Lamya Kaddor über Islam im Schulalltag

Lamya Kaddor spricht im Tagesspiegel über ihre Erfahrungen als Lehrerin mit dem Islam ihrer Schüler:

Na ja, ich gehe eigentlich nie in eine Moschee.

Bitte?

Mir passt vieles nicht, was da gepredigt wird – etwa, wenn es um die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau geht. Fast immer spielt die Politik hinein: In der einen Moschee wird gegen Israel gewettert, in der anderen kriegen Sie die türkische Staatspolitik serviert. Auch die Art des Predigens, dieses ständige Ermahnen, gefällt mir nicht.

Sie gelten als Vordenkerin der liberalen Muslime in Deutschland. Viele Menschen bezweifeln, dass es das überhaupt gibt: liberale Muslime.

Und ob es die gibt! Leute wie ich sind die Mehrheit. Wir sind hier aufgewachsen, haben eine Ausbildung gemacht oder studiert. Wir leben hier gut, und wir identifizieren uns mit diesem Staat. Nur glauben wir eben an den Islam.

(…)

Sie schreiben, einige Ihrer Schüler seien entsetzt gewesen, dass Sie kein Kopftuch tragen.

Ja, für viele der Mädchen gehört das Kopftuch einfach dazu, wie bei anderen die offenen, langen blonden Haare – es geht dabei nicht um religiösen Zwang oder ein politisches Symbol. Keine Einzige konnte mir bislang erklären, warum sie es trägt. Sie sagen: Das steht im Koran. Dann frage ich: Wo denn? Antwort: Das weiß doch jeder, dass das da drin steht! Ich selbst halte das Kopftuch hier im Deutschland des 21. Jahrhunderts einfach für unzeitgemäß. Im 7. Jahrhundert, als Mohammed den Koran empfangen hat, war man ohne das Tuch angreifbar, fast vogelfrei. Diese Schutzfunktion braucht es in der heutigen Gesellschaft nicht mehr, da mich Recht und Gesetz schützen. Ob ich meine Haare zeige oder nicht, ist völlig egal. Ich habe natürlich nichts dagegen, dass jemand Kopftuch trägt, aber ich finde, man sollte wissen, warum.

(…)

Warum begehren die Jugendlichen nicht gegen diese überkommenen Traditionen auf?

Weil sie gar nicht in der Lage sind, zu hinterfragen. Ihnen fehlt es an Bildung.

Oder trauen sie es sich nicht, weil es in den Familien sehr autoritär zugeht?

Bei den meisten gibt es gar keine Autorität. Die Mutter ist überfordert, der Vater schlägt zu oder ist abwesend, weil er arbeitet oder in einer Teestube rumsitzt. Bei unseren deutschstämmigen Schülern sieht es zu Hause nicht besser aus. Die Jugendlichen können sich dann auch nicht anders wehren als durch schreien und schlagen. Morgens sind viele schon so aggressiv aufgeladen, dass man ihnen am liebsten lauter Sechsen geben würde. Die Ehrgeizigen werden gemobbt oder leben in ihrer eigenen Welt. Kaum einer meiner Schüler hat jemals von seinem Vater gesagt bekommen: Ich habe dich lieb. Zuwendung bekommen sie höchstens von der Mutter. Ich habe sie mal gefragt: Findet ihr das nicht komisch? Das ist denen auch aufgefallen, dass das komisch ist.

 

Der Krieg gegen den Terror ist vorbei, der Terror geht weiter

Mein Leitartikel aus der ZEIT vom letzten Donnerstag:

Der Schrecken des Anschlags von London rührte weniger von den blutbefleckten Händen und Hackebeilen der Attentäter als von dem banalen und doch ungeheuren Satz: »Ihr könnt uns filmen.« Der Soldat Lee Rigby lag noch in seinem Blut auf der Straße, da forderten seine Mörder Passanten auf, sie mit ihren Smart-phones aufzunehmen. Das Archaische eines Ritualmords hat sich in der Londoner Tat kurzgeschlossen mit der Allgegenwart neuester Medien. Das Böse will jetzt auch auf You Tube, Facebook und Twitter erscheinen, in Echtzeit.

Das ist die aktuelle Muation des Terrorismus, und es gibt keinen Anlass, zu hoffen, dass sie die letzte sein wird. Und doch hat der amerikanische Präsident, nur einen Tag nach dem barbarischen Anschlag, den »Krieg gegen den Terror« in einer großen Rede für beendet erklärt. Wie passt das zusammen?

Dieser Krieg müsse enden, sagte Obama, »wie jeder andere Krieg auch«. Es sei ein Fehler ge-wesen, so Obama, dass der Westen sich vom Terrorismus habe definieren lassen: Wir müssen das Wesen des Kampfes gegen die Terroristen neu bestimmen, damit dieser Kampf nicht uns bestimmt.

Das bedeutet: Rückzug aus Afghanistan (wie schon aus dem Irak), weniger Drohnenangriffe in Pakistan, Schließung von Guantánamo und statt Bushs entgrenztem »globalem Krieg gegen den Terror« künftig nur gezielte Aktionen gegen konkrete Netzwerke. Außerdem mehr Diplomatie und Entwicklungshilfe. Obama zieht mit seiner Rede einen Strich, selbstkritisch, ernüchtert: Es gibt keine totale Niederlage des Terrorismus. Dieser Krieg endet ohne Siegesfeier.

