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Braune Hegemonie in Nordhausen: Bekennender Neonazi als Auszubildender in der Stadtverwaltung

 

Mitten in der Stadt posiert am hellichten Tage die militante Nazivereinigung "Aktionsgruppe Nordhausen" für ihre Webseite © Screenshot

„Ob Dortmund, Erfurt oder Buxtehude, der Feind ist immer der…“ ist am 1.September bei einer Kundgebung mitten in Erfurt auf Transparenten zu lesen. Ringsherum Plakate, die gegen Israel hetzen und keine Fragen zu der Leerstelle im Reim offen lassen. Rund 100 Thüringer Neonazis waren aus Protest gegen den verbotenen „Antikriegstag“ in Dortmund mit zwei gemieteten Reisebussen durch Thüringen und Sachsen gefahren. Sie solidarisierten sich auch offen mit den verbotenen Nazivereinigungen „Nationaler Widerstand Dortmund“, „Kameradschaft Hamm“ und „Kameradschaft Aachener Land“. Mitorganisiert wurde die rechtsextreme Bustour von der Gruppierung „Aktionsgruppe Nordhausen“, die seit Monaten in ihrer Heimatstadt ihr Unwesen treibt.

So war es auch die „Aktionsgruppe Nordhausen“ die das passende Video zu der Busfahrt auf ihrer Homepage veröffentlichte. Ohnehin werden die meisten Aktionen der militanten Neonazigruppe durch Videos oder Bilder selbst dokumentiert. Angst vor den Strafverfolgungsbehörden scheinen die jungen Rechtsextremisten nicht zu haben. Sie geben sich äußerst selbstbewusst und gewaltbereit.

Erst vor wenigen Tagen hatten wir über die rechtsextreme Szene in Nordhausen berichtet. In der Nordthüringischen Stadt konnte sich über Jahre eine militante Neonazi-Szene ohne große Beachtung entwickeln. Nach verschiedenen Namenswechseln sammelt sich die lokale Szene derzeit unter dem Namen „Aktionsgruppe Nordhausen“. Doch ein Blick auf die Homepage der Gruppierung macht schnell klar, dass die Inhalte nahezu vollständig identisch mit denen ihrer Vorgängergruppe „Autonome Nationalisten Nordthüringen“ sind. Zum Kern der „Aktionsgruppe Nordhausen“ zählen rund 20 Personen. Das weitere Umfeld der Gruppe schätzen Beobachter jedoch auf bis zu fünfzig zumeist junge Männer. Erst Ende August hatte die Gruppe durch einen Fackelmarsch zum Gedenken an den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß ihre Gesinnung erneut öffentlich dokumentiert. Texte auf der Webseite der Gruppe lassen keinen Zweifel an ihrem Hang zur NS-Ideologie. Sie sehen die Zukunft nach eigener Aussage in einem „rassebewussten Europa“ und rufen gemeinsam mit anderen rechtsextremen Gruppierungen derzeit auf: „Werdet zu ‚Schläfern‘, bereitet euch vor.“ Im Alltag soll man also versuchen mit seiner politischen Gesinnung nicht aufzufallen, um dann am „Tag X“ zuschlagen zu können. Das klingt bedrohlich. Noch bedrohlicher ist die Tatsache, dass mindestens ein Rechtsextremist aus dem Umfeld der „Aktionsgruppe Nordhausen“ bei der Stadt arbeitet.

„Rudolf Hess, Du warst ein Held!“

Seit August 2011 ist Tim P. als Auszubildender bei der Stadt Nordhausen beschäftigt. Zu P.´s Freundeskreis zählen große Teile der lokalen Neonaziszene und NPD-Funktionäre. Aus seiner Gesinnung macht der Auszubildende keinen Hehl. Am 17. August veröffentlichte er auf seiner Facebook-Seite ein klares Bekenntnis zu dem in der Szene kultisch verehrten Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß: „Rudolf Hess, Du warst ein Held! Du hast den Ruhm und die Ehre aller deutschen Patrioten!“ Auch rassistische Hetze stellte der Auszubildende offen einsehbar zur Schau. So schrieb er vor wenigen Wochen auf seinem Profil: „Alles nur Kanacken hier im Westen schlimm sowas!“ In einer längeren Diskussion, an der auch andere Neonazis beteiligt waren, legte P. nach: „Ja aber die hier im Westen scheinen sich größtenteils mit den Kanacken abgefunden zu haben das ist Scheiße sowas“.

