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Blackbox Brüssel

Die Bundesregierung möchte an diesem Freitag wichtige Vorschriften des Strafprozessrechts ändern. Sie sagt der Öffentlichkeit allerdings nicht, welche genau. Denn die Änderungen sollen über die Bande des Brüsseler EU-Rats nach Deutschland gespielt werden. Und da gelten leider andere Transparenzregeln als im Bundestag. Zum Beispiel die, dass die Angelegenheit vorerst nicht für die Presse bestimmt ist.

Darum geht es: Der Europäischen Haftbefehl erleichert bereits heute die Auslieferung Verdächtiger bei bestimmten schweren Straftaten innerhalb der EU. Allerdings sind noch ein paar Verfahrensregeln offen. Diejenige zum Beispiel, wie die 27 Mitgliedsstaaten mit Strafurteilen umgehen wollen, die in dem einen oder anderen Land in Abwesenheit des Angeklagten ergangen sind.

Zwar werden schon seit dem Rat von Tampere 1999 innerhalb Europas Geldstrafen und Gerichtsbeschlüsse wechselseitig anerkannt. Doch das Strafprozessrecht, eine hochgradig grundrechtsrelevante Materie, ist in den EU-Mitgliedsländern noch immer höchst unterschiedlich ausgestaltet. Von der unterscheidlichen Integrität der Justizapparate ganz zu schweigen. Gleichwohl soll auch hier „harmonisiert“ werden, wie es im EU-Sprech heißt. Leider heißt das in der Praxis bisweilen, dass die europäischen Regierungen nur so tun, als herrschten überall vergleichbare Standards.

Möchten wir wirklich, dass in Italien, Bulgarien oder Rumänien erwirkte Strafurteile in Deutschland anerkannt werden, selbst wenn der Angeklagte (vielleicht ja mal ein deutscher Staatsbürger) gar nicht im Prozess anwesend war? Möchte das die Bundesregierung?

Offenbar. Denn laut Auskunft aus der EU-Kommission hat sie zusammen mit unter anderem Frankreich und Großbritannien die Initiative zu in absentia-Urteilen in den Europäischen Rat eingebracht.

Es droht eine Aufweichung deutscher Prozessrechtsgarantien durch die Hintertür.

In Deutschland ist ein Prozess gegen einen abwesenden Angeklagten nur in eng umrissenen Ausnahmefällen möglich (der Grundsatz der deutschen Strafprozessordnung lautet: „Gegen einen ausgebliebenen Angeklagten findet eine Hauptverhandlung nicht statt.“, § 230 Abs. 1). Unbedingte Freiheitsstrafen in Abwesenheit zu verhängen, ist in Deutschland gänzlich undenkbar. Abwesenheitsurteile, die im Ausland ergangen sind, werden in Deutschland bisher ebenfalls nur in seltenen Ausnahmefällen und nach intensiver Einzelfallprüfung anerkannt; zum Beispiel dann, wenn ein Angeklagter nach einem Geständnis vor der Gerichtsverhandlung geflohen ist.

Nun aber sollen nach der Vorstellung der slowenischen Ratspräsidentschaft Abwesenheitsurteile in allen Mitgliedsstaaten vollstreckbar werden. Im Vorschlag der slowenischen Ratspräsidentschaft heißt es:

Once adopted, the Framework Decision will overcome legal uncertainty over the mutual recognition of judgments rendered in the absence of the person concerned (in absentia). In addition to new information obligations, the text will establish that member states should recognise judgments rendered in the absence of the person concerned where he or she has been given a right to a retrial.

Mit anderen Worten: Solange der Angeklagte die Möglichkeit hat, später in Berufung zu gehen, sollen Abwesenheitsurteile gegen ihn erlaubt sein. – Dies wäre für deutsche Staatsbürger ein eklatanter Rückschritt im Rechtsschutz.

Welche Legislativvorschläge die Bundesregierung nun genau in die Ratssitzung am Freitag einbringen will, ist trotz dreifacher Nachfrage beim Bundesjustizministerium nicht zu erfahren.

Ein dortiger Pressesprecher gibt lediglich die Auskunft, die Bundesregierung strebe eine „Stärkung der Bürgerrechte“ an. Wie die Bürgerrechte allerdings stärker geschützt werden können als die durch bisherige Praxis der Einzelfallprüfung, kann der Sprecher nicht erläutern. Er bittet, die Pressekonferenz nach der Ratstagung abzuwarten.

Auf den Einwand, es sei aber wichtig zu wissen, was die Bundesregierung plane, bevor diese Ideen im Rat abgesegnet werden, entgegnet der Sprecher, das könne er verstehen. Helfen könne er aber nicht.

Verglichen mit Deutschland wäre das ungefähr so, als würde eine der großen Fraktionen im Bundestag der Öffentlichkeit den Inhalt eines Gesetzes vorenthalten, über welches das Parlament noch in dieser Woche abstimmen will. Mit anderen Worten: undenkbar. Die Auswirkungen des in Rede stehenden Brüsseler Verfahrens sind aber fast diesselben wie nationale Gesetzgebung. Denn wenn der Rat dem Rahmenbeschluss zu den Abwesenheitsurteilen zustimmt, dann müssen dessen Anweisungen in nationales Recht gegossen werden – egal ob der Bundestag dies möchte oder nicht.