Der Abschied von der Kriegsrhetorik ist die richtige Strategie. Die neuen Mutationsformen des Terrorismus locken ihre Rekruten mit der Idee eines Kriegs zwischen dem Islam und dem Westen. Es hat sich eine Instant-Ideologie herausgebildet, und alle Attentäter der letzten Zeit haben sie übernommen. Auch die Londoner Mörder gaben sie in die Handys der Passanten zu Protokoll: Ihr besetzt unsere Länder, ihr stützt unsere Diktatoren, ihr tötet Zivilisten mit euren Drohnen.

Das ist eine extrem verzerrte Sicht der Welt. Heute sterben mehr Muslime durch die Hand anderer Muslime als durch »westliche Kreuzzügler«. Sunniten kämpfen in Syrien und im Irak gegen Schiiten. Sufis werden in Pakistan von Salafisten massakriert. Nigeria ächzt unter der mörderischen Islamistensekte Boko Haram, Somalia unter der Al-Kaida-Franchise Al-Shabaab. Aber es hilft alles nichts. Wer den Glutkern der heutigen Radikalisierung treffen will, muss sich mit der Parole auseinandersetzen: Eure Außenpolitik rechtfertigt unsere Taten. Wir schlagen nur zurück. Obama hat das getan. Seine Kriegsabsage unterläuft diese Logik.

Das hilft am Ende denen, die den eigentlichen Kampf gegen die Radikalisierung führen müssen: den friedliebenden Muslimen. Der Londoner Horror hat auch bei ihnen Lernprozesse offenbart. Vorbei die apologetischen Töne, der Terror sei eigentlich nur Gegenterror: Diesmal ließen islamische Verbände sich nicht lange bitten, die Tat angewidert zu verdammen – auch im Namen der Religion.

Anstelle nachträglicher Distanzierung wäre allerdings eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Radikalismus gefordert. Die wird immer noch gemieden, auch weil man fürchtet, Klischees über eine ohnehin ungeliebte Religion zu bestätigen. Die Erkenntnis, dass so die Extremen gewinnen, setzt sich offenbar durch.

Zwei scheinbar widersprüchliche Entwicklungen müssen zusammengedacht werden: Al-Kaidas Führung ist schwer getroffen, nicht zuletzt durch Obamas Drohnenkrieg. Ihre lokalen Gruppen können zwar großen Schaden anrichten, in Mali, im Jemen, im Irak und in Syrien. Im Westen haben sie seit Jahren keinen großen Anschlag mehr vollbracht. Zugleich erfasst eine neue Welle des Radikalismus die Ränder islamischer Gemeinden hier und zieht die Gescheiterten, Entfremdeten und Instabilen an: Dschihadismus als Weg zum schnellen Ruhm, wenn es zum Rapper oder Boxer nicht reicht.

Schon am Samstag wurde aus Paris eine Nachahmungstat gemeldet, eine Messerattacke, die das Opfer, wieder ein Soldat, überlebte. Wenige Wochen nach dem Attentat von Boston wurden deutsche Geheimdienstler von russischen Kollegen gewarnt, Tschetschenen seien nun mit Anschlagsabsichten nach Deutschland gereist. Letzte Woche schlug die Religionslehrerin Lamya Kaddor Alarm, fünf ihrer ehemaligen Schüler seien aus Deutschland zum »Dschihad« nach Syrien gezogen. Nicht einmal deren Freundinnen hätten die Radikalisierung bemerkt.

Neodschihadisten, die sich selbst rekrutiert haben, sind der Albtraum der Sicherheitsbehörden. Die Täter fanatisieren sich schnell und selbsttätig mithilfe radikaler Prediger und des Internets. Sie haben nur flüchtige Kontakte zu Terrornetzwerken und verwenden keine auffälligen Materialien: Schwarzpulver und Kochtöpfe wie in Boston; Auto, Messer, Handy – mehr brauchten sie in London nicht zu ihrer Gewalttat.

Was tun? Zensurmaßnahmen gegen radikale Websites, Vereinsverbote gegen Extremisten, Überwachungskameras – jetzt werden wieder die üblichen Maßnahmen debattiert. Gegen die neuen Tätertypen bringt das wenig.

Ihre Radikalisierung kann nur die Diskreditierung und Isolation des Dschihadismus verhindern. Muslime müssen diesen Sieg erringen. Sie können jede Hilfe gebrauchen.

 

Streitgespräch mit einem Salafisten und einer liberalen Muslimin

Mit der Kollegin Özlem Topçu zusammen habe ich ein Gespräch zwischen einem Salafisten und einer liberalen Muslimin moderiert. Aus der ZEIT von heute, S. 4:

Lamya Kaddor, 35, ist Lehrerin für Islamkunde an einer Schule im niederrheinischen Dinslaken. Sie ist Mitbegründerin des Vereins Liberal-Islamischer Bund und Autorin von Büchern wie »Der Koran für Kinder und Erwachsene« und »Muslimisch, weiblich, deutsch«.
Abdurrahman Malik heißt eigentlich anders, ist Anfang 20, Student und bekennender Salafist. Seinen richtigen Namen möchte er aus Angst vor Morddrohungen aus der extremistischen Salafistenszene nicht nennen. Wir treffen die beiden in einem Duisburger Hotel zum Gespräch. Malik weigert sich, Lamya Kaddor mit Handschlag zu begrüßen.

