Es gibt viele Formen des Lachens. Die wichtigste zersetzt jede Autorität, und für viele Menschen ist dieser Gedanke unerträglich.
Die Menschen, die lachen wollen, sind eine Minderheit. Und zwar eine viel kleinere, als man denken mag, wenn man sieht, wer alles vermeintlich gerne lacht. Auch das Überangebot an Comedy in Gesellschaften wie unserer sollte darüber nicht hinwegtäuschen, denn es ist größtenteils auf Menschen zugeschnitten, die nicht lachen wollen.
Dass es von den Menschen, die lachen wollen, eher wenige gibt, ist keine neue Erkenntnis. Romantisiert hat sie schon E.T.A. Hoffmann vor fast 200 Jahren in seinem Capriccio Prinzessin Brambilla. Darin würdigt er die „unsichtbare Kirche“, die „keinen Unterschied der Nation“ kennt und „sehr wunderliche Glieder zählt, unerachtet alle aus einem Rumpf gewachsen“. Der „unsichtbaren Kirche“ gehört nämlich jeder Mensch an, der sich an den „Faxen des ganzen Seins hienieden […] ergetzt“.
Kirche würde man sich heute wohl nicht mehr nennen, aber die Kombination mit „unsichtbar“ ist sehr geschickt. Denn stiftet das „Ergetzen“, also das Lachenwollen, auch eine Art Glaubensgemeinschaft, so hat diese Gemeinschaft doch nichts Sektenhaftes an sich, nichts Missionseifriges, nichts Exklusives – nichts von dem, was eine Kirche sichtbar macht.
Inmitten des Karnevalsfeuerwerks, das Hoffmann in Prinzessin Brambilla abbrennt, funkelt eine große Theorie des Komischen. Für deren Details ist hier kein Platz, aber die Figur Brambilla selbst lässt sich, gerade weil man sie gar nicht zu fassen bekommt, als ‚Verkörperung‘ des Lachens lesen. Und die philosophische Grundlage dazu wird im Herzstück des Büchleins umrissen, dem Märchen von König Ophioch und Königin Liris. Es feiert ebenso die entgrenzende Wirkung des Lachens, wie es die verbreitete Angst vor dieser Entgrenzung – vor diesem Kontrollverlust – vorführt.
Die entgrenzende Wirkung des Lachens auf den Punkt zu bringen, ist ein Widerspruch in sich. Versuchen wir es also getrost, denn von solchen Widersprüchen wimmelt ja unser Leben und unser Denken ist auf sie angewiesen. Die entgrenzende Wirkung des Lachens besteht darin, dass ihm keine Herrschaft standhält. Es zersetzt jede Autorität. Das ist die Freude derer, die lachen wollen; während ebendieser Gedanke – dass keine Herrschaft standhält – für die Menschen, die nicht lachen wollen, unerträglich ist. Oder undenkbar.
Verstehen wir uns nicht falsch. Auch unter den Menschen, die nicht lachen wollen, gibt es viele, die gerne lachen. Und wenn ich eingangs behauptet habe, sie lachten nur vermeintlich gerne, dann weil es im Feuilleton ja gerade wieder Mode ist, ein bisschen großmäulig zu schreiben.
Wer nicht lachen will, kann mit einiger Wahrscheinlichkeit trotzdem über Unverfängliches lachen. Gutmütig, aus Freude oder sogar aus einer gewissen – kontrollierten – Albernheit. Sobald es aber verfänglich wird, wenn Witze „zu weit gehen“, „eine Grenze überschreiten“, ist für die Menschen, die nicht lachen wollen, „Schluss mit lustig“.
Die Menschen, die nicht lachen wollen, neigen zu Sinnsprüchen über das Lachen. Etwa reden sie vom „lachenden Dritten“, oder sie sagen „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“. Diese Phrasen entwerfen immer das gleiche Bild: Wenn gelacht wird, dann hämisch. Zwei gehen leer aus, der Dritte bekommt alles und lacht. Jeder lacht über das Missgeschick des anderen, und gewonnen hat der, über den schließlich niemand mehr lachen kann. Noch ein Spruch: „Schadenfreude ist die schönste Freude.“
Solches Lachen wiederum ist keineswegs gutmütig, und mit dem Lachen aus Prinzessin Brambilla hat es nicht mehr als den Namen und vielleicht ein paar körperliche Symptome gemeinsam. Es dient der Selbstbestätigung, drückt Genugtuung und Machtvollkommenheit aus. Kurz, es ist eher eklig.
