! Der langfristigen Entwicklung liegt das Verhältnis von Realzins und Wachstumsrate zugrunde. Übersteigt die Wachstumsrate den Realzins, gibt es keinen Grund, die öffentliche Kreditaufnahme zu reduzieren.

Derzeit liegt das Wachstum über den Zinsen. Ob das allerdings so bleibt, war in der Arbeitsgruppe umstritten. Carl Christian von Weizsäcker meinte, dass die weltweit enorm gewachsenen Ersparnisse nicht allein von privaten Investoren absorbiert werden können. Wenn der Staat nicht einspringt, werden die Zinsen langfristig niedrig bleiben. Lars Feld und andere vertraten die Auffassung, dass die Zinsen langfristig nicht auf diesem niedrigen Niveau bleiben werden.

Was auch immer man über die Schuldenbremse denken mag, Holtfrerich hält es zumindest für verfehlt, ein Schuldenverbot in die Verfassung eines Zentralstaats zu schreiben. Im Übrigen glaubt er, dass es im Euroraum nur dann vertretbar ist, wenn „… es eine europäische Regierung und ein EU-Parlament mit eigenen steuer- und ausgabenpolitischen Rechten gäbe …“.

Carl-Ludwig Holtfrerich: Staatsschulden: Ursachen, Wirkungen und Grenzen, in: Wirtschaftsdienst 8/2015, S. 529-533