Die Öffentlichkeit hatte damit nicht die Möglichkeit, potentiell einschneidende Veränderungen im deutschen Strafprozessrecht kritisch zu diskutieren.

Der Sprecher des Ministerium sagt, er verstehe, dass die Lage aus Sicht eines Journalisten „jetzt unbefriedigend“ sein müsse. Aber das führe dann zu einer „Grundsatzdiskussion“ über europäische Rechtssetzung.

Das tut sie in der Tat. Denn solche Mauschelmethoden sind Mitschuld daran, dass die Gesetzgebung aus Brüssel in den Ruf geraten ist, unter dem Radarschirm der Öffentlichkeit durchgedrückt zu werden. Falls der Lissabon-Vertrag, die ehemalige „Europäische Verfassung“, am 1. Januar 2009 in Kraft tritt, wird sich immerhin eines ändern: Die Ratssitzungen der Minister werden öffentlich.

Überrollt werden von innovativer Rechtspolitik kann die Öffentlichkeit dann freilich auch weiterhin. „Wir werden uns wohl daran gewöhnen müssen, uns von lieb gewordenen Rechtsstandards zu verabschieden“, sagt der FDP-Europaabgeordnete Alexander Alvaro.

Müssen wir das? Was wäre eigentlich im deutschen Blätterwald los, wenn ein Bundesminister einen solch deutlichen Satz von sich geben würde?

 

Happy Lobby

Die Raucherlobby, denkt man, sollte eigentlich schlecht gelaunt sein. Europa gilt mittlerweile schließlich als fast geschlossener rauchfreier Raum. (Im multilingualen EU-Gastgeberland Belgien gemahnen die Zigarettenpackungen übrigens besonders eindringlich an die zersetzende Wirkung des Nikotingenusses. Sie sind hier mit Warnhinweisen auf drei Sprachen, Französisch, Niederländisch und Deutsch bedruckt, plus Horrorfotos aus Krankenzimmern und abgekühlten Ehebetten.)

Und doch gehörten die drei Vertreter von British American Tobacco, die mir neulich bei einem Empfang die Hand schüttelten, zu den fröhlichsten, zukunftsverliebsten Menschen, die ich seit langem gesehen habe.

“Schlecht gelaunt? Nein, warum?”, fragt der eine von ihnen. Die Geschäfte liefen prächtig.
Ja, ach, Europa, schmunzeln die Marlboro-Männer. Halb so wild. Entscheidend sei, dass immer mehr Chinesen auf den Geschmack der Freiheit kommen. Die globale Entwicklung verlaufe überaus positiv.

Weltweit, sagt der zweite der Lobbyisten, rauchten derzeit etwa 1,2 Menschen. Vor fünf Jahren seien es noch 1,05 Milliarden gewesen. Also, warum sich grämen?

Höchstens deswegen, sagt der Dritte: Der größte Tabakhersteller der Welt sei immer noch der chinesische Staatskonzern.

Aber British American Tobbaco, nicken alle drei, sei sehr zuversichtlich, man finde dort schon noch sein Marktplätzchen.

 

Muslime sind die besseren Katholiken – sagen sie in Dublin

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Lange ist es noch nicht her, da witzelte manch ein Ire, mit muslimischen Einwanderern habe man auf der Insel keine Probleme – solange sie bloß katholische Muslime seien und keine protestantischen. Mittlerweile hat man sich besser kennen gelernt. Und der Witz ist gar keiner mehr.

Schätzungsweise 32 500 Muslime leben heute in Irland, viele von ihnen sind Flüchtlinge aus dem Irak. Damit stellen sie nach den Anhängern der Römisch-katholischen Kirche und der Church of Ireland die drittgrößte Glaubensgruppe im Land. Presbyterianer und Methodisten sind auf den vierten Platz verdrängt – was auf überzeugte Papisten schon erfrischend wirken kann.
Regelrecht überschwänglich aber schreibt nun der Religionsreporter der Irish Times, dass der muslimische Glaube als er eine der abrahamitischen Religionen „in einigen Bereichen den [katholischen] Hauptrichtungskirchen recht ähnlich“ sei. So habe der Imam des Islamischen Kulturzentrums von Dublin erklärt, Verhütungsmittel seien nur zulässig, um Kinder zu planen und „die Gesundheit der Frau“ zu schützen. Abtreibung sei nur erlaubt, wenn das Leben der Mutter in Gefahr sei. Zudem sei der Islam „absolut gegen Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehen und Sex vor der Ehe.“

Vereint zu sein in Rückständigkeit – glücklicher Weise begreifen das nicht alle Iren als Integrationsfortschritt. Aber immerhin, gemeinsame moralische Fundamente mögen eine gute Grundlage sein, sich gemeinsam vorwärts zu bewegen. Die irische Regierung ist sich mit den muslimischen Verbänden nämlich einig, dass der gegenseitige religiöse Respekt auch die soziale Anerkennung fördert. „Anderswo“, sagt der Dubliner Imam Hussein Halawa, „werden muslimische Asylbewerber in Lager gesteckt. Hier bekommen sie Bildungschancen.“

 

Die zweite Entdeckung Amerikas

Eigentlich ist Südamerika für die Europäer ja kein ganz neuer Kontinent. Das geeinte Europa selbst aber macht sich jetzt erst, fünfhundert Jahre nach der Conquista, auf, Lateinamerika zu entdecken.