Besonders brisant ist, dass der neue Auszubildende genau zu jenem Personenkreis gehört, aus dem auch die gewalttätigen Angreifer auf Bürgermeister Matthias Jendricke (SPD) stammten. Zu den Facebook-Freunden von Tim P. gehört ausgerechnet ein stadtbekannter Neonazi, der von Zeugen als Filmer einer Aktion der Nazigruppe „Unsterbliche“ beschrieben wurde. All dies blieb der Stadt und den Sicherheitsbehörden anscheinend über ein Jahr verborgen oder interessierte niemanden. Nach der Anfrage des Störungsmelders an die Stadt Nordhausen verschwand das Facebook-Profil des Auszubildenden plötzlich aus dem Netz.

Kleinstadtidylle: Tim P. (Mitte) posiert 2011 mit Bürgermeister Matthias Jendricke, der im Sommer von Neonazis aus dem Umfeld des Azubis angegriffen wurde © Screenshot

„Jeder Neonazi in der Stadt ist einer zu viel“

Hilflos agiere die Stadtverwaltung, sagen Initiativen gegen rechts. Seit Juli 2012 steht Klaus Zeh (CDU) als neuer Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt. Bisher hat er sich kaum öffentlich zur rechtsextremen Szene geäußert. Auf Nachfrage betonte Zeh „Jeder Neonazi in der Stadt ist einer zu viel“.

Mit dem Auszubildenden habe man bereits gesprochen. Er habe zugegeben die Texte geschrieben zu haben. „Wenn er uneinsichtig ist, müssen wir uns Konsequenzen überlegen“, sagt Zeh. Die Staatsanwaltschaft müsse jetzt prüfen, ob die Aussagen strafrechtlich relevant sind. Man wolle den jungen Mann aber nicht an die rechte Szene verlieren. Deshalb dürfe er bis auf weiteres bei der Stadt arbeiten.

Man werde alles tun, um die rechte Szene einzudämmen, verspricht Zeh. Dafür arbeite die Stadtverwaltung eng mit der Polizei zusammen. Der ehemalige Landesminister verweist auch auf das gesellschaftliche Engagement Nordhausens. Es wurden Stolpersteine verlegt, die Stadt unterstützt die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, es gibt das Studienkolleg der Fachhochschule mit vielen ausländischen Gästen und Nordhausen sei auch der erste Ort in Thüringen mit einer Partnerstadt in Israel gewesen. Außerdem habe man doch das große „Bündnis gegen Rechtsextremismus“ aller Parteien, sagt Zeh.

Dem widerspricht Szenekenner Thomas Rupfahl, der sich seit Jahren in Thüringen gegen Rechtsextremismus engagiert. Weder die KZ-Gedenkstätte, noch das Studienkolleg seien Einrichtungen der Stadt und würden zudem nicht aktiv vor Ort gegen die Neonaziszene arbeiten.  Das gehöre nicht zu ihren Aufgaben. Das Geld stamme zudem fast ausschließlich vom Land. Das „Bündnis gegen Rechtsextremismus“ bestehe in seiner derzeitigen Form seit sechs Jahren. Die Stadt habe einige Aktionen unterstützt, sei aber nie Träger des Bündnisses gewesen. Öffentlichkeitswirksame Aktionen oder Erfolge gegen rechte Strukturen seien kaum zu verzeichnen, kritisiert Rupfahl. Von einem breiten Bündnis, an dem alle Parteien aktiv beteiligt sind, könne kaum die Rede sein. „Von Stolpersteinen wird sich die rechtsextreme Szene nicht beeindrucken lassen“, sagt er.

Durch jahrelanges Wegschauen und Ignorieren habe man es den Neonazis leicht gemacht in dem Ort Fuß zu fassen. Der Fall des rechtsextremen Auszubildenden zeige, wie gut die Szene bereits bei den Jugendlichen in Nordhausen integriert ist – und wie selten eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismusproblem überhaupt stattfindet.

Aber wie soll die Stadt die Neonazis stoppen? „Ein erster Schritt wäre eine deutliche, öffentliche Positionierung, der auch konkretes Handeln folgt“, sagt Rupfahl. Neue Jugendprojekte gegen Rechtsextremismus müssten geplant und finanziert werden.  „Nur in öffentlichen Reden die Nazis zu verdammen, hat jedenfalls bislang nicht geholfen.“