Erneut hat sich das Gericht im NSU-Prozess dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter von 2007 gewidmet – und damit einem der rätselhaftesten Fälle der Serie. Wenig hilfreich bei der Aufklärung waren Ermittlungsfehler und womöglich gar Rassismus bei der Polizei, wie die Zeugenaussagen am 81. Verhandlungstag zeigten. In dem Fall seien „mehr Merkwürdigkeiten als bislang bekannt“ aufgetaucht, schreibt Frank Jansen im Tagesspiegel.
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Nach den Angaben von Kiesewetters Kollege Martin A., der während des Mords neben ihr im Streifenwagen saß, wurde ein Phantombild gefertigt. Ein Staatsanwalt ließ dies jedoch nicht veröffentlichen, wie ein pensionierter Ermittler des Landeskriminalamts aussagte. Dabei handelt es sich nicht um den einzigen Fehler, den die Medienberichte resümieren. Das Bild sei möglicherweise wegen A.s Angstzuständen nach der Tat nicht veröffentlicht worden, berichtete der Zeuge. „Möglicherweise sagte er aber auch nicht alles über die Gespräche zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft“, vermutet Jansen.
Die Probleme bei den Ermittlungen waren wohl auch struktureller Natur: Fast zwei Jahre ermittelte die Sonderkommission „Parkplatz“ der örtlichen Polizei, ohne ein vernünftiges Ergebnis zu liefern. Erst im Februar 2009 wurde der Fall an das baden-württembergische Landeskriminalamt abgegeben, wie Björn Hengst auf Spiegel Online berichtet. „Die Aussagen des früheren Polizeibeamten legen nahe, dass manche Ermittler damals überfordert waren“, heißt es.
Auch den Vorwurf des Rassismus müssen sich die baden-württembergischen Behörden gefallen lassen. So recherchierte die Polizei offenbar außergewöhnlich deutlich im Milieu von Osteuropäern sowie unter Sinti und Roma, wie Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung berichtet. Zudem sprechen die Ermittlungsakten von „Zigeunern“ und „Negern“. Diese Wortwahl rief die Nebenkläger auf den Plan: Anwältin Angelika Lex fragte den LKA-Mann demnach, ob die Formulierung „Neger“ von ihm stamme. Dieser verteidigte sich, die Vermerke seien wohl bei der Heilbronner Polizei verfasst worden.
Und dann waren da die Zeugenaussagen, die die Bundesanwaltschaft als nicht für die Anklage relevant einstufte. Mehrere Passanten wollen vor Ort Menschen mit blutverschmierten Händen gesehen haben, wie in einer dpa-Meldung nachzulesen ist. „Mir ist kein einziger Fall bekannt, wo es so viele Zeugen gab, die blutverschmierte Menschen sahen“, zitiert die Agentur den früheren Polizeibeamten, der in der Sitzung aussagte. Doch bedeutet dies, dass Ermittler oder Ankläger Fakten ausgeblendet haben? Nicht unbedingt – denkbar sei, dass jemand mit Blut an den Händen zufällig am Tatort war oder sich die Zeugen geirrt haben, merkt die Agentur an.
Beate Zschäpes Anwälte hätten sich in der Vernehmung „bemerkenswert passiv“ verhalten, schreibt Claudia Wangerin in der Jungen Welt. Die Anwälte hätten auf Angriff schalten können, „da die Täterschaft ihrer toten Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in keinem anderen Fall so unsicher ist wie in diesem“. Aktiv seien hingegen die Verteidiger des Mitangeklagten Ralf Wohlleben gewesen, obwohl diesem im Heilbronner Fall keine Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird.
Mit den Eltern der NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt beschäftigt sich Martin Debes in einer Analyse, die in der Thüringer Allgemeinen erschienen ist. Die Aussagen von Mundlos‘ und Böhnhardts Eltern vor Gericht hatten viele Beobachter irritiert – doch auch diese seien Opfer der Taten ihrer Kinder geworden, schreibt Debes. Er blickt zurück auf die Zeit in der DDR, in der die späteren Rechtsextremisten aufwuchsen. Diese müsse, „trotz aller Alltagssorgen und politischen Bedrückungen, eine glückliche Zeit gewesen sein“. Was nach der Wende geschehen sei, hätten sich die Hinterbliebenen von Mundlos und Böhnhardt auch nicht recht erklären können. Der Autor schreibt, dass „die Ohnmacht der Eltern in fast jedem ihrer Sätze zu spüren“ gewesen sei. Zusätzlich hat die Zeitung Protokolle der bislang drei Aussagen veröffentlicht.
Keine Berichte in englischsprachigen Onlinemedien.
Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 3. Februar 2014.