Soeben trafen die 27 Staatschef der EU in Lima die Präsidenten Lateinamerikas, um über gemeinsame Zukunftsaufgaben zu sprechen. Aus Sicht der Europäischen Union spielt Südamerika auf der Weltbühne mittlerweile die Rolle eines immer ernster zu nehmenden Heranwachsenden. Einer, mit dem es sich aus mehreren Gründen lohnt, engere Beziehungen aufzubauen.

Da ist zum einen das, was Südamerika nicht mehr ist: ein mit Dikaturen gespickter Erdteil.

Waren in den 70er Jahren fast noch überall autoritäre Regime an der Macht, herrschen mittlerweile in beinahe allen lateinamerikanischen Staaten – Kuba ausgenommen – demokratisch legitimierte Regierungen.

Und da ist das, was Südamerika noch nicht ist: ein stabiler, verlässlicher Partner in der Weltpolitik. Von den 550 Millionen Einwohnern leben mehr als 200 Millionen unter der Armutsgrenze. 80 Millionen leiden gar Hunger. Die soziale und wirtschaftliche Kluft macht viele Menschen anfällig für populistische Linkspolitiker, mit denen eine konstruktive Außenpolitik kaum möglich erscheint. In Bolivien und Venezuala herrschen mit Evo Morales und Hugo Chavez sozialistische Heißsporne, Kolumbien und Ecuador sind innenpolitisch zerrissen und fragil.

Die Strategie der EU der lautet, mit der Bekämpfung von Armut zugleich sich selbst zu helfen. Denn ebenso wie Lateinamerika weiteren Wirtschaftsaufschwung und “good governance” braucht, braucht Europa den Kontinent als Absatzmarkt – und für den Klimaschutz, wie Brüsseler Diplomaten gerne etwas lauter ankündigen. „Zusammen“, zählt der Vorsitzende der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, in der FAZ auf, „verfügen Europa, Lateinamerika und die Karibik-Staaten über eine Milliarde Menschen, ein Viertel des weltweiten Bruttosozialprodukts, sie zählen 60 Staaten, besetzen zurzeit sieben Sitze im Sicherheitsrat und ein Drittel der Stimmen der Generalversammlung der Vereinten Nationen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzte den Gipfel in Peru, um zusätzlich Brasilien, Kolumbien und Mexiko zu besuchen,
begleitet von einer elfköpfigen Wirtschaftsdelegation. Die Bundesregierung hatte darauf gehofft, dass zwischen der EU und der südamerikanischen Freihandelszone MERCOSUR ein Assoziierungsabkommen zustande kommt – noch immer aber stocken die Verhandlungen, „auch weil die EU ihrer moralischen Verplichtung nicht nachkommt, den Agrarprotektionismus abzuschwächen“, so Martin Schulz.

“Während die Mitglieder des MERCOSUR einen besseren Zugang zum abgeschotteten EU-Markt für Agrarprodukte anstreben, erhoffen sich europäische Unternehmen Erleichterungen für Investitionen und bei der Vergabe von Staatsaufträgen”, heißt es im – durchaus lesenswerten – Strategiepapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Lateinamerika.

Angela Merkel hat ihre ersten starken Eindrücke von Lateinamerika schon vor Beginn der Reise empfangen, die sie vom 13. bis zum 20. Mai auf den Subkontinent führt: Venezuelas Staatschef Hugo Chavez rückte die Bundeskanzlerin rhetorisch in die Nachbarschaft des Nationalsozialismus, als Erbin einer politischen Rechten, »die Hitler und den Faschismus unterstützt hat«.

Trotz solcher präpotenten Potentaten will Europa in Südamerika aufs Gas drücken. Denn vor allem China macht als Handelspartner Konkurrenz – durch den massenhaften Import von südamerikanischen Rohstoffen und den Export von Technik.

“Die EU, mit 20 Prozent Anteil die weltgrößte Handelsmacht, wickelt hingegen mit Lateinamerika weniger als 5 Prozent ihres gesamten Außenhandels ab”, klagt die CDU. Höchste Zeit also, den Kontinent ein zweites Mal zu entdecken.

 

Hektik in Helsinki

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Neun Jahre, fürchten die Finnen, sind schneller vorbei als man denkt. Es sei, sagt die Regierung, höchste Zeit, einen Planungsstab für das 100-jährige Bestehen des Staates einzusetzen. Das feiern die Finnen 2017. Vor genau 91 Jahren nämlich löste sich das ehemalige russische Großherzogtum aus dem Zarenreich des großen östlichen Nachbarn heraus.

Da nun die Winter in Finnland lang und seine Bewohner eher häusliche Typen sind, halten die Finnen ein großes Gebäude für ein geeignetes Jubiläumsgeschenk. Daher die Hektik im Helsinkier Regierungsviertel. Bald schon will der Premierminister ein „Suomi 100“-Komitee präsentieren, dessen Mitglieder entscheiden müssen, welche die bessere Partygabe wäre:

Eine Nationalbibliothek oder ein neues Nationalmuseum.

