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Exporte und Exportüberschüsse sind zwei verschiedene Dinge

 

Gerade hat die Schweizer Firma Prognos im Auftrag des Verbands der Bayerischen Wirtschaft eine Studie erstellt, in der sie zeigt, wie wichtig die deutsche Wirtschaft – und besonders der deutsche Export – für den Rest der Welt ist. Diese Studie ist sogleich von der Zeitung Die Welt als Beleg dafür genommen worden, dass – so wörtlich – „Die These vom Nullsummenspiel, bei dem der Exporterfolg des einen Landes automatisch einen Nachteil für seinen Handelspartner bedeutet, […] widerlegt [wird].“

Sowohl die Berichterstattung der Welt als auch Teile des Gutachtens legen nahe, dass die weit verbreitete Kritik am deutschen Exportüberschuss eigentlich absurd sei, so wie sie geäußert wird von US-Präsident Trump, dem Internationale Währungsfonds, der EU-Kommission sowie viele Regierungen von EU-Staaten. Da machen sie es sich aber doch ein bisschen zu einfach. Die Welt und Prognos werfen nämlich teilweise ganz unterschiedliche Dinge in einen Topf, die man fein auseinanderhalten sollte – zumindest wenn es einem nicht um Ideologie, sondern um eine wirtschaftswissenschaftliche Problemanalyse geht.

Viele Kritiker (mich eingeschlossen) haben nämlich kein Problem mit den hohen deutschen Exporten, sondern mit den hohen deutschen Exportüberschüssen. Die beiden Begriffe klingen zwar ähnlich, bezeichnen aber ganz unterschiedliche Sachverhalte. Die Kritiker bemängeln, dass Deutschland relativ zu seinen Exporten so wenig importiert.

Was ist das Problem mit den deutschen Überschüssen? Die Exporte eines Landes sind immer die Importe eines anderen Landes– es gibt also keine Exporte ohne Importe. Und deswegen sind die Exportüberschüsse eines Landes auch die Exportdefizite aller anderen Länder. Deswegen gibt es ein Nullsummenspiel: Ich kann nur dann einen Überschuss haben, wenn alle anderen zusammen ein gleich hohes Defizit haben.

Exportdefizite machen vielen Ländern zu schaffen. Wer ein Defizit hat, muss es irgendwie finanzieren. Und das geschieht zumeist über Schuldenaufnahme. Sind die Schulden aber zu hoch, droht die Schuldenkrise. Und genau die haben ja viele Länder in Europa in den letzten Jahren durchgemacht – alle Krisenländer hatten nämlich Export- und Leistungsbilanzdefizite und dadurch hohe Auslandsschulden. Kein Wunder also, dass sich Länder mit Defiziten Sorgen machen.

Alle profitieren davon

Entgegen der von der Welt behaupteten These führen aber Exporte für sich genommen nicht zu Nullsummenspielen. Wenn alle Länder genauso viel exportieren, wie sie importieren, können sie alle sehr hohe Exporte und Importe haben. Genau das ist die Globalisierung: Alle Länder exportieren und importieren immer mehr und die Konsumenten freuen sich, weil sie immer mehr Auswahl haben; die Unternehmen können ihre Vorleistungen von überall in der Welt beziehen. Höhere Exporte (und Importe!) sind also gerade kein Nullsummenspiel, sondern (oft) profitieren alle davon.

Auch schreibt Prognos vollkommen zu Recht, dass die deutschen Exporte für sich genommen Wertschöpfung und Beschäftigung in anderen Ländern bringen. Denn für die Produktion der Exportwaren importiert Deutschland Vorleistungen von seinen Handelspartnern, besonders in Mittel- und Osteuropa, und schafft dort Jobs. Völlig richtig (und trivial) ist damit auch, dass weniger deutsche Exporte natürlich auch anderen Ländern schaden würden, weil die dann nicht mehr so viele Vorleistungen nach Deutschland exportieren können.

Zum Abbau der Überschüsse muss Deutschland seine Exporte nicht verringern, sondern kann genauso gut seine Importe erhöhen – also relativ zum Export mehr importieren. Genau das fordern die meisten seriösen Überschusskritiker von Deutschland. Denn die Deutschen importieren nicht nur Vorleistungen für ihre Exporte, sondern sie importieren auch Konsumgüter oder Investitionsgüter für die eigene Wirtschaft. Würde es in Deutschland gelingen, den heimischen Konsum und die heimischen Investitionen weiter zu stärken, so würde Deutschland insgesamt über einen höheren Import seine Exportüberschüsse abbauen können.

Genau das zeigt übrigens auch eines der Szenarien, die Prognos berechnet. Dort wird angenommen, dass Deutschlands Binnenwirtschaft – sprich heimischer Konsum und Investitionen – stagniert und damit über die schwächeren Importe die Exporte der anderen Länder trifft. Ergo würde eine stärkere Binnenwirtschaft auch zu höheren Importen führen und anderen Ländern helfen. Auch wenn der Export wichtig für Deutschland ist, noch wichtiger ist für die deutschen Unternehmen insgesamt die Binnenwirtschaft.

Aber was soll man konkret tun, damit es der Binnenwirtschaft besser geht? Die Regierung hätte die Mittel in der Hand: Sie könnte ihre Politik der Haushaltsüberschüsse lockern und mehr Geld für öffentliche Investitionen, für Bildung, für eine Stärkung der dahinsiechenden Rente und anderem ausgeben. Das würde bei den Menschen Einkommen schaffen, von dem ein Teil wieder für Importe ausgegeben würde. Darüber hinaus würde ein steigender Konsum auch zu einer höheren Auslastung der Produktionskapazitäten führen und so die Unternehmensinvestitionen steigern. Wie die Exporte haben diese einen besonders hohen Importanteil (siehe Abbildung). Davon würde auch die deutsche Industrie profitieren: Die stellt nämlich nicht nur Güter für den Export her, sondern für alle, die sie kaufen wollen – auch für deutsche Kunden.

Grafik: Importanteile verschiedener Komponenten des deutschen BIP

Der Preis für die höheren Importe und damit die geringeren Exportüberschüsse wäre wahrscheinlich ein geringerer staatlicher Haushaltsüberschuss oder gar ein Defizit. Dafür bekäme man aber eine bessere deutsche Infrastruktur und ein besseres Bildungssystem. Beides Dinge, die auch der deutschen Industrie gefallen dürften.

Übrigens gibt es auch ein gewichtiges politisches Argument, dass Deutschland seine Binnenwirtschaft und seine Importe stärkt: Die weniger konstruktiven Kritiker (darunter etwa Präsident Trump) wollen nämlich tatsächlich weniger deutsche Exporte. Und deswegen überlegen sie auch, die deutschen Exporte mit Zöllen zu belegen. Je höher die deutschen Überschüsse sind, desto lauter werden diese Überlegungen.

Auf der anderen Seite könnten sich auch einige Mitglieder des Euroraums überlegen, dass sie lieber aus dem Euro aussteigen würden, um ihre Währung abwerten zu können. Das aber würde zu einer Aufwertung einer neuen deutschen Währung führen und damit deutsche Exporte und Arbeitsplätze belasten. Das heißt, gerade um die hohen deutschen Exporte zu schützen, sollte Deutschland seine Exportüberschüsse senken.