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Warum Mehrausgaben für die Infrastruktur uns alle reicher machen

 

Der deutsche Kapitalstock nimmt nur noch sehr langsam zu, und mit ihm die Produktivität. Es wird zu wenig investiert, vor allem vom Staat. Wenn es so weitergeht, wird das Sozialprodukt nie mehr so rasch zunehmen wie vor der Finanzkrise.

Der negative Effekt auf unseren Lebensstandard wird durch die steigenden Vermögenserträge aus dem Auslandsvermögen etwas abgemildert. Weil so viel gespart und so wenig im Inland investiert wird, exportiert unser Land seit einiger Zeit Jahr für Jahr netto Kapital in Höhe von fast 10 Prozent des nominalen BIP. Dadurch steigt das Nettoauslandsvermögen rasant an.

Was ist los? Dass die Quote der Brutto-Anlageinvestitionen seit der Wiedervereinigung von rund 25 Prozent des BIP auf gerade einmal 20 Prozent gesunken ist, dürfte nicht nur damit zu tun haben, dass die Grenzerträge von Investitionen tendenziell sinken, sie also weniger lohnend sind, sondern vermutlich auch mit dem Rückgang der relativen Kosten von Arbeit: die Produktion ist weniger kapitalintensiv geworden. Noch ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass die Löhne demnächst so stark steigen werden, dass sich dieser Trend umkehrt.

Wie die folgende Grafik zeigt, hapert es vor allem an den Nettoinvestitionen, also an dem, was nach den Abschreibungen von den Bruttoinvestitionen übrig bleibt. Der Kapitalstock, für den der Staat direkt verantwortlich ist, schrumpft sogar (seit 2003). Das ist höchst beunruhigend.

Grafik: Nettoinvestitionen in Deutschland seit 1980

Vielleicht ist die staatliche Investitionsschwäche sogar die eigentliche Ursache für die Schwäche der privaten Investitionen. Weil Ausgaben für Infrastruktur positive externe Effekte haben, also kostenlos für alle angeboten werden, machen sie manche privaten Investitionen erst rentabel. Je besser die Schulen, Universitäten und das Gesundheitssystem, je effizienter das Transportwesen, je verlässlicher das Rechtswesen und die Verwaltung, oder je schneller die Kommunikation im Breitbandnetz, desto eher nehmen Unternehmen das Wagnis auf sich, sich zu verschulden und zu investieren.

Darauf hat vor Kurzem Harvards Larry Summers in seinem Blog hingewiesen (The Case For A Proper Program of Infrastructure Spending). Eine im Dezember von der OECD veröffentlichte Studie (Jean-Marc Fournier: The positive effect of public investment on potential growth) kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass „öffentliche Investitionen in den meisten Ländern … einen sehr positiven Einfluss auf das Wirtschaftswachstum haben, … vor allem solche, die mit starken externen Effekten verbunden sind; das gilt beispielsweise für R&D oder die Medizin.“ Japan ist die wichtigste Ausnahme von dieser Regel.

In ihren Sonntagsreden oder im Wahlkampf wollen die meisten Politiker mehr für die Infrastruktur tun. Sie ist das, was die Amerikaner motherhood and apple pie nennen – alle sind sich einig, dass es sich um etwas Gutes und Wichtiges handelt. Leider lassen sich damit aber nicht so leicht Wählerstimmen erobern. Ein Beispiel sind Erhaltungsinvestitionen in das Straßennetz oder die Schulen. Die haben für Politiker wenig Sex Appeal – wer von ihren Wählern kann sich schon für eine neue Fahrbahndecke auf der A3 begeistern, oder für Reparaturen an den Brücken? Da sind Steuersenkungen oder Mehrausgaben für die Mütterrente oder die Polizei von ganz anderem Kaliber.

Hinzu kommt, dass viele öffentliche Investitionen, die die Voraussetzung für private Folgeinvestitionen und damit für Fortschritte bei der Produktivität sind, ausbleiben, weil ihre betriebswirtschaftliche Rendite zu niedrig und ihr externer Zusatznutzen nur schwer zu beziffern ist. Sie rechnen sich oft erst in der langen Frist. Außerdem hat Infrastruktur keine starke Lobby – wenn der Staat wieder einmal sparen will, wird er den Rotstift dort ansetzen, wo die geringsten Stimmenverluste drohen und keine rechtlichen Verpflichtungen bestehen.