 

DIE ZEIT: Herr Malik, Salafisten werden mit Intoleranz, Gewalt und Terror in Verbindung gebracht. Warum sind Sie Teil dieser Bewegung?

Abdurrahman Malik: Für mich ist das Wort »Salafist« kein Schimpfwort. Es geht auf die Muslime der ersten Stunde zurück, die im Islam großes Ansehen genießen. Salafisten orientieren sich stark an Koran, der Sunna, der Lebensweise des Propheten Mohammed und Religionsgelehrten, zumeist aus Saudi-Arabien. In der deutschen Debatte assoziiert man den Begriff mit gewalttätigem Extremismus. Diese Pauschalisierung lehne ich ab, genauso wie die radikal-militanten Salafisten und ihre Ideologie.

ZEIT: Warum haben Sie diese rückständigste Form des Islam gewählt?

Malik: Was heißt rückständig? Die Gesetze meiner Religion umzusetzen ist für mich kein Hardcore-Islam. Der Islam ist eine Gesetzesreligion, und ich befolge die Gesetze.

ZEIT: Frau Kaddor, die Salafisten dominieren im Moment das Islambild in Deutschland, sie verteilen Korane und demonstrieren gegen Islamkarikaturen – teilweise gewalttätig. Sie versuchen mit Ihrer Arbeit, ein liberales Islambild zu vermitteln. Stehlen Ihnen die Fundamentalisten die Show?

Lamya Kaddor: Sie machen mir meine Arbeit kaputt. Ich will den Islam weiterdenken und dabei auch zu neuen Schlüssen kommen. Das bedeutet: weniger Dogma und mehr Spiritualität. Die Salafisten machen das zunichte, weil sich dank ihrer Auftritte die Diskussion nun vor allem darum dreht, ob Muslime generell rückständig und gewaltbereit sind. Ich fühle mich um mindestens 20 Schritte zurückgeworfen.

Abdurrahman Malik* (Name geändert) und Lamya Kaddor                     Foto: Michael Dannemann für DIE ZEIT

ZEIT: Sind Salafisten nicht spirituell?

Kaddor: Jede unorthodoxe Form, Gott näherzukommen, sehen Salafisten als Ketzerei an. Sie sagen, es habe mit der »reinen Lehre« nichts zu tun. Das erschreckt mich. Sie tun so, als kennten sie allein die Wahrheit. Doch kein Mensch kann das für sich in Anspruch nehmen – nur Gott. Ich komme aus einem konservativen Elternhaus, aber es gab dort keinen Zwang. Meine Eltern haben meinen beiden Schwestern und mir das Kopftuch empfohlen, aber uns nicht unter Druck gesetzt. Ich kannte als Kind schon etliche Koranverse. Aber mir reichte das nicht, irgendwann kamen die Fragen: Warum machen wir das so? Wozu all diese Regeln? Es fehlten zeitgemäße Antworten. Für Salafisten sind bereits Fragen tabu, sie überlassen alles den Gelehrten. Was Scheich XY sagt, ist Gesetz.

ZEIT: Halten das nicht auch viele Mainstream-Muslime so?

Kaddor: Ja, aber das kritisiere ich eben: Warum soll jemand, der Tausende Kilometer weit entfernt ist, uns in Deutschland sagen, was wir zu tun haben? Die Fixierung auf einen Gelehrtenspruch verhindert, dass man seinen eigenen Verstand einschaltet.

Malik: Moment mal: Auch Salafisten können zu eigenen Schlüssen kommen. Ja, es gibt eine starke Abhängigkeit von den Religionsgelehrten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht die Verhältnisse zum Beispiel in Saudi-Arabien kritisieren. Warum darf eine Frau dort nicht Auto fahren, wenn Aischa, die Ehefrau des Propheten, auf einem Kamel geritten ist? Für mich passt das nicht zusammen. Da unterscheiden Frau Kaddor und ich uns nicht wesentlich.

Kaddor: Doch! Weil ihr euch solche Fragen überhaupt noch im Ernst stellt. Der Einfluss dieses engherzigen Verständnisses von Religion macht mir Angst. Warum beispielsweise dürfen Frauen Ihrer Meinung nach nicht vorbeten?

Malik: Die Gelehrten haben so geurteilt – diskutabel ist es aber.

Kaddor: Da sind meine Schüler weiter. Ich habe im Unterricht mal gefragt, ob jemand Probleme hätte, wenn ich ein gemeinsames Gebet leiten würde. Die Jungs meinten: Kein Problem.

Malik: Wenn Sie es theologisch begründen können – o.k. Ich bin auch nicht für eine Geschlechter-Apartheid. Mann und Frau können ganz normal miteinander umgehen, sich beim Gespräch in die Augen sehen. Die Grenze ist die Berührung.

