Die Debatte um die Rolle des Verfassungsschutzes im Fall der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ wirft viele Fragen zum Umgang mit V-Leuten auf. Nicht selten haben die angeheuerten Neonazis mit Wissen ihrer rechten Führungskader großzügige Honorare kassiert und dafür geschönte Berichte an den VS geliefert. Die Liste von Pannen bei fragwürdigen Spitzel-Einsätzen in der Szene ist lang. Der Störungsmelder präsentiert eine Auswahl der brisantesten Fälle.
Von Toralf Staud
2000, Brandenburg – Der mehrfach verurteilte Rechtsextremist Carsten S. aus Königs Wusterhausen fliegt als V-Mann auf. Mit ihm stand ausgerechnet jener Mann auf der Gehaltsliste des Verfassungsschutzes, der die später verbotene Nazi-Musik-Organisation Blood&Honour in Ostdeutschland maßgeblich aufgebaut hat und das Heft United Skins herausgab, das wichtigste deutsche Propagandaorgan für die britische Nazi-Terrorgruppe Combat 18. S. hatte sich den Behörden angeboten, als er eine achtjährige Haftstrafe wegen versuchten Mordes an einem nigerianischen Asylbewerber absaß. Ungewöhnlich schnell, zwei Jahre nach dem Urteilsspruch, wurde er in den offenen Strafvollzug übernommen. Der Verfassungsschutz freute sich in einem internen Vermerk, dass sich dadurch Möglichkeiten eröffneten, „die vorher in diesem Umfang und in dieser Qualität nicht zur Verfügung gestanden hatten“. 1999 wurde er ganz entlassen und trat im Auftrag des Verfassungsschutzes der NPD bei, wurde Parteichef von Königs Wusterhausen und später Organisationsleiter des Landesverbandes Brandenburg. Monatlich erhielt S. 1.000 bis 1.500 DM Informantenlohn. Nachdem seine Spitzeltätigkeit aufflog, übernahm das Land Brandenburg rund 45.000 DM Schmerzensgeld, das ein Gericht dem nigerianischen Asylbewerber zugesprochen hatte.
2000, Thüringen – Als im Zuge des Verbots des Neonazi-Musiknetzwerkes Blood & Honour bundesweit Dutzende Wohnungen durchsucht wurden, war die des Kassenwartes der Gruppe in Gera komplett „sauber“. Dann wurde bekannt, dass Marcel D. schon seit Jahren als VS-Spitzel tätig war. Möglicherweise hatte sein V-Mann-Führer ihn vor der Razzia gewarnt.
2001, Thüringen – „Verfassungsschutz bezahlt weiter rechte Führungskräfte“, titelt die Thüringer Allgemeine, „NPD finanziert Aufmärsche aus der Thüringer Staatskasse.“ Dazu veröffentlicht das Blatt Fotos, die Tino B., den Anführer des militanten Neonazi-Netzwerks „Thüringer Heimatschutzes“ und damaligen stellvertretenden NPD-Landeschef bei einem Treffen mit seinem Kontaktbeamten vom Thüringer Verfassungsschutz zeigen. Bereits ein Jahr zuvor war der Neonazi Thomas D. als Spitzel aufgeflogen und hatte anschließend geprahlt, dass er mit dem Geld vom Verfassungsschutz Propagandamaterial produziert habe. Der damalige Chef des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz, Helmut Roewer, musste daraufhin seinen Hut nehmen. Tino Brandt sollte als V-Mann schon 2000 abgeschaltet worden sein. Doch die Fotos bewiesen, dass Brandt 2001 erneut für den VS arbeiten durfte. Nach eigenen Angaben erhielt er über die Jahre rund 200.000 DM Honorar, das er umgehend in seine politische Arbeit gesteckt habe.