Wenn Witze umstritten sind, scheitert die Diskussion mit Menschen, die nicht lachen wollen, verlässlich daran, dass sie keinen Unterschied sehen zwischen dem Hohn des „lachenden Dritten“ und, zum Beispiel, dem antiautoritären, „blasphemischen“ Spott eines Satiremagazins. Deshalb glauben sie auch, die Haltung derer, die lachen wollen, bedeute, man könne überhaupt kein Gelächter mehr ablehnen.
Welch ein Irrtum; und hiermit kommen wir sozusagen auf das Mysterium der „unsichtbaren Kirche“ zurück. Das Lachen derer, die lachen wollen, richtet sich gegen jede Form von Herrschaft. Das triumphale, verächtliche Gelächter – das Gelächter der Täter über die Opfer, das fette Lachen der Sieger, der Selbstherrlichen, der Sadisten – ist eine Form von Herrschaft. Und das ängstliche, unfreie Lachen derer, die um zu lachen, immer einen vertrauten Rahmen brauchen und sicher sein müssen, dass die Grenzen gewahrt, die Witze berechenbar bleiben, ist eine Form, Herrschaft zu bejahen.
Vielleicht sollte man Lachforschung als Gegenstück zur Gewaltforschung betreiben. Ich weiß nicht, ob das schon getan worden ist, gefunden habe ich dazu bisher nichts; die Lachforschung scheint sich weitgehend auf die medizinische Dimension des gutmütigen Satzes „Lachen ist gesund“ zu konzentrieren.
Auf diesen Gedanken gebracht hat mich vor einigen Tagen Jan Philipp Reemtsmas Rede zu seinem Abschied als Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Genauer gesagt, die Art, wie er in dem Vortrag (Titel: Gewalt als attraktive Lebensform betrachtet) Gewalt mit Entgrenzung verbindet. Entgrenzung steht dabei für das Rauschgefühl grenzenloser Macht über den der Gewalt ausgelieferten Anderen. Reemtsma spricht von einer „Selbstermächtigung zum großen ‚Du darfst’“, die sich in der Zerstörung, im Foltern und Morden äußert.
Das radikal Andere zu dieser Form von Entgrenzung ist die Entgrenzung im Lachen. Allmacht, totale Kontrolle, versus rückhaltlose Absage an jede Form von Herrschaft. Ich vermute sogar, dass jede Form von Herrschaft sich anhand ihrer jeweiligen Strategien beschreiben ließe, das Lachen zu verhindern oder einzudämmen. Denn wo das Lachen ganz entfesselt ist, bringt es die Idee von Herrschaft selbst zum Einsturz.
Und ja, solche Zuschreibungen mag man irgendwie utopisch finden. Oder irgendwie anarchistisch. Und ja, bitte, man soll sie zum Lachen finden. Dazu passt auch, was der Redenlauscher Thomas Schmid in seinem Blog bemerkt: „Jan Philipp Reemtsmas Abschiedsvortrag gab sich, trotz der Schwere des Themas, als vergnügliches Capriccio.“
Zum Abschluss dieser kleinen Meditation über ein altes Lieblingsthema – Geständnis am Rand: Im vorigen Jahrtausend schrieb ich darüber meine Magisterarbeit – noch eine weitere Referenz. Zu den besten Texten, die je über das Lachen verfasst worden sind, zählt meiner unbescheidenen Meinung nach The Third Policeman von Flann O’Brien (dt. Der dritte Polizist; ich empfehle in diesem Fall aber sehr, das Original zu lesen, denn Harry Rowohlts Übersetzung ist leider weit schlechter als ihr Ruf). Eine der Anekdoten, die in diesem Roman der redselige Sergeant Pluck zum Besten gibt, ist die vom Ballonfahrer Quigley, der hoch in den Himmel aufsteigt, um „erstklassige Beobachtungen“ anzustellen. Als der Ballon per Seilwinde zurück zur Erde geholt wird, ist er leer.
Erst, als man ihn zwei Wochen später noch einmal aufsteigen lässt und zurückholt, sitzt Quigley („by all accounts a Fermanagh man„) wieder im Korb. Auf die Frage aber, was er da oben gemacht und was ihn dort so lange aufgehalten habe, bricht er in ein unbändiges, unaufhörliches Lachen aus. Das macht die anderen so wütend, dass sie am Morgen nach einer stürmischen Nacht bewaffnet mit Flinten und Schürhaken in sein Haus eindringen und ihn gewaltsam zum Sprechen bringen wollen. Doch wieder ist Quigley verschwunden, wieder anscheinend im Ballon. Dessen Seil schlingert noch in der Winde, also holen sie ihn zurück. Der Korb ist leer. Der Ballonfahrer bleibt unauffindbar.
Was die Gewaltbereiten nicht verstehen oder nicht hinnehmen wollen: Der Ballonfahrer konnte ihnen von da oben gar nichts anderes mitbringen als das Lachen.