Kaddor: Sie sind ja richtig gemäßigt! Ein strenger Salafist würde eine Frau nicht mal ansehen.

Malik: Ich nenne es reformatorisch-konservativ.

ZEIT: Das müssen Sie unseren Lesern erklären.

Malik: Reformatorisch-konservativ bedeutet: Wir richten uns nach dem Koran und der Sunna, aber wir wählen nicht, anders als die Hardcore-Salafisten, die strengste Variante der Auslegung, sondern versuchen, liberalere Standpunkte zu vertreten, ohne die Rechtsquellen zu ignorieren oder zu um-gehen, was wir Liberalen wie Ihnen vorwerfen.

Kaddor: Sie haben aber einen massiven Missionsanspruch.

Malik: Missionsanspruch, ja, aber zieht das Gewalt nach sich? Die salafistische Szene hat sich kollektiv – mit Ausnahme der Radikal-Militanten – gegen die jüngsten Ereignisse in NRW aus-gesprochen.

ZEIT: Sicherheitsbehörden sehen aber eine besondere Nähe der Salafisten zu Gewalt und Terror. Alle Dschihadisten, die sich von Deutschland aus aufgemacht oder in Deutschland zugeschlagen haben, hatten Kontakt zu salafistischen Netzwerken. Sie selbst werden von Glaubensbrüdern bedroht.

Malik: In der salafistischen Szene gibt es einen klaren ideologischen Bruch zwischen Moderaten und Radikal-Militanten, die Ge-walt gegen Muslime wie Nichtmuslime legitimieren und mit Al-Kaida sympathisieren. Wenn sich moderate Salafisten dagegen-stel-len, werden sie im schlimmsten Fall mit dem Tod bedroht – was auch mir passiert ist. Und wenn ich in letzter Zeit Zorn verspürte, dann nicht wegen liberalen Muslimen oder Nichtmuslimen, sondern wegen der Radikal-Militanten, die mei-ne Religion in den Dreck ziehen. Mit diesen »Brüdern« verbindet mich gar nichts.

ZEIT: Dennoch haben Gewalttäter geistige Führer, die sie anstiften. Ist jemand wie Frau Kaddor in Ihren Augen eine richtige Muslima?

Malik: Es gibt liberale Muslime in Frau Kaddors Verein, die ich aus meinem theolo-gischen Verständnis heraus zu Nichtmuslimen erklären müsste, da sie in einigen Punkten fundamental von der Glaubenslehre abweichen.

Kaddor: Woher nehmen Sie sich das Recht, darüber zu urteilen? Das kann nur der Allmächtige.

Malik: Wenn Positionen vertreten werden, die mit dem islamischen Recht nicht kompatibel sind, ist die Sache klar. Beispielsweise wenn homosexueller Geschlechtsverkehr legitimiert wird, ohne jede theologische Begründung.

ZEIT: In der deutschen Gesellschaft sind gleichgeschlechtliche Beziehungen heterosexuellen gleich-gestellt. Wie lebt man mit der öffentlichen Toleranz der »Sünde« als deutscher Salafist?

Malik: Wir müssen es tolerieren und einen vernünftigen Umgang mit diesen Menschen finden. Zum einen hat die Scharia hier keine staatliche Rechtsgültigkeit, und zum anderen kommen auch die Rechtsschulen des Islam
zu verschiedenen Urteilen, von der Ermahnung bis hin zur Todesstrafe. Der Salafistenprediger Pierre Vogel hat sich in dieser Frage klar zur Ermahnung bekannt. Ich selbst sehe das anders.

ZEIT: Sie plädieren für körperliche Strafe?

Malik: Nach islamischem Recht, ja.

Kaddor: Dafür gibt es im Koran keine Regelung. Es steht noch nicht einmal eindeutig irgendwo geschrieben, dass man als Schwuler in die Hölle kommt. Gott erwähnt auch an keiner Stelle, was mit Frauen passiert, die kein Kopftuch tragen – woher also diese ständige Strafandrohung?

ZEIT: Das ist aber doch das Merkmal des Salafismus hierzulande. Wer kein Muslim wird, kommt in die Hölle.

Malik: Nach der islamischen Glaubenslehre werden Nichtmuslime das Seelenheil nicht -erreichen. Von Teilen der Salafisten wird dies aber als systematische Angstpädagogik verwendet.

Kaddor: Beispielsweise gegen Juden und Christen – für Sie doch Ungläubige, die in Hölle kommen.

Malik: Für mich sind Juden wie auch andere Nichtmuslime Ungläubige.

Kaddor: Warum? Mit welcher Begründung?

Malik: Der Islam erhebt wie jede andere Religion einen Wahrheitsanspruch, der von Andersgläubigen nicht anerkannt wird. Diese Einstellung ist nicht speziell salafistisch.

ZEIT: Wegen solcher Ansichten wirft der Bundesverfassungsschutz Salafisten vor, einen Gottesstaat errichten zu wollen, in dem Grundrechte unserer Verfassung nicht gelten.

