Frauen müssten dies. Frauen sollten das. Mütter sowieso. All unsere Feminismus-Debatten werden auf Nebenschauplätzen geführt. An der Sache selbst ändern sie nichts.
Das Kind war krank. Es hatte eine dieser Kinderkrankheiten, die dem Kind in Form von großen roten Flecken und aufgeblasenen Backen jede Niedlichkeit, aber nicht die Energie nehmen, andere Mütter im Schwimmbad und auf Spielplätzen im Nu alarmieren und leider keine weiteren Begleiterscheinungen wie Fieber mit sich bringen, so dass auf Müdigkeit und Schlaf nicht zu hoffen war. Das Kind müsse eine Woche lang zuhause bleiben, sagte die Ärztin, das andere Kind blieb aus Solidarität ebenfalls da, beide wollten in den Bergtierpark oder an den See, weil „das macht nicht so viel, dass ich ansteckend bin“. Ich rief die Babysitterin an, noch bevor ich dem Kindergarten Bescheid gab. Ich wollte in jener Woche schreiben, einen Text über die Feminismus-Debatte zum Beispiel, über das Rollenverständnis von Frauen und Müttern in unserer Gesellschaft, also diesen Text, der natürlich einen anderen Einstieg gehabt hätte, nur: Das Kind war krank.
Als die Babysitterin klingelte, die ich ganz fest an mich drückte, von plötzlicher Wiedersehensfreude und Dankbarkeit ergriffen, sagte das Kind, das bis vor ein paar Sekunden noch in seiner Eigenschaft als Feuerwehrmann Wasser über das Parkett verteilt hatte, mit Krokodilstränen im rotgefleckten Gesicht: „Aber Mama, ich bin doch so krank. Da musst du doch bei mir bleiben. Das ist so bei Mamas.“ Um es kurz zu machen, ich verließ zehn Minuten später das Haus. Die Babysitterin war zu einer Feuerwehrsfrau befördert worden und hatte ein Eis versprochen. Alles war gut, nur der Satz war hängen geblieben: Das ist so. Mamas machen das. Mütter sind so. Frauen sind so.
Dabei ist das kindlich formulierte „ist so“ natürlich eine normative Anspruchshaltung, die man ständig und überall antrifft: Mütter haben zu sein. Frauen haben zu sein. Für ihre Kinder da zu sein. An diesen mehr hängend als an der Karriere. Und gleichzeitig: Hart im Nehmen, wenn sie es in den oberen Etagen mit den Männern aufnehmen wollen. Bereit, zu verzichten, wenn sie es schaffen wollen. Das Normative hat einen Beigeschmack: Die Unterstellung, dass Frau nicht genug ist, nicht genug kann. Wenn du arbeitest, bist du keine gute Mutter. Wenn du nicht bei deinen Kindern bist, wenn sie krank sind, bist du keine gute Mutter. Wenn du deinen Arbeitsplatz mal früher verlässt, um bei einem Schulfest dabei zu sein, dann gibst du nicht Vollgas bei der Arbeit. Wenn du Kinder hast, kannst du dich nicht voll einsatzbereit zeigen, wie ein Mann das tut. Wenn du dich heute für den Job und gegen Kinder entscheidest, dann kann sich das jederzeit wieder ändern, weil du eine Frau bist und ein Kinderwunsch bei einer Frau ganz natürlich. Wenn du eine Mutter bist, dann solltest du voller Emotionen sein, im Job hingegen ja nicht zu emotional. Ach so, und auch das ist ein Grund, warum beides sich nicht miteinander verbinden lässt.
Solange aber Vorstellungen und Ansprüche wie diese noch durch die Gesellschaft geistern, solange sie sich festsetzen und festgesetzt werden in den Köpfen von Kindern, solange es immer noch Unterschiede in der Entlohnung von Männern und Frauen gibt, solange in den Arabischen Emiraten mehr Frauen in Führungspositionen arbeiten als hierzulande, solange noch diskutiert werden muss, ob eine Frauenquote etwas an dem herrschenden System ändern kann oder schon in der Idee diskriminierend ist, so lange wird man den Feminismus noch brauchen. Man wird den Feminismus als Bewegung brauchen – also als einen konstruktiven Ansatz zur Verbesserung der Gesellschaft, als einen Weg zur Gleichberechtigung, nicht als ein gedankliches Konstrukt, das sich in der Theorie anfeinden lässt, indem man seine Akteure – Akteurinnen in dem Fall – persönlich angreift, indem man ihn immer noch in zwei Kategorien führt, die unüberwindbar sind, Männer und Frauen nämlich. Vielleicht sollten wir aufhören darüber zu diskutieren, wie der Feminismus aussieht – ob seine Vertreterinnen Achselhaare haben, ob Netzfeministinnen lustig sind oder angestrengt, ob Männer Teil davon sind. Sondern sprechen sollten wir endlich über die Forderungen, die er im besten Falle stellt.
Wir brauchen den Feminismus, nicht nur für eine Herstellung von Gerechtigkeit, sondern auch, um gesellschaftlichen Vorstellungen von dem Sein als Frau zu entkommen. Um Bewertungen zu entkommen. Um Ansprüchen zu entkommen, die nicht wir an uns – als Frauen wie als Menschen (und dass ich beides erwähnen muss, sagt bereits Einiges aus) – stellen, sondern andere. Um nicht in allem, was wir tun, an der Frage gemessen zu werden, ob wir Frauen sind oder nicht.
Als das Kind nicht mehr krank war und in den Kindergarten ging, bat mich die Kindergärtnerin, etwas für den Kindergarten einzukaufen. „Kann ich machen“, antwortete ich, „dauert aber ein paar Tage, weil ich die nächsten Tage beruflich unterwegs bin.“ „Macht nichts, ich finde schon eine gute Mutter, die nicht beruflich unterwegs ist und das erledigt“, antwortete die Kindergärtnerin. Im selben Moment fiel ihr auf, was sie da gesagt hatte, sie entschuldigte sich: „Soll natürlich nicht heißen, dass eine Mutter, die beruflich unterwegs ist, keine gute Mutter ist.“ Da hatte ich den Satz aber bereits gehört. Das Kind im Übrigen auch.
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