Politiker sollten sich Larry Summers fünf Argumente zu Gemüte führen, wenn sie vor der Wahl stehen, wie sie öffentliche Mittel am besten einsetzen sollen. Ausgaben für Infrastruktur lohnen sich aus den folgenden Gründen:

  1. Ihr Nutzen übertrifft in der Regel die rein betriebswirtschaftlichen Erträge. Ein neuer Flughafen oder eine neue technische Universität führen in der Regel zu beträchtlichen Folgeinvestitionen des privaten Sektors und zu Unternehmensgründungen – und damit zu zusätzlichen Jobs und Steuereinnahmen.
  2. Die finanziell lohnendsten staatlichen Investitionen sind Erhaltungsinvestitionen. Sie sollten möglichst ständig und auf jeden Fall frühzeitig vorgenommen werden. Vorbeugung ist billiger als die spätere Reparatur – sie erfordert nur einen Bruchteil an Zeit und Geld. In den meisten Fällen sind die Erträge für den Fiskus deutlich höher als die Schuldzinsen, die er bezahlen muss.
  3. Es gibt wichtige Infrastrukturprojekte, die finanziell auch kurzfristig sehr lohnend sind. Summers nennt als Beispiel die Luftraumüberwachung: Wenn die Radartechnologie, die seit dem Zweiten Weltkrieg dominiert, durch GPS ersetzt wird, steigt die Sicherheit im Flugverkehr, die Umweltbelastung nimmt ab, weil die Flugzeuge nicht mehr so große Abstände halten und keine unnötigen Schleifen mehr fliegen müssen, in Stoßzeiten gibt es weniger Verspätungen, und die Kapazität der Flughäfen kann besser genutzt werden. Andere Beispiele sind Breitbandnetze, die überall im Land zugänglich sind, Hochgeschwindigkeitstrassen für Elektromobilität, die Förderung von Stromspeichern und Transmissionstechnologien, durch die der unstetig anfallende Strom aus Wind und Sonne zu einer echten Alternative zum Strom aus fossilen Brennstoffen wird. Vor allem im Vergleich zu den Verteidigungsausgaben handelt es sich bei solchen Projekten um recht kleine Summen.
  4. Infrastrukturprojekte müssen nicht zeitaufwendig sein. Hier lässt sich eine Menge verbessern. Vor seinem Büro in Harvard wird seit fünf Jahren eine Brücke über den Charles River renoviert – während Caesars Truppen angeblich nur neun Tage für eine neue Brücke über den Rhein brauchten. Das Ziel sollte sein, so schnell und so preiswert wie nur möglich zu bauen, und nicht zu viele interessierte Parteien sollten in der Lage sein, Projekte zu verzögern. Im Übrigen hält Summers wenig davon, dem privaten Sektor die Finanzierung zu überlassen (PPP): Dessen Renditeanforderungen gehen stets weit über die Refinanzierungskosten (also die Bondrenditen) des Staates hinaus. Für dasselbe Geld kann der Staat ein Vielfaches an Infrastruktur auf die Beine stellen.
  5. Gelegentlich gibt es keynesianische Gründe für mehr Staatsausgaben, aber die Verbesserung und Expansion der Infrastruktur ist vor allem deshalb wichtig, weil dadurch wieder ein steilerer Wachstumspfad erreicht werden kann. Für Summers ist die zusätzliche staatliche Verschuldung für Investitionsprojekte auch ein Mittel, die Realzinsen zu erhöhen, wodurch als gewünschter Nebeneffekt die Risiken von Finanzblasen, Crashs an den Märkten für Aktien und Immobilien und langanhaltenden Rezessionen durch Deleveraging abnehmen und das System als Ganzes stabiler wird. Der Fiskus kann, ja muss, auf diese Weise den Spielraum für die Geldpolitik vergrößern. Nur wenn die Zinsen im Durchschnitt weit von der Nullgrenze entfernt sind, können Notenbanken wirkungsvoll Rezessionen bekämpfen.

Vielleicht sollten die Herren Weidmann und Schäuble über dieses Thema mal ein längeres Gespräch mit Larry Summers führen.