Malik: Es sind religiöse Überzeugungen, die un-sere persönliche Meinung darstellen und aus -unserer Sicht besser für die Gesellschaft sind.

ZEIT: Muss nicht jeder Salafist einen islamischen Staat anstreben?

Malik: Nach meinem Verständnis sollte ein Mus-lim das tun, ja. Es beginnt mit der einfachen Arbeit in der Gesellschaft, wie die Muslimbruderschaft es auch getan hat. Wir müssen an der Basis anfangen. Wir können es nicht von oben mit Gewalt durchsetzen. Übrigens ist ein islamischer Staat und die Anwendung der Scharia kein Patentrezept dafür, dass alles besser wird. Siehe Iran.

Kaddor: Da gehen bei mir alle Lampen an, wenn ich so etwas höre.

Malik: Es ist eine Utopie, in Deutschland zumindest.

Kaddor: Utopie? Schauen Sie sich doch die sogenannten islamischen Staaten an – wo bitte fördern die »islamische Werte«? Nicht islamische Staa-ten, die die Menschenrechte achten, sind für mich »islamischer« als die angeblich schariakonformen Staaten, die sie mit Füßen treten.

ZEIT: Herr Malik, müssten Sie mit Ihrem Wunsch nach einem Schariastaat nicht nach Saudi-Arabien auswandern?

Malik: Ja, da ist etwas dran. Aber die Gelehrten sagen: Wenn ihr in einem nicht muslimischen Staat eure Religion frei ausleben könnt, dann müsst ihr nicht zurückkehren. Deswegen wehre ich mich immer dagegen, wenn gesagt wird, in Deutschland gebe es eine Islamhetze. Die Muslime können ihre Religion frei ausleben, wir können hier unsere Moscheen bauen, Frauen können Kopf-tücher tragen, auch wenn es gewisse Repres-sionen im Alltag gibt. Aber wir können hier -wesentlich besser und freier leben als in vielen muslimischen Staaten.

ZEIT: Wäre es dann nicht besser, Ihre Glaubensgenossen würden statt des Korans mal das Grundgesetz verteilen?

Kaddor: … einige Muslime machen das ja schon.

Malik: Ich habe nichts dagegen, denn man muss sich an die Gesetze des Landes halten. Das schreibt die Scharia klar vor.

Kaddor: Das ist ja die Ironie: Nach der Scharia muss er zwar die Demokratie achten – aber nur, weil er hier lebt.

ZEIT: Aber unser Grundgesetz schreibt ja auch vor, dass niemand wegen seiner Rasse, seines Geschlechts, seines Glaubens oder seiner Sexualität diskriminiert werden darf.

Malik: Dementsprechend haben wir uns auch daran zu halten.

Kaddor: Finden Sie nicht, dass wir Muslime Besseres zu tun haben, als über Kopftücher zu diskutieren? Es kann doch nicht bloß darum gehen, die Jugend durch Verbote und Strafen zu besonders frommen Muslimen zu erziehen!

Malik: Es fehlt an Bildung, da stimme ich zu. Aber auch an religiöser Bildung.

Kaddor: Ja, eben. Und da sollten wir uns zu-sammentun. Wir leben in einer modernen Gesellschaft, die Globalisierung schreitet voran – und wir träumen uns eine kleine, muslimische Welt zusammen, die es so gar nicht gibt und nie gegeben hat.

Malik: Dem kann ich mich klar anschließen.

 

Die Fragen stellten Jörg Lau und Özlem Topçu

 

Der Bund liberaler Muslime ist da

Die Islamwissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor hatte es schon vor einigen Wochen angekündigt. Jetzt ist es so weit: Der „liberal-islamische Bund e.V.“ ist da – eine Vereinigung von Muslimen, die jenseits der etablierten Verbände einen europäischen Islam nicht nur leben, sondern ihn auch zu Wort kommen lassen wollen.
Auf der soeben freigeschalteten Webpage liest sich das Selbstverständnis so:
„Der LIB vertritt ein pluralistisches Gesellschaftsbild und bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dementsprechend lehnt der LIB jegliche Form von rassistischer, u.a. antisemitischer, antichristlicher oder antiislamischer Auffassung ab.

Der LIB tritt darüber hinaus unter anderem konkret ein für

* eine „dogmafreie“ Auslegung religiöser Schriften wie dem Koran auch unter Einbeziehung historischer und sozialer Kontexte
* die umfassende Geschlechtergerechtigkeit, sowie deren pädagogische und theologische Umsetzung
* die Einführung eines flächendeckenden islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache an öffentlichen Schulen

Mit der Gründung eines Bundes für die in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime ist der LIB e.V. Ansprechpartner und Ratgebender für Vertreter aus

* öffentlichen Institutionen bzw. Verbänden
* theologischen Gemeinden
* politischen Gremien und Verwaltungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene
* schulischen, universitären und anderen Bildungseinrichtungen und der
* Wirtschaft“

Was genau heißt denn aber „liberal-islamisch“? So wie unsere Debatten in letzter laufen, muss die Wortkombination ja geradezu als selbstwidersprüchlich gelten. (Entweder liberal oder islamisch, was denn nun?) Kaddor und ihre Gründungsmitglieder wollen das nicht akzeptieren, sondern den absoluten Widerspruch, den sie schon in ihrem eigenen Leben als Muslime in Deutschland nicht spüren, auch intellektuell auflösen.

