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Raus aus der Ideologiefalle

 

Arbeit ist in Deutschland zu teuer. Die Unternehmen müssen entlastet werden. Gegen Konjunkturschwankungen ist die Wirtschaftspolitik machtlos. Deshalb muss sie sich auf die Verringerung der Schulden konzentrieren. So lautet etwas verkürzt das Credo der tonangebenden deutschen Ökonomen. Und so sieht leider auch die Wirtschaftspolitik jeder Regierung seit 1982 aus. Die Folge: Das Wachstum fällt seit Jahrzehnten geringer aus als nötig. Die falsche Wirtschaftspolitik ist nichts anderes als eine Verarmungsstrategie für die Bürger dieses Landes. Und sie setzt sich nächstes Jahr fort: Drastische Mehrwertsteuererhöhung, Kürzung der Pendlerpauschale, geringerer Sparerfreibetrag, höhere Ausgaben für den öffentlichen Nahverkehr sowie wahrscheinlich höhere Beiträge zur Krankenversicherung. Hauptziel: Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

Dabei gäbe es eine pragmatische Wirtschaftspolitik, die die großen wirtschaftlichen Probleme der Welt, Europas und Deutschlands auf einen Schlag mildern könnte. Doch dafür muss man sich vom eingangs beschriebenen Dreiklang befreien. Dafür muss man unideologisch auf die deutsche Wirtschaft schauen.

Die naheliegende Lösung: Die Regierung plant, mit dem Aufkommen von einem Prozentpunkt der Mehrwertsteuererhöhung den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um zwei Prozentpunkte zu senken. Er soll von heute 6,5 Prozent gemessen am Bruttolohn auf 4,5 Prozent sinken. Damit würden Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichmäßig entlastet. Schlauer wäre jedoch, die Senkung der Lohnnebenkosten einseitig den Arbeitnehmern zugute kommen zu lassen. Die Unternehmen sollten auch nächstes Jahr die Hälfte des alten Satz in Höhe von 6,5 Prozent, also 3,25 Prozent auf den Bruttolohn zahlen. Die Arbeitnehmer zahlen nur noch 1,25 Prozent oder noch weniger, sollte sich die Bundesagentur für Arbeit dazu durchringen einen Teil ihres Überschusses weiter zu geben.

Denn die aktuellen Probleme Deutschlands heißen nicht Wettbewerbsfähigkeit, nicht Arbeitsplatzabbau, sondern schwache Konsumnachfrage und zu niedrige Lohnsteigerungen. Wer in einer solchen Situation die Lasten einseitig beim Verbraucher ablädt, vergeht sich an der Konjunktur. Durch die einseitige Entlastung bei der Arbeitslosenversicherung bliebe nächstes Jahr beim durchschnittlichen Arbeitnehmer mehr Geld in der Tasche, das ihm hülfe die drastische Mehrwertsteuererhöhung samt Kürzung der Pendlerpauschale zu überstehen. Ja, das Wachstum könnte noch mal über zwei Prozent liegen, mehr neue Jobs generieren und den positiven Kreislauf von höheren Einnahmen der öffentlichen Hand und der Sozialkassen sowie steigenden Investitionen verlängern.

Die Unternehmen brauchen nicht zu jammern, profitieren sie doch nach wie vor von ihrer starken Macht am Arbeitsmarkt, die die Löhne kaum steigen lässt. So landet der Großteil des ansehnlichen Produktivitätsfortschrittes bei den Gewinnen. Kein Wunder, dass die Gewinnquote so hoch wie zuletzt in den 60er Jahren ist. Die Unternehmen brauchen derzeit wirklich keine Entlastung bei den Lohnkosten, sie haben sie bereits durch die schwachen Lohnerhöhungen – und sind wettbewerbsfähig ohne Ende. Wer jetzt argumentiert, dass allein Entlastungen auf der Angebotsseite ein Jobwunder auslösen, der möge sich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre genau anschauen. Jobs entstehen, wenn Nachfrage vorhanden ist, wenn die Unternehmen ihre Kapazitäten ausweiten, sprich Erweiterungsinvestitionen tätigen. Genau hierfür spielt die Nachfrageseite eine wesentliche Rolle.

Darauf hat das DIW in seinem jüngsten Wochenbericht hingewiesen und zeigt das interessanterweise mit Bezug auf die neoklassische Investitionstheorie. Neben günstigen Angebotsbedingungen bräuchten die Unternehmen auch die Aussicht, ihre zusätzliche Produktion absetzen zu können. „Die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft ist nicht nur eine Folge der schwachen Investitionstätigkeit, sondern die schwache Investitionstätigkeit ist ebenso Folge der Wachstumsschwäche und der mit ihr zusammenhängenden Stagnation der privaten und öffentlichen Nachfrage in Deutschland“, schreibt Erik Klär, der Autor der Studie. Mit einer Erhöhung des Volkseinkommens nehme auch die Nachfrage zu.

Gerade die Einkommen und damit die Nachfrage wird durch meinen Vorschlag der einseitigen Entlastung der Arbeitnehmer bei der Arbeitslosenversicherung gestärkt.

Aber der Vorschlag würde nicht nur der deutschen Konjunktur gut tun. Auch die Weltkonjunktur würde sich bedanken. Denn es ist unschwer zu erkennen, dass Amerika schwächelt. Das hohe Leistungsbilanzdefizit und der auslaufende Boom am Immobilienmarkt sprechen für schwere Zeiten, die der Wachstumsmaschine der Weltwirtschaft drohen. Jetzt muss der Rest der Welt Amerika helfen, indem hier die Nachfrage anzieht, um den Nachfrageausfall der USA zu kompensieren. Kann das gelingen? Die Antwort ist schwierig. Leicht dagegen das Abwägen der Alternativen. Wenn Deutschland nächstes Jahr wegen der Mehrwertsteuererhöhung um 0,5 Prozentpunkte langsamer wachsen sollte, hilft das Amerika mit Sicherheit nicht. Immerhin ist Deutschland noch die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde und die unangefochtene Nummer eins in Euroland, dem zweitwichtigsten Wirtschaftsblock nach Amerika.

Und last but not least würde mein Vorschlag auch die Spannungen innerhalb Eurolands dämpfen. Denn die schwache Lohnentwicklung hierzulande drückt die Wettbewerber in Euroland an die Wand und droht ganz Euroland zu destabilisieren. Die Lohnstückkostenentwicklung war schon oft Gegenstand von Diskussionen im Blog. (hier, hier, hier, hier und hier) Solange die Löhne in Deutschland nicht wieder ansehnlich steigen, solange dürfen die Unternehmen bei den Lohnstückkosten nicht noch zusätzlich entlastet werden.

Gleichzeitig könnt mein Vorschlag die „Gerechtigkeitsdebatte“ in der Großen Koalition auf friedliche Weise beigelegen. Die Unternehmen bekommen die Unternehmenssteuerreform, die Arbeitnehmer die volle Entlastung bei den Sozialbeiträgen.

Wer traut sich, diesen Vorschlag in die politische Debatte hörbar einzubringen? Nur Mut.