2002, Nordrhein-Westfalen – Während des NPD-Verbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht kommt heraus, dass die Führung des nordrhein-westfälischen Landesverbands über Jahre in der Hand von V-Leuten lag. Unabhängig voneinander hatten das Bundes- und das Landesamt für Verfassungsschutz die Quellen Wolfgang F. und Udo H. geworben, den einen bereits 1962, den anderen 1978. F. war unter eigenem Namen und etlichen Pseudonymen jahrzehntelang einer der eifrigsten Schreiber für NPD-Publikationen, hergestellt wurden diese dann häufig in H.s Druckerei. F. war von 1977 bis 1999 Landes-Vize in NRW, H. ab 1993 Landeschef. Beide saßen im Bundesvorstand, H. war 1995/96 sogar einige Monate kommissarischer Bundesvorsitzender. Nach ihrer Enttarnung kam zudem heraus, dass die NPD über die Spitzeltätigkeit der beiden Bescheid gewusst und kontrolliert hatte, welche Informationen weitergegeben wurden. H. hatte den Parteivorstand über die Anwerbung informiert und sich seine Mitarbeit schriftlich genehmigen lassen; das Bundesamt wusste davon nichts und ging von einer „nachrichtenehrlichen und zuverlässigen“ Quelle aus. F. schrieb nach seiner Enttarnung ein Büchlein über seine V-Mann-Zeit. Noch als Mitglied der NPD-Vorgängerpartei DRP sei er vom Verfassungsschutz angesprochen worden, als er später NPD-Landesgeschäftsführer wurde, habe er diesen Vollzeitjob mit Wissen des Parteivorsitzenden aus den 1.000 DM Spitzelhonorar finanziert. Mehrfach habe er die NPD mit Spenden unterstützt, schließlich sei ihm vom Dienst zur Selbstverteidigung sogar eine Walther-PPK-Pistole finanziert worden. Die Berichte, die er im Gegenzug ablieferte, habe er mit der NPD-Spitze abgestimmt. Für die Kontrolle sei dort Winfried Krauß zuständig gewesen, langjähriges Vorstandsmitglied und hessischer Landeschef. „All das Geschreibe“, bestätigte Krauß im Rückblick, „kam vor Weitergabe über meinen Schreibtisch zur Prüfung.“ Frenz selbst schreibt am Ende seines Buches: „Ich habe mich immer als Parteisoldat verstanden, der für die Partei Kontakte zum Verfassungsschutzamt unterhielt.“
2002, Sachsen – Mirko H., Inhaber des rechtsextremen Musikvertriebes Hate Sounds fliegt als V-Mann auf, das Bundesamt für Verfassungsschutz führte ihn offenbar seit Mitte der 90er Jahre. H. gilt als eine der zentralen Figuren in der rechten Musikszene in Deutschland. Weil er an Produktion und Vertrieb einer CD der verbotenen Naziband Landser beteiligt war, erhielt er im Dezember 2001 eine Haftstrafe von zwei Jahren wegen Volksverhetzung. Auch wegen brutalen Übergriffen auf alternative Jugendliche und weitere CD-Produktionen stand er vor Gericht. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele fragte öffentlich, wo die Grenze liege „zwischen den von Rechtsextremen selbst entwickelten Aktivitäten und den vom Verfassungsschutz inspirierten und finanzierten Aktionen“.
2002, Brandenburg – Im Prozess gegen den Inhaber des Gubener Szenegeschäfts Hatecrime übt das Berliner Landgericht scharfe Kritik am Brandenburger Verfassungsschutz. Ihr V-Mann Toni S. habe unter den Augen des Geheimdienstes CDs der Rechtsrockband White Aryan Rebels vertrieben (Textauszug: „Hängt die Nigger, habt kein Erbarmen!“). Zudem habe der Verfassungsschutz seinen Spitzel vor einem Polizeizugriff gewarnt. Übrigens war an der Produktion der CD neben S. auch Mirko H. (siehe oben) beteiligt – zwei der insgesamt drei Mitwirkenden waren damit Informanten der Sicherheitsbehörden.
2004, Bayern – Im Prozess um den geplanten Sprengstoffanschlag bei der Grundsteinlegung der neuen jüdischen Synagoge in München sorgt ein V-Mann für Wirbel. Die Rechtsanwältin des Hauptangeklagten Martin Wiese argumentiert, der Spitzel sei eine „Art Lehrmeister“ für die Gruppe gewesen und habe ihrem Mandanten „eine Menge erzählt und beigebracht“. Auch das Anschlagsziel habe er vorgeschlagen. Der VS-Spitzel Didier M. aus Frankreich war 2002 vom Verfassungsschutz beauftragt worden sich Wieses Truppe anzuschließen. Zuvor war M. in französischen Naziparteien aktiv gewesen. 2003 fuhr er gemeinsam mit Wiese nach Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Dort kaufte Wiese sechs scharfe Pistolen und Munition. Auf dem Rückweg soll M. ihm geraten haben bei einer möglichen Polizeikontrolle die Beamten „einfach umzublasen“. Der damalige bayerische Innenminister Günther Beckstein verteidigte das Vorgehen des Spitzels. „Ein V-Mann hat nicht die ethische Klarheit, die ich von einem Kardinal oder einem Bischof erwarte“, betonte der CSU-Politiker. 2005 wurde Wiese zu sieben Jahren Haft verurteilt, der französische V-Mann tauchte ab und erhielt eine neue Identität.
2006, Nordrhein-Westfalen – Der Dortmunder Sebastian S. wird als Spitzel des Landesverfassungsschutzes enttarnt. Er gehörte zum Umfeld der Naziband Oidoxie und des Szenegeschäfts Donnerschlag. Aber auch im Drogen- und Waffenhandel spielte S. eine Rolle. Bei seiner Festnahme entdeckten die Beamten Kokain und scharfe Waffen. 2008 wurde er wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittel- und das Waffengesetz zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Sein V-Mann-Führer beim Verfassungsschutz soll anschließend suspendiert worden sein.