Auf der Homepage heißt es nun, liberal-muslimisch bedeute:

  • „auf eine vernunftoffene Gläubigkeit vertrauen, der Verstand ist ein Geschenk Gottes
  • anderen Positionen mit Respekt und Wertschätzung begegnen
  • Widersprüche aushalten können
  • historische, kulturelle, biographische und soziale Kontexte berücksichtigen
  • nicht Beliebigkeit
  • das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit voraussetzen
  • jedweden Absolutheitsanspruch zu reflektieren, relativieren oder gar darauf zu verzichten
  • Entwicklung und Wandel als gesellschaftliche Dynamik annehmen
  • für eine freie und selbstbestimmte Lebensgestaltung in Verantwortung vor dem Schöpfer eintreten
  • Entmytologisierung als Hilfestellung zur Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem sehen
  • nicht nach der Form, sondern nach dem Sinn fragen“

Sie wollen die Vertretung der Muslime nicht den oft stockkonservativen und an den Heimatdiskursen orientierten Muslimverbänden überlassen. Bisher sind die auf der Homepage verzeichneten Mitglieder noch recht wenige. Aber ich kann mir nach dem enormen Echo bereits der Ankündigung dieses neuen Verbands lebhaft vorstellen, dass die Sache schnell wachsen wird.

Lamya Kaddor unterrichtet selber als islamische Religionslehrerin. Sie konnte dabei feststellen, wie wenig junge Muslime oft über ihre eigenen Religion wissen. Sie hat ein Unterrichtsbuch veröffentlich, sowie zuletzt einen Koran für Kinder und ihr autobiographisches Buch „Muslimisch, weiblich, deutsch. Mein Leben für einen zeitgemäßen Islam“.

Gerade nachdem die islamischen Verbände sich beim Zocken mit dem Innenminister zuletzt sehr ungeschickt und unpolitisch angestellt haben, kann man einen neuen Verband, der endlich die jungen, intellektuell ambitionierten Muslime vertritt, die selbstverständlich hier dazugehören und mitreden wollen, nur begrüßen.

 

Warum die Islamkonferenz auch ohne den „Zentralrat der Muslime“ auskommt

Am kommenden Montag will Innenminister Thomas de Maizière die zweite Rundes der Deutschen Islam Konferenz feierlich im Berliner Palais am Festungsgraben lancieren. Heute ließ der „Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) verkünden, der für ihn reservierte Stuhl werde leer bleiben. Was soll eine DIK ohne den ZMD?

In Wahrheit steht nicht der Sinn der Islamkonferenz in Frage, sondern die Legitimation des so genannten „Zentralrats“. Denn andere, teils größere, Verbände nehmen weiter teil – wie etwa die türkische Ditib, die Aleviten, der Verband Islamischer Kulturzentren und der Verband bosnischer Muslime. Ausserdem dabei: eine hochkarätige Auswahl von 10 nicht organisierten Muslimen, darunter Theologen, Islamwissenschaftler, Anwälte und andere zivilgesellschaftliche Akteure.

Der pompöse Name „Zentralrat“ – in Anlehnung an den Zentralrat der Juden gewählt – war immer schon Anmaßung. Nichts ist „zentral“ an der Schirmorganisation, die schätzungsweise kaum zehn Prozent der hiesigen Muslime vertritt (nach  Studien, auf die sich das Innenministerium beruft, sogar nur maximal 3 Prozent) . Auf der Führungsebene dominieren deutsche Konvertiten wie der Vorsitzende Ayyub Axel Köhler, im Hintergrund agieren zwielichtige Figuren wie der ehemalige Chef der „Islamischen Gemeinde in Deutschland“, Ibrahim El Zayat, der im Verdacht steht, der Muslimbruderschaft anzugehören.Was von Köhlers Führungsstil zu halten ist, zeigte sich im Jahr 2007, als er  El Zayat einfach mit ins Plenum der Islamkonferenz einschleuste, gegen den Willen der deutschen Behörden.

Der ZMD kann keineswegs für die Mehrheit der Muslime in Deutschland sprechen. Er ist ein Relikt aus der Zeit, als der deutsche Staat und die Medien sich wenig auskannten mit den hier lebenden Muslimen. Man suchte händeringend Ansprechpartner, und da kam man bei flüchtigem Googlen eben immer auf den ZMD mit seinen wenigen sprechfähigen Köpfen: Nadeem Elyas, Ayyub Axel Köhler, Aiman Mazyek.

Diese Zeit ist vorbei – und zwar dank der Islamkonferenz. Der Islam in Deutschland hat angefangen, selbst sprechen zu lernen: Aus den türkisch dominierten Verbänden sind einige Köpfe hervorgegangen, die kompetent und eloquent Rede und Antwort stehen können – Bekir Alboga von der Ditib, Ali Ertan Toprak für die Aleviten zum Beispiel.

