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Amerika, Du hast es besser

 

Ich muss mal wieder zugeben, dass ich die Dynamik der amerikanischen Wirtschaft unterschätzt habe. Gestern kamen die Zahlen für das Bruttoinlandsprodukt im vierten Quartal heraus, und siehe da, es hatte erneut eine kräftige Expansion gegeben, getragen vom privaten Konsum, dem Außenhandel (!) und den Staatsausgaben. Die Ausgaben für Wohnungen waren zwar scharf rückläufig und die übrigen Investitionen hatten in etwa stagniert, unter dem Strich ergab sich aber gegenüber dem dritten Quartal und aufs ganze Jahr hochgerechnet (so wird das in den USA meistens gemacht) eine Zuwachsrate von 3,5 Prozent, so dass fürs Jahr 2006 insgesamt so etwas Ähnliches herauskam, nämlich plus 3,4 Prozent gegenüber dem Durchschnitt von 2005. So wie es aussieht, waren die niedrigen Zuwachsraten um die Mitte des Jahres keineswegs der Beginn einer Rezession, sondern nur so etwas wie eine Verschnaufpause. Was will man mehr?

Wachstumsraten in den USA und Euroland

Was das Ganze besonders erfreulich machte, war die Inflation. Ihr breitester Indikator, der sogenannte Deflator des Bruttoinlandsprodukts, hatte gegenüber dem dritten Quartal nur um 0,37 Prozent, oder mit einer Jahresrate von 1,5 Prozent zugenommen. Das kann man mit Fug und Recht als Preisstabilität bezeichnen. Hohes Wachstum, rekordniedrige Arbeitslosigkeit und keine Inflation – so was nennt man in Amerika eine „goldilocks economy“, nach dem hübschen blonden Mädchen aus dem Märchen, dem niemals etwas Böses zustößt.

US-Inflation

Was ist eigentlich mit den Verbrauchern los? Warum werfen sie denn nicht endlich das Handtuch? Erneut lag ihre Sparquote im negativen Bereich, bei -1,0 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens. Es wird gespart, aber das reicht nicht an die Neuverschuldung heran. Die Amerikaner lieben ihre Kreditkarten und auch ihre Immobilien, weil die sich so wunderbar beleihen lassen. Ich hatte gedacht, der Einbruch beim Wohnungsbau um rund ein Viertel, die Stagnation der Hauspreise und der rasante Anstieg der Zinsen hätte sie vorsichtiger gemacht. Weit gefehlt! Ihr realer Konsum übertraf seinen Vorjahresstand im vergangenen Quartal um nicht weniger als 3,7 Prozent. Will jemand wissen, wie die entsprechende deutsche Zahl lautet? 0,8 Prozent!

Warum sind die Amerikaner so optimistisch? Ein Grund ist natürlich die Wirtschaftspolitik, die sich Vollbeschäftigung auf die Fahnen geschrieben hat und daran gemessen wird. Danach erst kommt der Kampf gegen die Inflation. Es gibt offenbar auch viele Politiker, die, anders als unsere Juristen und Beamten, die hier die politische Szene beherrschen, einen gesunden ökonomischen Verstand haben – wenn die Kapazitäten nicht voll ausgelastet sind, wie das bis vor kurzem der Fall war, zögern sie nicht, Gas zu geben, weil sie sich sicher sind, dass die Inflationsrisiken in einer solchen Situation gering sind.

Die Verbraucher, und damit die Wähler, glücklich zu machen, ist das oberste Ziel der Wirtschaftspolitik. So muss es natürlich auch sein, denn das Ziel allen Wirtschaftens und Arbeitens ist schließlich der Konsum, ob heute oder morgen. Wer sich an diese Maxime hält, vermeidet außerdem wohlfahrtsmindernde Fehlallokationen von Ressourcen, zu denen es kommt, wenn die Politik die Verbraucher nicht gewähren lässt und stattdessen etwa das Sparen, die Ausfuhren, den Wohnungsbau oder die übrigen Investitionen fördert.

Die amerikanischen Politiker sehen den Trade-off zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation sehr pragmatisch, also anders als hierzulande nicht durch eine ideologische Brille, und verfolgen ganz einfach das Ziel, dass die Wirtschaft wachsen muss. Dass die Löhne zuletzt relativ rasch, nämlich mit etwa 4 Prozent steigen, beunruhigt sie nicht weiter, da zum einen die Einfuhrpreise sinken und zum anderen die Produktivität einen großen Teil des Kostenschubs abmildert. Letzteres ändert sich allerdings gerade, weil die Kapazitätsgrenzen jetzt doch allmählich näher rücken, so dass man die niedrige Inflation vermutlich besser nicht extrapolieren sollte.

Der Schlüssel für den Optimismus der Verbraucher ist die günstige Situation am Arbeitsmarkt – zuletzt lag die Anzahl der Jobs um nicht weniger als 2,2 Prozent über dem Vorjahreswert. Geld zu verdienen, notfalls durch einen Zweitjob, fällt nicht schwer. Schulden werden daher nicht als existenzbedrohend wahrgenommen. Die deflationierte Summe aus Löhnen und anderen Einkommen (wie Mieten, Zinsen und Gewinnen) zuzüglich öffentlicher Transfers und abzüglich der Steuern, das real verfügbare persönliche Einkommen also, war im vierten Quartal mit einer Jahresrate von sage und schreibe 5,4 Prozent gestiegen. Da fällt der Schuldendienst nicht schwer.

Das bittere Ende kommt bestimmt! Ich denke das auch immer, wenn ich nachts mal nicht schlafen kann. Vor allem das Defizit in der Leistungsbilanz – in der Größenordnung von 6 Prozent des BIP – ist eigentlich nicht haltbar, sollte man meinen, weil sich das reichste Land der Welt auf Dauer nicht ein Drittel seiner Investitionen von Ausländern finanzieren lassen kann. Bisher allerdings gab es da noch kein Problem, weil auch relativ arme Länder gerne da investieren, wo der Kapitalmarkt liquide und facettenreich ist, wo die Wirtschaft brummt, oder, pointierter, wo der Verbraucher das Sagen hat. Ich sehe aber jetzt mal davon ab, noch weiter auf die Risiken einzugehen. Das machen andere schon zur genüge, und ich meistens auch.