Das mag für mitteleuropäische Ohren zunächst recht sachlich klingen. Doch von beidem, da sind sich die Finnen einig, könnten sie je ein neues Exemplar gebrauchen.

Ein moderner Büchereikomplex, findet der Bürgermeister von Helsinki, Jussi Pajunen (sprich: Pajunen), würde als begehbarer Beweis des vorbildlichen Bildungswesens Finnlands dienen, ja, es strahlte gar als steingewordenes Selbstwertgefühl des PISA-Gewinners und Technik-Vorreiters hinaus in die Welt.

Andere sagen, das bisherige Nationalmuseum sei zu verstaubt und folkloristisch. Es glaube doch kein Mensch, respektive Handybesitzer mehr, dass Finnland historisch vor allem Stockfisch, Lappenmützen und Schnitzkunst zu bieten habe. Der Architekt Olli Lehtovuori (sprich: Lehtovuori) schlägt deshalb vor, die Finnen sollten sich ein modernes Gedenkhaus nach Art des „Deutschen Historischen Museums“ zulegen. Für die Deutschen schließlich sei die Institution im Berliner Zeughaus eine wertvolle nationale „Erinnerungs-Bank“ geworden.

Dem Finnland-Besucher aus Deutschland kommt allerdings noch eine andere Idee. Die Finnen sollten sich zum 100sten Geburtstag vielleicht vor allem einmal eine Futurform leisten. Die kennt die finnische Sprache nämlich nicht. Das ist erstens für eine Zukunftsgesellschaft wie die ihre kein Zustand. Und zweitens könnten sich die Finnen in Zukunft womöglich schneller über die Zukunft unterhalten.

 

Europas versteinerter Skandal

Für den automatischen Anhang, der neuerdings an vielen Mails von Brüsseler Funktionären dranhängt, gibt es noch keinen rechten Namen. Nennen wir ihn einfach einmal Gewissenszwicker. Der Gewissenszwicker kommt in verschiedenen Formen daher, aber immer mit demselben Erziehungsziel. Ein typisches Beispiel rundete neulich die Mail eines Europaparlamentariers ab. Unter der Grußformel stand geschrieben:

Sparen Sie Energie. Schalten Sie Ihren Computer aus, wenn Sie abends das Büro verlassen.

Und:

Bitte drucken Sie diese E-Mail nur aus, wenn es absolut notwendig ist.

Ich überlegte einen Moment. Dann klickte ich sehr entschlossen auf die „Druck“-Taste.
Es ist nämlich absolut notwendig, darauf hinzuweisen, dass es heuchlerischer kaum noch geht. Eben jene Mail kam aus Straßburg. Und über Straßburg muss man wissen, dass es einen ebenso luxuriösen wie überflüssigen Zweitwohnsitz für das Europäische Parlament beherbergt. Alle drei Wochen packen die 785 Abgeordneten in Brüssel ihre Koffer und zuckeln samt Mitarbeitern, Dolmetschern und Sekretariat 430 Kilometer ins Elsaß. Eine Kolonne von Lastwagen bringt jedem von ihnen einen Stahlkasten mit Akten hinterher, die stets vor den Abgeordnetenzimmern bereitstehen (siehe unser Foto). Dieser Wanderzirkus soll, so die Erzählung, das Zusammenwachsen Europas fördern.

Das ist natürlich völliger Mumpitz.

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In Wahrheit möchten die Franzosen schlicht nicht auf die Parlamentarier- und Lobbyistenhorden verzichten, die in schöner Regelmäßigkeit die Kassen der Wirtsleute, Hoteliers und Taxifahrer füllen. Was dieser Wahnwitz die Steuerzahler kostet, weiß niemand so genau, aber es gibt Schätzungen, die von 200 Millionen Euro Umzugskosten pro Jahr ausgehen.

Und wissen Sie was?
Im Brüsseler Parlamentsbau brennt natürlich trotzdem die ganze Zeit das Licht.

Fragt man EP-Abgeordnete, warum sie daran nichts ändern, antworten sie, dass die beiden Standorte des Parlaments von Verträgen festgelegt worden sind, die nicht das Parlament zu verantworten hatte. Und das stimmt auch. Die nationalen Regierungen haben die entsprechenden Absprachen getroffen, und vor allem Frankreich wehrt sich gegen jede Änderung des Status quo.

Allerdings steht kein anderes EU-Organ so in der Verantwortung steht wie das EP, diesen Zustand zu ändern. Zwar gibt es immer wieder einzelne Abgeordnete, die gegen den Wanderzirkus protestieren, zum Beispiel diejenigen, die sich in der Kampagne für eine Parlamentsreform zusammengefunden haben. Sie haben sogar eine Reihe von Vorschlägen formuliert, wie Frankreich und Straßburg für den Verlust des Parlaments entschädigt werden könnte.*

Warum aber unterstützen gerade einmal hundert Abgeordnete diese Kampagne, also nicht einmal ein Siebtel von ihnen? Wo bleibt ein Mehrheitsbeschluss des Parlaments, der ein klares Signal an die Mitgliedsländer aussenden würde? Welche Partei hat das Straßburg-Hin-und-Her je zu einem Wahlkampfthema gemacht? Warum setzt das Parlament das Thema nicht gerade jetzt, da Nicolas Sarkozy die Ratspräsidentschaft übernimmt, lautstark auf seine Agenda?

