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Zerrbild von Zschäpes Seele – Das Medienlog vom Mittwoch, 11. Januar 2017

 

Überraschend äußerte sich die NSU-Angeklagte Beate Zschäpe am Dienstag zu dem psychiatrischen Gutachten über sie, das in dieser Woche vorgestellt werden soll. Dabei gab sie – durch ihren Anwalt Mathias Grasel – vor allem Einblick in ihre angebliche Gefühlswelt: Aussagen von Zeugen seien ihr „sehr nahe“ gegangen, ihr oft distanziert wirkendes Verhalten vor Gericht sei zum einen ihr persönlicher „Schutzraum“ gewesen, zum anderen sei sie damit der Anweisung ihrer drei Altanwälte gefolgt. Auf dieses Verhalten hatte sich der Gutachter in seiner Expertise gestützt.

„Es ist ein Zerrbild, mit dem sie das Image von der kaltblütigen Mörderin korrigieren will“, meint Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle. Dass sie dreieinhalb Jahre seit Prozessbeginn gebraucht hat, um „vermeintlich wahre Gefühle zu zeigen, weckt mehr als vage Zweifel“. Der Bitte um Aufklärung durch Angehörige der Mordopfer verweigere sie sich weiterhin.

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Zschäpes Selbstbeschreibung „befremdet nicht weniger als alles andere, was sie bisher von sich preisgab“, kommentiert auch Gisela Friedrichsen in der Welt (kostenpflichtig). Tatsächlich versuche sie offenbar, „sich erneut der Verantwortung zu entziehen“. Diese schiebe sie stattdessen ihren abgelehnten Altverteidigern zu, die sie zum Schweigen und zur Gefühlskälte gedrängt hätten. Zschäpe nutze offenbar jede Gelegenheit, diese zu schmähen.

Zschäpe ließ auch wissen, sie habe befürchtet, Emotionsäußerungen könnte das Gericht ihr negativ auslegen. Tatsächlich „hätte Zschäpe damit bestätigt, dass ihr Auftreten im Prozess tatsächlich stets auf ein möglichst positives Urteil für sie getrimmt war“, heißt es bei uns auf ZEIT ONLINE. Offen und ehrlich sei deshalb keineswegs. Auch bestätigte sie, Strategien der Abschottung wie in den Jahren im Untergrund angewandt zu haben – was der Deutung von Psychiater Henning Saß entspricht.

Auch Christoph Arnowski vom Bayerischen Rundfunk sieht die Äußerung als eine indirekte Bestätigung des Gutachtens, in dem Zschäpe als manipulativ und berechnend dargestellt wird. Denn: Die Angeklagte hätte zunächst den Vortrag von Saß abwarten und dann dazu Stellung beziehen können, ergriff stattdessen jedoch die Flucht nach vorn. Sie habe sich damit „genau als eine solche Persönlichkeit präsentiert, die in ihr der Gutachter sieht“.

Wiebke Ramm von der Süddeutschen Zeitung merkt an, dass Zschäpe während des Vortrags ihres Verteidigers „stumm und nahezu regungslos daneben“ saß, wie so oft im NSU-Verfahren. Die Angeklagte versuche „offenkundig, auf Saß einzuwirken, damit sein endgültiges Gutachten für sie positiver ausfällt“. Über „wortreiche Beteuerungen“ komme sie dabei aber nicht heraus – zumal sie sich weiter einem Gespräch mit dem Psychiater verweigert.

Das nächste Medienlog erscheint am Donnerstag, 12. Januar 2017.