Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Der Witzbold als armer Tropf

 

Monty Python wollten Hitler durch einen Witz besiegen. Er sollte sich totlachen. Heute droht dem der Tod, der falsche Witze macht. Über den Graben, den der Humor zieht

© Martin Bureau/AFP/Getty Images
© Martin Bureau/AFP/Getty Images

Glaubt mir, es ist an der Zeit, wieder einmal über den tödlichsten Witz der Welt zu reden. Denn selten war er so wertvoll wie heute. Groß heraus kam er 1969, in Folge eins von Monty Python’s Flying Circus. Da war er so tödlich, dass die Briten ihn als Waffe im Zweiten Weltkrieg einsetzten und die Nazis sich an einem Gegenwitz versuchten, der bei seinen Opfern allerdings nur befremdetes Schweigen auslöste.

Die Idee des tödlichen Witzes – also eines Witzes, über den man sich unweigerlich und buchstäblich totlacht – ist aber noch deutlich älter. Als interessanter Monty-Python-Vorläufer erweist sich hier Lord Dunsany, ein Fantasy-Autor von uraltem irischem Adel. 1916 schloss er seinen Band Tales of Wonder mit einer Kurzgeschichte namens The Three Infernal Jokes ab (eingedeutscht als „Drei höllische Witze“).

In dieser Geschichte lässt sich ein Mann auf ein Geschäft mit der Hölle ein: Im Austausch gegen seine seltsame Eigenschaft, dass für ihn „alle Frauen gleich hässlich sind“, erhält er drei Witze. Den ersten davon testet er bei einer Dinnerparty, und all seine Gäste lachen, bis sie tot umfallen. Dem deshalb angestrengten Mordprozess entzieht er sich mit dem zweiten Witz und verlässt als einziger lebend den Gerichtssaal. Er flieht in die Highlands, wo er fortan einsam herumwandert, um niemanden mehr mit dem dritten Witz zu gefährden, den er noch in petto hat.

Lord Dunsany war ein Schriftsteller von der Sorte, die immer betont, ihre Geschichten hätten mit der schnöden Wirklichkeit nichts zu schaffen. Gut möglich, dass er die drei höllischen Witze als eskapistisches Gedankenspiel auffasste. Ein Divertimento zum Cognac am Herrenabend. Sein tödlicher Witzbold ist dabei ein armer Tropf: schon vor dem Höllenhandel eher eine Randfigur in den Kreisen, denen er angehören möchte; hinterher ein Ausgestoßener. Um die Witze reißt sich dieser Mann auch keineswegs. Er lässt sie sich aufschwätzen. Und da hat er den Salat.

99 Jahre nach den Tales of Wonder schlagen wir uns mit der Erkenntnis herum, dass wir in einer Zeit und schnöden Wirklichkeit leben, in der man tatsächlich an Witzen sterben kann. Zwar nicht, wenn man sie hört, aber wenn man sie macht. Weil die, die sie hören, dann tödlich beleidigt sind.

Also könnten wir The Three Infernal Jokes nun als moralische Mahngeschichte lesen – im Sinne derer, die sagen, man solle sich doch den Witz, der Fanatiker ausrasten lässt, besser verkneifen. In Lord Dunsanys Szenario sind die Witze des Teufels, der Witzerzähler ist ein Außenseiter, der gewaltiges Unheil anrichtet und bloß die Klappe hätte halten sollen. Und wo wir schon dabei sind, ließe sich seine Eigenschaft, dass er „alle Frauen gleich hässlich“ findet, auch noch als Argument für Verhüllungsvorschriften deuten; zumal er gerade diese fromme Tugend für die infernalischen Witze hergibt.

Ja, hätte doch jeder, der zu riskanter Komik neigt, sich das Schicksal des traurigen Sünders eine Lehre sein lassen und der Versuchung entsagt oder sich damit zumindest beizeiten in weltferne Einsamkeit verzogen! Dann hätten sich die Mörder von Paris im Januar … andere Opfer gesucht.

Denn damit solche entsicherten Jünglinge in den Massakermodus fallen, braucht es keine Satirezeitschrift. Sie hätten anderswo zugeschlagen, und die nachfolgende Erschütterung und Debatte wären anders verlaufen oder ausgeblieben.

Über den Anschlag auf die Charlie-Hebdo-Redaktion mag erschöpfend diskutiert worden sein, auch über die Scheinheiligkeit, mit der dann selbst die NPD den Slogan „Je suis Charlie“ kaperte. Einen Graben, den die Debatte sichtbar gemacht hat, haben wir aber noch nicht genau genug betrachtet: den Graben zwischen denen, die lachen wollen, und denen, die nicht lachen wollen.

Dieser Graben klafft nicht nur zwischen Mohammed-Karikaturisten und vermeintlichen Rächern des vermeintlich beleidigten Propheten. Er ist auch nicht neu, sondern es gibt ihn wohl, seit auf Erden der erste Witz gerissen wurde. Die Charlie-Debatte verlief mehr oder weniger eng an seinen Rändern entlang. Bloß überschritten hat sie den Graben nie.