Die Straßburg-Woche ist mittlerweile ein versteinerter Skandal. Höchste Zeit also, den Abgeordneten mit einem eigenen Gewissenszwicker zu antworten:

Sparen Sie Strom, Sprit und Steuergeld. Schalten Sie eines Ihrer Parlamente aus, wenn Sie es das nächste Mal verlassen.

* Hier die Forderungen der Gruppe im Original:


THE EUROPEAN PARLIAMENT BASED FULL-TIME IN BRUSSELS!
BUT WITH A POLITICAL FUTURE FOR STRASBOURG!

THE PROBLEM

The European Parliament (EP) is the only parliament in the world that has more than one official seat. It is divided between Strasbourg, Luxembourg and Brussels with Strasbourg as its official meeting place. Unfortunately, the EP is also the only parliament in the world that does not have the right to decide upon the location of its seat. This right is exclusively reserved for European Heads of State and Government who can only revise their decision by unanimity. This means that the French would have to vote against Strasbourg themselves – which is so far a utopia.

THE CONSEQUENCES IN PRACTISE

Twelve times a year, the parliamentary ‚caravan‘ has to leave Brussels – its actual workplace where the deputies work three times as many days – to go to its official seat in Strasbourg. Every month, 785 MEPs, their assistants and a large part of the administration move – along with six trailers full of paperwork. The costs for the twelve relocations per year and the maintenance of buildings in Strasbourg during a whole year amount to 250 million euros. During one legislature, this represents 1.25 billion euros.

In terms of C02 emissions, the trips to Strasbourg are absurd. Every year, they create 18.900 tonnes of CO2 emissions – the equivalent of 13.000 transatlantic flights.

THE SOLUTION…

In 2006 and 2007, more than a million Europeans have signed the online petition www.oneseat.eu which calls for a single seat for the European Parliament. However, the European Commission and the Council of Ministers have so far blocked this unprecedented pan-European initiative, referring to the previous decision in favour of Strasbourg.

As initiators and supporters of the campaign for a single seat, we have great expectations of the new President of the Republic of France, Nicolas Sarkozy, who, during the first months of his presidency has demonstrated his capacity to cut ties with older and obsolete traditions.
It is clear that a future „absence“ of the European Parliament in Strasbourg will require finding a solid alternative. In this perspective, we present some innovative ideas.

1. „SCIENCEBOURG“ – STRASBOURG AS THE EUROPEAN CAPITAL OF SCIENCE

In autumn 2007, the European Union decided to found the EUROPEAN INSTITUTE OF TECHNOLOGY (EIT); the headquarter’s seat of the Institute will be decided over the next 18 months. Given the already existing strong, cutting edge research structures in Member States, the EIT will not be a centralized institution comparable to the American MIT, but an overarching structure. It will connect national networks amongst each other and with the economy.

Similarly, without an official seat although already in use, the EUROPEAN RESEARCH COUNCIL (ERC) primarily coordinates fundamental research within the EU. Its innovative work that began in 2007 with the 7th Framework Program consists of investing billions of euros dedicated to research for viable projects. The synergies coinciding with the goals of EIT are considerable.

THE EIT AND ERC CENTRES IN STRASBOURG will encourage competition on a global scale in research and teaching. It will further coordinate European research and tackle the brain drain; furthermore, European innovative and academic excellence will have a new and solid frame of reference.

This new knowledge infrastructure in Strasbourg would be the ideal seat for the EUROPEAN PATENT COURT. Arbitrating over the raw materials of innovation with close proximity to Research centres and alongside the European Court of Human Rights would be very clever. The European Patent Office, situated in Munich is not dependent upon the location of the Court, as it is separated from the EU institutional structure. The German Justice Minister also supports the establishment of an autonomous European Patent Court.

Another perspective: there are draft plans for a EUROPEAN UNIVERSITY OF SOCIAL SCIENCES AND HUMANITIES. At Strasbourg, it could be based upon the traditional symbolism of a Union of peoples at the heart of Europe; furthermore, it would be a subtle complement to the natural sciences privileged by the EIT and the ERC. Such a University would bring students from across Europe to Strasbourg and would ultimately be the most far-reaching project for the future of „Sciencebourg“.

2. STRASBOURG – AT THE CUTTING EDGE OF EUROPEAN POLITICS

The quarterly EUROPEAN SUMMITS that currently take place in Brussels would – once they are held in Strasbourg – bring at least as much or probably even more prestige and benefits than the monthly plenary sessions of the Parliament. The meetings of Heads of States and Government attract the international press like a magnet and this would emphasise the symbolic character of the city. European Summits far away from day-to-day political life in Brussels in a city that symbolises European unification would create a strong new synonym (such as ‚Davos‘) – especially if the political positioning of the city of Strasbourg was enforced by

… the EUROPEAN CONGRESS. This new format of bi-annual European political summits would include Heads of State and Government, the European Commission, as well as representatives from the European Parliament and from the national parliaments of the Member States. The Congress would meet to discuss the status quo of the European Union and its future. It would develop a political culture acquired during the European Convention, in order to render European Union politics more democratic and open to citizens‘ concerns.

