Zum dritten Mal hat der Thüringer Neonazi und ehemalige V-Mann Tino Brandt im NSU-Prozess ausgesagt. Thema der Fragen von Verteidigern und Nebenklagevertretern waren unter anderem Wehrsportübungen, die der Zeuge in den neunziger Jahren abgehalten haben soll, und seine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz. Für Gisela Friedrichsen von Spiegel Online ist klar, dass Brandt unglaubwürdig ist: „Er verharmlost, beschönigt, erzählt karg oder weitschweifig, wie es ihm gefällt.“ Er habe selektiv andere be- oder entlastet oder bei passender Gelegenheit Namen vergessen.
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Brandt bestritt, das 1998 untergetauchte NSU-Trio unterstützt oder vor dem Auffliegen der Gruppe 2011 von deren Taten gewusst zu haben. Die drei Mitglieder waren indes Gäste der Veranstaltungen bei Brandts Neonazi-Organisation Thüringer Heimatschutz. Mittlerweile, schreibt Friedrichsen, habe sich das Bild gefestigt, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe „auf eine umfangreiche Unterstützergemeinde bauen konnten“. Dies widerspreche „der Auffassung, beim NSU habe es sich nur um eine extreme Kleinstgruppe gehandelt“.
Eckhart Querner vom Bayerischen Rundfunk kommentiert, „Brandt leugnet seine rechte Gesinnung nicht, aber er gibt sich als nichtmilitanter Aktivist. Spätestens heute hat dieses Bild von Brandt dicke Kratzer bekommen“. Grund dafür seien die Schießübungen, die Brandt offenbar auf einem Grundstück im thüringischen Kahla veranstaltete. Er bestritt dies auch, als Nebenklageanwälte ihm Aussagen von Nachbarn vorhielten, die ihn und Kameraden bei einem solchen Training beobachtet haben wollen.
Von 1995 bis 2001 spitzelte Brandt für den Thüringer Verfassungsschutz. Das Geld, das er dafür bekam, steckte er in den Thüringer Heimatschutz. „Deutlich wird erneut, dass Brandt wohl nur durch dieses Wechselspiel zu einer Szenegröße mit derartiger Strahlkraft aufsteigen konnte“, analysieren wir bei ZEIT ONLINE. Noch heute genießt er offenbar den Auftritt, der ihm Gelegenheit gibt, seine fragwürdige Meinung zur Ausländerpolitik zu äußern: „Der 39-Jährige ist keinen Schritt von seiner früheren Ideologie abgerückt (…).“
Zeugenaussagen zufolge könnte Brandt bei Diskussionen in der Szene Gewalt als Mittel des politischen Kampfes befürwortet haben. Stimmt das, hätte der Verfassungsschutz „ein gefährliches Doppelspiel des V-Mannes nicht mitbekommen – oder ignoriert“, kommentiert Frank Jansen vom Tagesspiegel. Zudem päppelte es den Einpeitscher über die Jahre mit insgesamt 200.000 Mark – insofern sei Brandts Aussage „für den Thüringer Verfassungsschutz problematisch“.
Unbefriedigend: Zeuge Tino Brandt wird entlassen. Er gab zuvor fast nur noch Erinnerungslücken an. Der Prozesstag endet. #NSU
— NSU Watch (@nsuwatch) 24. September 2014
Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben soll im Untersuchungsgefängnis mit einem Hungerstreik gedroht haben, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Damit protestiert er offenbar gegen eine Regelung, die ihm nur noch an einem statt zwei Wochenenden im Monat Besuch von seiner Frau und den beiden Töchtern erlaubt. Die Anstaltsleitung will demnach wegen Personalmangels weniger Besuchstage zulassen. Nun soll das Oberlandesgericht entscheiden, ob die alte Regelung für Wohlleben in Kraft bleibt.
Die Taten des NSU richteten sich gegen acht Türken, einen Griechen und eine deutsche Polizistin. In der öffentlichen Diskussion werde allerdings häufig vergessen, dass die Gruppe auch antisemitisch war, wirft Anton Maegerle im Blog Blick nach Rechts ein. In einem Beitrag zählt er judenfeindliche Taten aus der Anfangszeit des Trios auf.
Über den Fall des gestorbenen V-Manns Corelli berichten Lena Kampf und Tanjev Schultz in der Süddeutschen Zeitung.
Das nächste Medienlog erscheint am Freitag, 26. September 2014.