Denn die Leute, die lachen wollen, und die, die es nicht wollen, reden immer aneinander vorbei, egal wie höflich, geduldig, eloquent sie aufeinander zu gehen. Die jeweilige Grundhaltung „Lachen ist gut“ vs. „Lachen ist böse“ steht als Weiche zwischen ihnen.

Diesen anscheinend nicht zu überwindenden Unterschied sollten wir uns möglichst klar machen. Ich wünschte, es gäbe dafür einen unblutigen Anlass.

Mit einer Kollegin, die ich sehr schätze, geriet ich wenige Tage nach dem Attentat in einen kleinen Disput. Sie zählte sich zur „Ich bin nicht Charlie“-Fraktion, die zu den dröhnenden Solidaritätsbekundungen sofort den Gegenchor bildete. Tenor: Die Morde verurteilen auch wir, aber das heißt nicht, dass wir uns mit dem unverantwortlichen Spott, für den diese Zeitschrift steht, gemein machen würden. Wer derart mit dem Feuer spielt, braucht sich nicht zu wundern.

Ja, nicht wahr? Es hätte den gottlosen Zynikern doch Warnung genug sein müssen, als 2011 zur Antwort auf ihre „Scharia Hebdo“-Sondernummer (mit dem legendären Coverspruch „100 Peitschenhiebe, wenn Sie sich nicht totlachen“) ein paar Brandsätze durch die Redaktionsscheiben flogen.

Die Kollegin brachte lauter gute Argumente vor: zu den verheerenden Folgen des Kolonialismus in den islamischen Ländern, zur Mitschuld des Westens am Dschihad-Wahn und zur öffentlichen Gleichgültigkeit, solange Terrorakte keine Europäer oder Amerikaner treffen. In all dem konnte ich ihr zustimmen. Aber nicht in der Folgerung, dass man sich deshalb keine Mohammed-Karikaturen erlauben sollte.

Die Logik von „Je ne suis pas Charlie“ – so viel Übles hat der Westen in der muslimischen Welt angerichtet, und nun verhöhnt ihr noch, was Muslimen heilig ist! – gab sich ehrenwert. Doch erstens wurde damit eine Satirezeitschrift haftbar gemacht für Handlungen von Politikern, was nur im Rahmen eines totalitären Denkens Sinn ergibt. Zweitens wurde die Humorfähigkeit religiöser Eiferer – nicht zu verwechseln mit „den“ Muslimen – zum Maßstab dafür erhoben, worüber man Witze machen darf. Und drittens wurde Charlie Hebdos programmatischer Untertitel aus Prinzip missverstanden. Denn Journal irresponsable heißt nicht „unverantwortliche Zeitschrift“ nach Einschätzung derer, die blasphemische Bildchen unverantwortlich finden. Sondern: überhaupt keiner Autorität verpflichtet.

Das ist allerdings erst recht eine Ungeheuerlichkeit – für die Leute, die nicht lachen wollen.

Wenn die Mörder hereinstürmen, zur Rettung einen tödlichen Witz reißen zu können: Das hätte die Kollegin den Charlie-Redakteuren sicher auch gewünscht. Aber die utopische Qualität dieses Witzes hätten sie und ich wohl unterschiedlich gesehen.

Der tödliche Witz ist der Witz, dem nichts standhält. Er löst alles auf, was fest gefügt ist. Er zersetzt jede Setzung, er macht alle Macht zunichte. (Darum muss er im Monty-Python-Sketch ja auch per Genfer Konvention verboten werden; wo kämen wir sonst hin in Sachen Weltordnung?)

Wollen wir dieses zersetzerische Potential bannen oder begrüßen? Zwischen beiden Antworten verläuft der Graben. Gewöhnlich macht er sich kaum bemerkbar; im halbwegs entspannten Alltag können Menschen, die lachen wollen, und Menschen, die nicht lachen wollen, gut miteinander auskommen, sogar zusammen lachen. Doch in einem zugespitzt autoritären Kontext ändert sich das. Entweder Totlachen oder 100 Peitschenhiebe: Eben weil der Dschihadismus eine derzeit einzigartig unverhohlene und grelle Verbindung von Gewaltbereitschaft und Humorlosigkeit bietet, wird er zum Hauptziel von Witzen, die gerne tödlich wären.

Hinter jeder Debatte darüber, wo der Spaß aufhört, lauert die Frage, ob er überhaupt anfangen darf. Und dahinter wiederum eine Sehnsucht nach Zensur und Tabu. Ob das umgekehrt heißt, wir verfügen, wenn wir lachen wollen, über keine brauchbare Handhabe, um Witze gehässig, dumpf, widerlich zu finden, ist eine andere Frage.

_________________

Sie möchten keinen Freitext verpassen? Aufgrund der großen Nachfrage gibt es jetzt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.