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Verpasste Festnahme in Hannover? – Das Medienlog vom Freitag, 13. Mai 2016

 

Erneut hat Beate Zschäpe Antworten auf Fragen von Richter Manfred Götzl gegeben. Darin ging es in weiten Teilen um das Verhältnis des Mitangeklagten Holger G. zum NSU-Trio. Zudem ließ die Hauptangeklagte ihren Anwalt Hermann Borchert zu Protokoll geben, Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien 1998 nur zufällig einer Festnahme entgangen, weil sie in einem Auto mit gestohlenem Kennzeichen kontrolliert worden seien. Wenn das stimme, „hätten die gesuchten Neonazis bei peniblerer Überprüfung durch die hannoversche Polizei noch vor dem ersten Mord gefasst werden können“, analysiert Wiebke Ramm auf Spiegel Online. Bei der Kontrolle in Hannover hätten Polizisten das Kennzeichen im Computer überprüft, ließ Zschäpe wissen. Daraufhin hätten sie jedoch einfach weiterfahren können.

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Holger G., teilte die Angeklagte mit, habe gewusst, dass sich das Trio mit Banküberfällen finanzierte, von den Morden und Anschlägen habe er jedoch nichts erfahren. Zschäpe widersprach seiner Aussage vom Prozessbeginn, laut der sie bei der Übergabe einer von ihm überbrachten Pistole dabei gewesen sei.

Auch sprach Zschäpe von der gemeinsamen Kasse des NSU-Trios, auf die ihrer Aussage zufolge alle drei Zugriff hatten – während die Anklage ihr vorwirft, sie sei Verwalterin der Beute aus den Banküberfällen gewesen. „In Zschäpes Erklärungen geht es um Halbsätze, um scheinbare Nebensächlichkeiten, die dennoch viel bedeuten können“, kommentiert Annette Ramelsberger von der Süddeutschen Zeitung. Die Angeklagte habe sich so abermals „als abhängige Frau in diesem Haushalt“ dargestellt.

Wir bei ZEIT ONLINE stellen Zschäpes verlesene Äußerungen in Zusammenhang mit der Beschreibung, die eine ehemalige Mitinsassin in der ZEIT über sie abgab – demnach sei sie keineswegs unbeteiligt, sondern höchst kommunikativ und manipulativ. Nach ihren Aussagen „bleibt kein Eindruck von ihr, keine Ahnung über ihre Person. Was umso ärgerlicher ist, da in ihren Einlassungen meist nur wenig Substantielles oder Glaubwürdiges steckt“. Zur möglichen Festnahme in Hannover fragen wir uns, „ob sich die Kontrolle tatsächlich in dieser Form ereignet hat – oder ob Zschäpe und ihre Anwälte einen Versuch unternommen haben, die mögliche Schuld der Angeklagten durch Anführung von Ermittlungsfehlern zu relativieren“.

Bei den Besuchen von Holger G. sei es bisweilen auch launig mit Doppelkopfrunden zugegangen, berichtete Zschäpe. „Was für ein herrliches Räuberleben muss das gewesen sein“, merkt Eckhart Querner vom Bayerischen Rundfunk an. Zudem stand ihren Angaben nach für Ausgaben eine Geldkassette mit 5.000 bis 10.000 Euro Inhalt in der Wohnung zur Verfügung. „Paradiesische Zustände, könnte man meinen.“ Fragen zur Übergabe einer Waffe durch Holger G. seien der Angeklagten hingegen „ungelegen“ gekommen.

Die türkische Zeitung Sabah widmet sich in einem Artikel den jüngsten Enthüllungen zu Verfehlungen beim Verfassungsschutz und seinen V-Männern – es geht um eine verschwundene Akte und ein vergessenes Handy. Diese Fälle „lassen weit verbreitete Vermutungen nicht verstummen, wonach staatliche Stellen versuchen würden, Hinweise auf eine mögliche kritische Nähe zu Teilen des NSU-Komplexes zu vertuschen“, heißt es. Zumindest bei dem wiederentdeckten Handy, das einem V-Mann gehörte, gebe es nun noch eine Chance zur Auswertung.

Das nächste Medienlog erscheint am Dienstag, 17. Mai 2016.