Immer mehr „Kulturmuslime“ melden sich zu Wort, weil sie sich nicht von den stockkonservativen Verbänden vertreten fühlen. Marokkaner, Bosnier und Iraner haben eigene Persönlichkeiten, die für die Vielfalt des Islams hierzulande stehen. Und auch die vielen Stimmen – sehr oft Frauen -, die sich kritisch mit dem islamischen Erben befassen,  sind hier zu nennen: von der frommen Schiitin Hamideh Mohagheghi über liberale Sunniten wie Lamya Kaddor oder Hilal Sezgin bis zu radikalfeministischen Kritikerinnen wie Seyran Ates und Necla Kelek reicht das Spektrum. Untereinander sind sich manche spinnefeind – aber das zeigt ja gerade, dass Deutschland im realen Pluralismus des islamischen Lebens in Europa angekommen ist.

Wir haben in der aktuellen Nummer der Zeit ein Interview mit drei neuen Teilnehmerinnen der Islamkonferenz. Alle drei sind nicht organisiert. Sie reden unverkrampft über ihren Glauben, über die Mißstände und das Schöne an der islamischen Spiritualität. Ihre Familien stammen aus Marokko, dem Iran und Bosnien. Sie sind unterschiedlich stark religiös, eine von ihnen trägt Kopftuch, die anderen nicht – und doch kann man sehr gut miteinander reden. Sie sind alle auf ihre eigene Art Musliminnen – und sie gehen nicht in die Moscheen der Männer. Diese Frauen sind die Zukunft des Islam in Deutschland.  Nicht die wichtigtuerischen Herren in den Verbänden. Der Innenminister tut recht daran, ihnen eine Stimme zu geben in der Konferenz. Ein reiches Stimmengewirr hat die Verbände an den Rand gedrückt – und das ist gut so!

Natürlich leiden die (meist) Herren darunter, dass ihre Vereine nicht umstandslos als quasi-Kirchen anerkannt werden (obwohl sie auch immer wieder behaupten, genau das wollten sie vermeiden, weil es unmuslimisch sei). Und nur so ist die beleidigte und unpolitische Aktion des ZMD jetzt zu verstehen:

„Die DIK II ist in der jetzigen Form ein unverbindlicher Debattier-Club. Der ZMD wird unter diesen Bedingungen an der DIK II nicht teilnehmen“, heißt es in der Pressemitteilung.

„Die DIK ist und bleibt eine von der Bundesregierung verordnete Konferenz. Der Staat versucht sich über die Selbstorganisation der faktischen islamischen Religionsgemeinschaften hinwegzusetzen. …

Das BMI ist nicht bereit im Rahmen der Islamkonferenz zusammen mit den legitimierten muslimischen Organisationen und den Vertretern der Länder im Rahmen einer Arbeitsgruppe einen Fahrplan zu entwickeln, der zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft führt.“

Die Islamverbände können nicht als Religionsgemeinschaften im vollen sind der deutschen Verfassung  anerkannt werden. Sie haben keine direkten Mitglieder. Ihre Repräsentationsstrukutren sind wenig transparent und demokratisch. Sie haben keine theologische Kompetenz, um als Partner des Staates bei der Entwickung von Curricula helfen zu können. Teilweise (Ditib) hängen sie viel zu sehr vom Ausland ab. Sie müssten sich neu aufstellen, um das zu erreichen. Der Koordinierungsrat der Muslime war kein Aufbruch in diese Richtung, sondern einfach nur eine weitere Dachorganisation über schon bestehenden Dachorganisationen.

Vielleicht ist das ganze Aufhebens um den Köperschaftsstatus ohnehin eine Sackgasse: Denn die dringenden Bedürfnisse der Muslime hierzulande – Religionsunterricht und Imamausbildung, Lehrstühle für islamische Theologie – kann man auch unterhalb dieser rechtlichen Schwelle regeln. Erfolgreiche Feldversuche – etwa in Niedersachsen – weisen in diese Richtung.

Der ZMD hat sich verzockt. Er wollte dem Innenminister eine rechtliche Aufwertung abtrotzen, ohne sich selbst vorher zu reformieren. Thomas de Maizière ist darauf nicht hereingefallen. Sein Ansatz, die Islamkonferenz pragmatischer zu gestalten, ist richtig: Islamunterricht und Imamausbildung beschleunigen, über Geschlechtergerechtigkeit reden, Islamfeindlichkeit und Islamismus als Zusammenhang debattieren. Das ist ein gutes Programm. Es läßt sich auch ohne den Zentrarat der Muslime bearbeiten. Vielleicht sogar besser.