3. „STRASBOURG DC“

In order to develop a real European Common Foreign and Security Policy, and to get to know each other, building confidence between the national diplomatic services will be crucial. This is why the EP buildings in Strasbourg can have a ‚reinvigorated‘ function as a TRAINING CENTRE FOR DIPLOMATIC SERVICES. For a period of 6 months, the training of all diplomats from the 27 Member States should take place there. The offices of MEPs, which have private bathrooms could be used to accommodate the students while meeting rooms will be transformed into classrooms. In this way, the EP premises would be used to full capacity.

4. OPERATIONAL AND COORDINATION CENTRE OF EUROPEAN ENERGY

European energy issues are demanding more and more long-term cross-border solutions. As the European Agency for Nuclear Energy already has its seat in France, a further energy centre in Strasbourg would be a logical next step. Ludmila Petránová, the former Director of the Czech Electrical Network Agency had already made a similar proposition during a public hearing on European Energy Policy at the European Parliament on 27 February 2007.

5. THE EUROPEAN COURT OF JUSTICE

With the European Court of Human Rights already having its seat in Strasbourg, the European Court of Justice could also be established there. Strasbourg would therefore become a European Centre for Justice. Luxembourg, where the Court currently has its seat and which also hosts the administrative headquarters of the Parliament and the European Investment Bank would thus lose an institution. This loss, however, is defensible under the common judicial tradition that would develop in Strasbourg and whose effects would be considerable.

In theory, the same argument could be made to defend moving the EUROPEAN INVESTMENT BANK to Strasbourg. However, it would be weakened by the absence of a financial tradition in Strasbourg.

We call on President Sarkozy to take on board one of these innovative ideas and to release the European Parliament from the limitations that history has imposed upon it.
We call on Chancellor Angela Merkel and her Council colleagues to support France in this ‚renaissance‘ effort for the city of Strasbourg.
While the Lisbon Treaty put the future of Europe back on course, Strasbourg – which for many Europeans had become the symbol of a vested acquisition – should have the opportunity to become a symbol of new collaboration.

 

„Klare Botschaft“ an Peking

Interessant: Da leitet Peking eine diplomatische Zeitenwende ein, womöglich als Erfolg gesamteuropäischen Verhandlungsgeschicks – und was macht Brüssel?

Es übt sich in geradezu buddhistischer Bescheidenheit.

Natürlich, heißt es aus der Kommission, könne die EU den Erfolg des chinesischen Einlenkens gegenüber dem Dalai Lama nicht allein für sich verbuchen; vergangene Woche hatte sich die Regierung bereit erklärt, mit einem Vertreter des geistigen Oberhaupts Tibets zu sprechen.
Ja, nun ja, aber, lässt sich die EU-Zentrale vernehmen, natürlich pflegten die großen Mitgliedsländer Deutschland, Frankreich und Großbritannien jeweils auf ihre Arten den Dialog mit China. Und jeweils auf ihre Art hätten sie zum guten Gelingen beigetragen.

Dass die EU einen gewissen Anteil am Erfolg hatte, steht allerdings außer Zweifel – und sei es nur als Postadresse.

Bereits am 16. April nämlich erhielt der derzeitige slowenische Ratspräsident Janez Jansa in Brüssel einen Brief aus Peking. Darin, so teilte er erst jetzt mit, habe ihm der chinesische Premierminister „ausdrücklich seine Bereitschaft“ signalisiert, mit einem Vertreter des Dalai Lama ins Gespräch zu kommen.

Wessen Verdienst dies nun genau war, darüber rätseln allerdings auch die Slowenen. „Wohl eher das der internationalen Gemeinschaft“, antwortet ein slowenischer Diplomat in Brüssel eher fragend als selbstbewusst. Mit der chinesischen Regierung sei immerhin vereinbart worden, die Neuigkeit bis zum Gipfeltreffen von Wen Jiaboa mit José Manuel Barroso in der vergangenen Woche geheim zu halten. Die beiden sollte sie feierlich verkünden können.

Als spontane Reaktion auf den Barroso-Besuch kam der Erfolg also nicht – auch wenn der Kommissionspräsident, wie aus seiner Umgebung zu hören ist, durchaus Klartext mit dem chinesischen Premier geredet habe.
Im Zweiergespräch mit Wen habe er betont, dass Europa China als Partner in einer Reihe von globalen Fragen brauche; beim Klimaschutz, bei der Energiesicherheit und bei der Entwicklungszusammenarbeit in Afrika. Barroso habe aber auch die „klare Botschaft“ überbracht, dass die EU mit der Lage in Tibet und der Achtung der Menschenrechte in China nicht einverstanden sei. So müssten Journalisten künftig ungehindert aus Tibet berichten können.

