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Zschäpes Schattenmann

 

Beate Zschäpe hat mal wieder einen neuen Anwalt: Hermann Borchert ist der fünfte Verteidiger. Das ist nur logisch – schließlich bricht im NSU-Prozess eine neue Ära an.

Es war manchmal zu ahnen, aber nie offensichtlich: Der Münchner Rechtsanwalt Hermann Borchert ist seit dem Sommer eine der wichtigsten Figuren im NSU-Prozess. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass er mit dem Terrorverfahren bisher offiziell überhaupt nichts zu tun hatte. Wie gesagt: bisher und offiziell.

Denn gestern ist Borchert als fünfter Verteidiger von Beate Zschäpe in den Prozess eingetreten. Er zeigte dem Gericht seine Eigenschaft als Wahlverteidiger an, wie der Tagesspiegel berichtete. Ihre bisherigen Anwälte Wolfang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm sowie der im Juli dazugekommene Mathias Grasel sind Pflichtverteidiger, also vom Gericht bestätigt und zunächst aus der Staatskasse bezahlt. Wahlverteidiger kann ein Angeklagter nach Gusto berufen und entlassen, er muss sie aber auch selbst bezahlen.

Zschäpe will nach mehr als zweieinhalb Jahren Schweigen im Prozess eine Aussage machen, entgegen dem Rat ihrer drei Altverteidiger, mit denen sie seit Langem kein Wort mehr wechselt. Mathias Grasel, der vierte im ungeeinten Verteidigerbund, soll in der kommenden Woche eine 57-seitige Erklärung verlesen. Sehr wahrscheinlich ist, dass Borchert daran mitgewirkt hat.

Sicher ist, dass der erfahrene Strafverteidiger Zschäpe seit diesem Sommer rechtlich berät. Und damit auch seinen Kollegen Grasel, der mit ihm in derselben Kanzlei arbeitet. Der 31-jährige Berufseinsteiger Grasel profitiert von der Erfahrung Borcherts, der seit 1983 als Fachanwalt für Strafrecht arbeitet. Er verteidigte Räuber, Hochstapler, Pädophile – und nun eine mutmaßliche Rechtsterroristin.

Im Juni stellte Zschäpe einen Antrag auf Entlassung ihrer Anwältin Anja Sturm, dann schob sie ein entsprechendes Gesuch gegen alle drei Stammverteidiger nach. Ihr Anliegen blieb erfolglos. Die Briefe an das Gericht waren zwar handschriftlich auf Kästchenpapier geschrieben, dafür aber professionell und juristisch formuliert. Bekannt wurde damals: Borchert hatte Zschäpe im Untersuchungsgefängnis besucht und ihr beim Aufsetzen der Anträge geholfen.

Später beantragte Zschäpe, ihr den Anwalt Mathias Grasel als vierten Pflichtverteidiger beizuordnen, diesmal mit Erfolg. Es war eine Demütigung für ihre bisherigen Anwälte, die Zschäpes Antrag mit ihrem ersten eigenen Gesuch auf Entlassung beantworteten. Sie überließen Grasel auch keine ihrer Notizen über die bisherigen Prozesstage. Lange Zeit fragte man sich: Wozu dient der Neue an Zschäpes Seite überhaupt?

Nun ist klar, dass er von Anfang dazu da war, mit Zschäpe eine Aussage vorzubereiten. Doch wenn sie von Beginn an so gut mit Borchert zusammengearbeitet hatte, wieso nahm sie ihn dann nicht als vierten Pflichtverteidiger? Warum blieb der erfahrene Borchert der Mann im Schatten, während der oft unsicher wirkende Grasel an die Front musste?

Borchert selbst hat sich dazu nicht geäußert. Auf eine Anfrage von ZEIT ONLINE meldete er sich nicht zurück. So bleibt auch unklar, wie und ob der Anwalt bezahlt wird. Ob Zschäpe Gönner hat, die für sie einspringen, ob Borchert pro bono arbeitet oder sich mit Grasel das Pflichtverteidigerhonorar teilt – alles ist denkbar.

Aus Sicht von Zschäpe ist es jedenfalls logisch, einen weiteren Anwalt ins Boot zu holen: Mit ihrer Aussage wird im NSU-Prozess eine neue Ära beginnen. Eine, in der ihre eigene Sichtweise zum Tragen kommt und mit den Aussagen von Zeugen und der Beweiskraft von Indizien verglichen wird.

Sturm, Stahl und Heer, ihre alten drei Verteidiger, wollen diese Situation nicht mittragen. Sie haben von Beginn an eine andere Strategie verfolgt, aus der Zschäpe nun ausgeschert ist. Deshalb versuchten sie am Dienstag, mit einem neuen Entpflichtungsantrag abzuspringen, doch auch dieser hat schlechte Erfolgsaussichten. Aber auch wenn sie weiter im Prozess sitzen, werden sie Zschäpe keine große Hilfe mehr sein, selbst, wenn sie wollten. Für das, was Zschäpe vermutlich nächste Woche tun wird, haben sie keine Lösung parat.

Die Hauptangeklagte braucht also andere Unterstützer. Anwalt Grasel ist schon da, Borchert wird eigenen Angaben zufolge an einzelnen Terminen ins Gericht kommen. Auf der Anklagebank wird es dann ziemlich eng werden.