 

Für einen Verein liberaler Muslime

Der Kollege Eren Güvercin hat ein Interview mit der Theologin und Religionspädagogin Lamya Kaddor geführt, das ich heute morgen im Auto hörte. (Ich bin Deutschlandfunk-Junkie, der Sender läuft bei mir immer im Hintergrund.) In diesem Interview nun ging es um den Begriff des „liberalen Islam“. Kaddor will nämlich eine Vereinigung „liberaler Muslime“ gründen. (Hier eine Kolumne von Hilal Sezgin dazu.)
Der Anstoss dazu kommt aus dem Versagen der existierenden Verbände, in denen moderne, durch ihr Leben in Deutschland geprägten Muslime sich nicht repräsentiert fühlen.
In dem Interview erklärt Kaddor, warum sie sich als Muslima berechtigt fühlt, auf ein Kopftuch zu verzichten.
Sie beklagt auch den „erbärmlichen Bildungsstand“ der Jugendlichen, die sie im islamischen Religionsunterricht kennenlernt. Sie hätten eine „islamische Identität“ nahezu ohne jede Substanz. Diese Jugendlichen bräuchten dringend Wissen über ihren Glauben, um, so Güvercin, aus ihrer „Scheinidentität“ herauszufinden.
Ich finde das richtig, wie ich auch religiöse Bildung bei Christen, Buddhisten, Juden, Shintoisten etc. für wünschenswert halte.  (Im evangelischen Religionsunterricht lernen meine Kinder auch eine Menge über andere Religionen. Zuletzt war das Judentum dran. Jetzt wird mir erklärt, was koscher ist und wie sich Ostern und Pessach unterscheinden.)  Guter Religionsunterricht wird immer auch eine Menge Religionskunde enthalten – also vergleichende Elemente.
Es wäre darum sehr wünschenswert, wenn liberale Muslime wie Kaddor beim kommenden Streit um die Curricula für islamischen Religionsunterricht eine Rolle spielen würden – und nicht nur die intellektuell meist sehr anspruchslosen Verbandsvertreter.
Eins möchte ich aber festhalten: Religiöse Bildung bietet keine automatische Immunisierung gegen Radikalismus. Es kann auch nicht einfach gesagt werden: Die Radikalen wissen einfach zu wenig über den Islam. Viele der Extremisten, die uns den Schlaf rauben, sind hoch gebildet und geistig rege. Ja, es ist leider so: Gerade das intellektuelle Interesse am Glauben kann – in Kombination mit anderen Faktoren – in den Radikalismus führen. Religionen sind gefährlicher, leicht entflammbarer Stoff. Dsa sollte man nicht durch einen idealistischen Bildunsgbegriff verschleiern.
Es kommt darauf an, dass es endlich einmal einen fairen Kampf zwischen Radikalen und Moderaten geben kann. Lamya Kaddor weiß das natürlich, und deshalb will sie ja den Liberalen eine institutionelle Stimme geben.
Was Sie über die Zeitbedingtheit der Vorschriften über die weibliche Verhüllung sagt, als wäre es eine Wahrheit, die jede(r) erkennen muss, wenn er nur tief genug schürft, ist in Wahrheit (noch) eine Minderheitenmeinung – die Meinung einer winzigen, aber nicht chancenlosen Minderheit.
Eben darum verdient sie Unterstützung.

 

Das „Forum am Freitag“ im ZDF ist da

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Die vom ZDF angekündigte freitägliche Online-Sendung zum Islam ist ab heute abrufbar. Anders als beim „Islamischen Wort“ des SWR, wo eine Art Predigt im Stil des Wort zum Sonntag produziert wird, stellt das ZDF die Information über den Islam in den Mittelpunkt.
Heldin der ersten Produktion ist die Islamkunde-Lehrerin Lamya Kaddor. Die 1978 in Ahlen geborene Kaddor ist studierte Islamwissenschaftlerin. Sie ist Assistentin an der Uni Münster und promoviert über ein islamologisches Thema.
Ein 10-minütiges Interview mit ihr handelt von den Schwierigkeiten und Hoffnungen einer Lehrerin, die mit Vorbehalten der Mehrheitsgesellschaft und dem Unwissen der muslimischen Minderheit zu kämpfen hat. Kaddor macht einen sehr guten Punkt in dem Interview, wenn sie auf die schlechten Kenntnisse muslimischer Kinder über ihre Religion hinweist. Ihr haben sich die Haare gesträubt angesichts der Dinge, die ihre Schüler mit dem Islam und dem Koran begründen wollen.
Kaddor äußert sich sehr selbstbewußt zu Fragen wie dem Kopftuch (keine religiöse Erfordernis) und Ehrenmorden (keine Rechtfertigung im Islam). Manche der Eltern haben Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass eine junge Frau ohne Kopftuch die Islamlehrerin sein soll. Für die Schüler, sagt sie, ist sie zu einer Vertrauensperson geworden.
Sie spricht auch darüber, wie schwierig es nach dem 11. September geworden sei, als Muslima mit dem Animus der Mehrheit umzugehen. Mir scheint, die Weise, in der diese Frau ihren Glauben lebt und lehrt, ist ein Zeichen dafür, dass es trotzdem gelingen kann.
Ausserdem auf der Website: Ein Porträt von Bekir Alboga, sehr wohlwollend, aber auch informativ.
Was stört: Das Ganze ist ein bißchen zu konsensorientiert und betulich. Das ist angesichts der Feindseligkeit, mit der manche ZDF-Kunden auf die bloße Ankündigung reagiert haben, mehr als verständlich.
Wenn die Sache sich etabliert hat, wird man ein bißchen das Tempo anziehen müssen.
Das ZDF hat einen guten Anfang gemacht. Ich bin auf weitere Sendungen gespannt.