Barroso kam mit einer alten Haltung und mit einer neuen Mahnung. Die eingespielte Haltung der EU gegenüber China lautet: Isolation ist keine Option. Zu augenfällig sind dafür die Zukunftschancen zwischen der konsolidierten und der kommenden Wirtschaftsweltmacht, zu ausgeprägt längst die Verflechtung. China ist eben nicht nur der größte CO2-Produzent der Welt, sondern hinter den USA auch der größte Handelspartner der EU. Seine Ressourcen sichert es sich unter anderem in Regionen, in denen die Europa – wenngleich periphere – Sicherheitsinteressen ausgemacht hat, zum Beispiel im Sudan.

Die innovative Mahnung aus Brüssel indes lautete: Kritik ist kein feindlicher Akt. Barroso, berichtet ein EU-Diplomat, der die Verhandlungen in Peking begleitet hat, habe Wen gesagt, europäische Regierungen würden die ganze Zeit kritisiert. Was sei daran so schlimm? Kritik sei nicht als Beleidigung, sondern als Möglichkeit zu betrachten, die Dinge in Zukunft zu verbessern. Dieser „praktische Ansatz“ Barrosos sei von den Chinesen durchaus geschätzt worden, heißt es. Der Druck, die Olympischen Spiele zu einem Erfolg werden zu lassen, laste spürbar auf ihnen.

„Die Chinesen“, sagt ein Mitglied der EU-Reisedelegation, „wissen, dass sie in der Tibetfrage so nicht weitermachen können bis August.“

Vielleicht kam im Falle des Kommissionspräsidenten aber auch die besondere Eigenschaft der Brüsseler Meta-Diplomatie hinzu, die darin besteht, für Viele und für Keinen zugleich zu sprechen.

Der Kommissionspräsident ist der Kopf einer supranationalen Behörde. Von Natur aus hat er viel mehr Verknüpfung als Verhandlung zu bieten. Aus Sicht der Chinesen also dürfte das Kooperationspotenzial des Brüsseler Abgesandten maximal, sein Demütigungspotential minimal sein. Um Barrosos Teilnahme an der Eröffnungsfeier der Spiele beispielsweise kümmert sich die Weltöffentlichkeit kaum (er habe ohnehin nie vorgehabt, im Stadion zu sitzen, sagen seine Mitarbeiter). Die Debatte hingegen, ob Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der im Juli der EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, oder Angela Merkel und Gordon Brown nach Peking reisen oder nicht, sorgt seit Wochen für Schlagzeilen.

Was lehrt das? Dass Gäste aus Brüssel in Peking willkommene, weil nur semipolitische Handelsvertreter sind. Der EU Zugeständnisse zu machen, kommt selbst den Neo-Comms deshalb vergleichsweise günstig.

 

Brussels Oil Unlimited

Wie lautete noch eines der Hauptargumente der Europäer gegen den Irakkrieg? Amerika gehe es in Wahrheit nur um die Bodenschätze des Landes? Heute, fünf Jahre nach der Invasion, geht es auch den Europäern um Öl aus Gas aus Saddams Ex-Reich.

„Die Verhandlungen laufen sehr gut“, sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kürzlich nach einem Geschäftsbesuch des irakischen Ministerpräsidenten in Brüssel. Die Europäische Union hofft, mit dem Irak schon bald ein Abkommen über Gaslieferungen abzuschließen, um ihre Nabucco-Pipeline zu befüllen. Mit der Röhre wollen die Europäer bis 2012 oder 2013 einen Bypass um Russland legen. Sie soll über 3300 Kilometer vom Kaspischen Meer über die Türkei nach Österreich verlaufen und wäre, wenn man so möchte, die stahlgewordene Unabhängigkeitserklärung Europas vom Staatsmonopolkapitalimus (kurz: Gazprom) des Kreml.

Während Russen und Chinesen den Irak längst als Zapfstelle betrachten, waren europäische Firmen bislang zögerlich, die menschlichen und finanzielle Gefahren auf sich zu nehmen, welche Ölerkundungen im Bürgerkriegsfeuer mit sich bringen.

Doch nun sorgen die steigenden Öl- und Gaspreise auch bei Europas Multis für eine gewagtere Risikoeinschätzung.

Firmen aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Norwegen drängen ins Zweistromland, berichtet ein Insider in einer Brüsseler Zentrale. „Alle Großen haben den Irak auf der Karte. Wenn Sie es Ihren Lesern deutlich machen wollen, sagen Sie ruhig: Es herrscht ein ziemlicher Konkurrenzdruck.“

Der deutsche Energiexperte Frank Umbach glaubt, die Europäer hätten erkannt, dass sie im Wettlauf um die irakischen Reserven nicht dieselben Fehler machen dürfen, die ihnen anderswo bereits unterlaufen sind: „Sie müssen jetzt ihre Pflöcke einschlagen, sonst könnten sie zu spät kommen, wie in Zentralasien.“

Turkmenistan etwa hat kürzlich einen Vertrag mit Gazprom über Öllieferungen geschlossen – damit wird es für die Europäer auf absehbare Zeit schwierig, als Zweitempfänger einzutreten. Immerhin sagte die turkmenische Regierung vergangene Woche zu, jährlich 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas an die EU zu liefern – sollte die Nabucco-Trasse irgendwann stehen. Viel ist das nicht. Die EU rechnet aufgrund des Verbrauchsanstiegs damit, dass sie im Jahr 2020 620 Milliarden Kubmeter brauchen wird, 500 Milliarden davon aus dem Ausland. Nabucco hätte eine jährliche Kapazität von 31 Milliarden Kubikmetern. Doch die EU-Kommission hofft, damit immerhin den Wettbewerb auf dem Gasmarkt befeuern zu können.

