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200 Tage NSU-Prozess: Viele Fragen werden offen bleiben – Das Medienlog vom Freitag, 24. April 2015

 

Wegmarke im Terrorprozess: Seit mittlerweile 200 Tagen wird der NSU-Komplex vor dem Oberlandesgericht München verhandelt. Für viele Prozessbeobachter ist das ein Anlass, Fazit zu ziehen – zumal der Tag selber nur wenige neue Erkenntnisse brachte. „Kein Anklagepunkt (…) ist bislang nachhaltig erschüttert worden“, bilanziert etwa Karin Truscheit von der FAZ. Derzeit verlängere sich das Verfahren immer weiter durch die Vernehmungen von Zeugen aus Neonazi-Kreisen – weswegen es bis zum Urteil noch dauern werde: „Aus Angst vor oder aus Loyalität gegenüber der rechten Szene wird geschwiegen, gelogen, heruntergespielt“, schreibt die Autorin.

An jedem Werktag sichten wir für das NSU-Prozess-Blog die Medien und stellen wichtige Berichte, Blogs, Videos und Tweets zusammen. Wir freuen uns über Hinweise via Twitter mit dem Hashtag #nsublog – oder per E-Mail an nsublog@zeit.de.

Ein ähnlich pessimistisches Fazit zogen mehrere Anwälte der Nebenklage: Sie warfen der Bundesanwaltschaft in einer Mitteilung vor, Akten und Erkenntnisse zurückzuhalten, zudem forderten sie Konsequenzen für die Fehler des Verfassungsschutzes. „Mit einem nach ihren Kriterien angemessenen Urteil rechnen die Anwälte anscheinend nicht mehr“, schließt daraus Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle.

„Bezeichnend ist allerdings, dass sich gleich mehrere engagierte Opferanwälte der Erklärung ihrer Kollegen ausdrücklich nicht anschließen wollten“, merkt Tim Aßmann vom Bayerischen Rundfunk an. Es gebe viele Wissenslücken zum NSU-Komplex, die der Prozess nicht schließen könne. „Wenn im Saal A 101 irgendwann ein Urteil gesprochen wird, werden viele Fragen ungeklärt geblieben sein.“

Die Länge des Prozesses, der bislang 30 Millionen Euro gekostet hat, ist immer wieder Thema in Kommentaren zum Verfahren. „Es ist eine sehr genaue, detaillierte Aufarbeitung. Dafür sind 200 Tage nicht lang“, sagt die Gerichtsreporterin der Süddeutschen Zeitung, Annette Ramelsberger, in einem Video zum Prozesstag. Über die knapp zwei Jahre im Gerichtssaal spricht sie auch mit dem Radiosender Detektor.fm.

Von drei vorgesehen Zeugen erschien am Donnerstag nur einer: Katrin D., die Uwe Mundlos und Beate Zschäpe Mitte der neunziger Jahre kennenlernte. Der Neonazi Bernd T. entschuldigte sich, weil er krank sei und nichts zur Aufklärung beitragen könne, ein Schweizer Zeuge hatte die Ladung nicht erhalten. Mithilfe von Zeugen wie D., stellen wir auf ZEIT ONLINE fest, werden nur noch Facetten ausgeleuchtet. Das führt zu der Erkenntnis: „Die Ermittlungen vor Gericht sind in der letzten Phase.“ Allerdings ist es dem Prozess nicht gelungen, die Hintergründe des NSU umfassend aufzuklären. Dazu wird es wohl auch nicht kommen: „Einen 300. Verhandlungstag wird es mit Sicherheit nicht geben.“

Der Auftritt von Zeugin D. war nach Ansicht von Tagesspiegel-Autor Frank Jansen „symptomatisch für die Geladenen aus der rechten Szene“: Die 46-Jährige habe unergiebige Aussagen gemacht, sei gleichwohl dreist aufgetreten. Im Zuge mehrerer Vorhalte aus den Ermittlungsakten zeichnete sich dabei ein eindeutiges Profil von Uwe Mundlos vor dem Untertauchen 1998 ab. Sie hätten gezeigt, dass er „in anderen Sphären unterwegs war als viele seiner Gesinnungsgenossen“, schreibt Björn Hengst auf Spiegel Online. Er hatte sich damals eine vor allem antisemitisch geprägte Ideologie zugelegt.

Aussagen von Szenezeugen hätten gezeigt, „dass es sich beim NSU um ein Netzwerk militanter Neonazis handelt, die bis heute zusammenhalten, wenn es darum geht, ihre Kamerad/innen zu schützen“, heißt es in einem Statement der Organisation NSU Watch, die den Prozess begleitet. Die These aus der Anklage, nach der die Terrorgruppe in Form eines Trios handelte, sei nicht haltbar.

200 Tage zum Nachlesen: Der Tagesspiegel lässt in einer Chronik jeden einzelnen Prozesstag knapp Revue passieren.

Das nächste Medienlog erscheint am Montag, 27. April 2015.