Gegenüber dem Irak sieht die EU freilich auch die Chance, mit einem Energieabkommen zugleich Entwicklungsarbeit zu leisten. Die haben Russen und Chinesen dort sicher weniger im Sinn. Der Irak, sagte Kommissionschef Barroso, könne auf die Solidarität der EU zählen, um ein „friedliches, demokratisches Land“ aufzubauen. Der Premier aus Bagdad zeigte sich entzückt. Schon im Mai will er seinen Ölminister nach Brüssel schicken.

 

Mit jedem reden?

Genau zehn Jahre ist es her, dass sich Europas alte Terroristen domestizieren ließen. Im Karfreitagsabkommen von Belfast stimmten im April 1998 ehemalige Kämpfer der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) zu, künftig die Regierungsgewalt mit den Protestanten zu teilen.

Zustande gebracht hatte die Übereinkunft vor allem David Trimble, damals Regierungschef der nordirischen Provinz.

Am Rande der deutsch-britischen Königswinter-Konferenz in Oxford gibt es Gelegenheit, den Friedensnobelpreisträger zu fragen: Was lässt sich aus den damaligen Verhandlungen für heute lernen? Sollte der Westen auch mit den neuen Terroristen einen Dialog wagen? Mit Hamas? Mit Hisbollah? Mit jedem Gegner, sei er auch noch so radikal?

Trimble hat einen klaren Rat. „Wir sollten unterscheiden zwischen taktischen Kommunikationskanälen und ernsthaften politischen Verhandlungen.“ Subpolitische Kontakte könnten immerhin helfen, Blutvergießen zu verhindern. „Aber um einen echten Dialog in Gang zu bringen, muss die andere Seite an einer Einigung interessiert sein statt an einem Sieg.“

Zum falschen Zeitpunkt mit den falschen Leuten zu reden, warnt Trimble, könne „verheerende Folgen“ haben. Während der Verhandlungen mit der IRA, berichtet er, sei deshalb eine Art inoffizielles rotes Telefon installiert gewesen.

„Die Nordirlandverwaltung hat mit der IRA-Führung bestimmte Codewörter abgesprochen, die für Bombendrohungen benutzt werden konnten. Auf diese Art wussten wir wenigstens, wann wir einen Drohanruf ernst nehmen mussten.“

 

Tibet vor der Haustür

Es ist ein Tibet vor der Haustür Europas, aber kaum einen Journalisten interessiert es. Vor wenigen Wochen, Ende März, knüppelten Polizisten in der weißrussischen Hauptstadt Minsk junge Menschen nieder, die an einem Demonstrationszug für die Freiheit ihres Landes teilgenommen hatten. Viele von ihnen, so berichteten weißrussische Oppositionelle am Tag danach in Brüssel, seien verhaftet worden. Die EU geht davon aus, dass bis zu 80 friedliche Demonstranten in Arrest landeten.

Was mit ihnen in den Kerkern des moskautreuen Diktators Alexander Lukaschenka passiert, weiß niemand. Was man weiß, ist dass Lukaschenka weder EU- noch UN-Menschensrechtsbeobachtern die Einreise erlaubt und stattdessen öffentlich droht, Demonstranten „die Köpfe abzureißen“.

Eine Exil-Journalistin berichtete in Brüssel, nur noch wenige Untergrundzeitungen in Weißrussland wagten es, andere Nachrichten zu verbreiten als die gleichgeschalteten Massenmedien. Lukaschenka setze Kritik an seinem Regierungsstil mit Aufrührerei und Terrorismus gleich. Seine Geheimdienst sei mächtiger als jemals zuvor. Am 27. März verhafteten seine Agenten einige der letzten frei arbeitenden Journalisten im Land.

„Ich weiß nicht, wie es andere dort noch aushalten“, sagte Alhierd Baharewitsch, ein junger weißrussischer
Schriftsteller, der auf Einladung des Hamburgischen Landesvertretung in Brüssel aus seinen – in Weißrussland verbotenen – Büchern vorlas. „Ich habe es nicht. Ich konnte dort einfach nicht mehr atmen.“

Weißrussland grenzt an drei EU-Staaten, an Polen, Litauen und Lettland. Doch im Brüsseler Pressecorps erregte der Auftritt der weißrussischen Publizisten so gut wie keine Aufmerksamkeit. Fehlt dem Land vielleicht ein esoterisch-schillernders Exiloberhaupt? Oder ein hübscher Jedermanns-Gewissenskonflikt wie Olympia-Kommerz versus Moral?

Oder haben wir uns schlicht und einfach an ein dunkles Steinzeitregime als direkten Nachbarn gewöhnt?