Die neue Rechte hantiert mit perfiden demagogischen Begriffen. Die Linke postet Katzenbilder. Höchste Zeit für ein bisschen Ideologiegeschichte.
Das Wort Gutmensch fällt in dieselbe Kategorie wie Warmduscher oder Sitzpinkler: Ich bekenne mich zu jeder der drei Zuschreibungen und komme mir dabei auch noch cool vor. Ich betrachte rücksichtsvolles Verhalten als das Gegenteil von Schwäche, ich finde, es ist alles andere als ein Beweis von Männlichkeit, seinen Urin über den Rand der Kloschüssel zu verspritzen, und wenn ich damit prahlen will, dass ich kein Weichei bin, muss ich nicht zu Hause kalt duschen, sondern kann zum Beispiel die verbürgte Anekdote raushauen, wie ich tief in Sibirien (im Dorf Scheregesch nahe der Stadt Taschtagol in den Mustagbergen) mit einer russischen Wandergruppe in der Banja war und es als Einziger fertigbrachte, die Flasche Bier, die ein Scherzkeks auf den Grund des Eisbeckens versenkt hatte, wieder hochzuholen. Dies nur kurz zum Einstieg, damit ihr wisst, was für ein harter Hund und netter Kerl ich bin.
Die Frankfurter Allgemeine hatte neulich eine sehr gute Idee: Sie veröffentlichte ein zwölf Begriffe umfassendes „Wörterbuch der Neuesten Rechten“, ein Mini-Kompendium der Kampfbegriffe, mit denen das „nationalkonservative“ Lager systematisch um sich wirft. Die Einträge sind zwar für meinen Geschmack etwas mau geraten, pendeln zwischen „Lasst uns geistreich sein“ und „So, nun haben wir ‚Thymos‘ auch abgehandelt“. Aber was zählt, ist das Projekt: offenzulegen, wie die neue Rechte die Sprache manipuliert. Dazu können die zwölf Schlagworte nur ein Auftakt sein. Allerdings sollten wir auch nicht so tun, als sei diese Form der Manipulation erst mit Pegida und der AfD über das Deutsche gekommen.
Bereits Mitte der 90er wurden „Gutmensch“ und „political correctness“ in der noch nicht lange um die Ex-DDR erweiterten Republik als Schimpfwörter etabliert. Auch damals gab es schon eine „neue Rechte“. Es war die Zeit, als Botho Strauß sich mit seinem Anschwellenden Bocksgesang aus dem Fenster lehnte und eine Essayistenriege, die von Rüdiger Safranski über Klaus Rainer Röhl bis Peter Gauweiler reichte, mit dem Sammelband Die selbstbewusste Nation ein neues, auftrumpfendes Deutschlandgefühl durchsetzen wollte.
Im gleichen Jahr wie Die selbstbewusste Nation, 1994, erschien in erster Ausgabe Das Wörterbuch des Gutmenschen. Dahinter steckten keine Rechten. Herausgegeben wurde es von Klaus Bittermann und Gerhard Henschel, und die Liste der Autor/innen war ein generationsübergreifendes Who-is-Who der satirefähigen Linken, mit Simone Borowiak, Harry Rowohlt, Katharina Rutschky, Eckard Henscheid, Wiglaf Droste, Roger Willemsen und und und – einem jungen Matthias Matussek, den damals noch niemand auf dem Weg in sein katholisches Abenteuer wähnte.
Das Wörterbuch des Gutmenschen – der Titel parodierte unverfroren Dolf Sternbergers Wörterbuch des Unmenschen – bot ein Musterbeispiel für linke Kritik an der Linken; genauer gesagt für die Entlarvung der (heimlich) autoritären Linken durch die (reflektiert) antiautoritäre. Die Fetische und Tabuzonen auch des eigenen Lagers zu verlachen, war schon immer eine wichtige hygienische Übung für Freigeister.
Wiederum etwa zur selben Zeit begannen sich liberal-konservative Kreise das ironische Instrumentarium anzueignen, das in Deutschland bis dahin Teilen der Linken vorbehalten war. Quer durch die Kunstformen und Debattenschauplätze prägte sich daraufhin ein Pop aus, der sich entweder scheinheilig postpolitisch gab oder freimütig zu den Wonnen des Neoliberalismus bekannte. Plötzlich zitierte die Junge Union Rosa Luxemburg. Und aus dem subversiven Gutmenschen-Bashing der Linken wurde affirmatives Gutmenschen-Bashing der ganzen Gesellschaft.
Die Reihe der Diskurs-Köpfe, die das neue konservative Cool vermarkteten, erstreckt sich vom hemdsärmeligen Ulf Poschardt bis zum spitzzüngigen Jan Fleischhauer. Beide zeigten zum Beispiel großes Vergnügen daran, halbernst gemeinte Provo-Parolen wie „linksgrün“ oder „Staatsfeminismus“ in die öffentliche Diskussion einzufüttern, um ebendort spielerisch die Überzeugung festzuklopfen, die Linke genieße bei uns „kulturelle Hegemonie“, sie gebe längst gesellschaftlich und politisch den Ton an, und wer als eigensinniger Denker noch etwas auf sich halte, müsse sich gegen den „linken Mainstream“ in Stellung bringen.
Mit diesem anschwellenden Ideologenchor im Hintergrund ließ sich das intellektuelle Deutschland weitgehend widerstandslos durch die Jahre der „Hartz-Reformen“ und der „Agenda 2010“ scheuchen. Seither gilt hier sogar die Politik von Angela Merkel als links. Und während die Zeiten, da versucht wurde, „Warmduscher“ und „Sitzpinkler“ als kommode Spottobjekte für den schreckhaften deutschen Durchschnittstrampel einzuführen, wieder vorbeigingen, härteten „Gutmensch“, „linksgrün“, „politisch korrekt“, „Staatsfeminismus“ usw. zu festen Satzbausteinen aus, anhaltend beliebt bei allen, die sich und anderen einen linken Konsens im Land einreden wollen.
Diesem Rhetorikbaukasten brauchten Pegida und Co. nur noch ihre speziellen Kampfbegriffe (Lügenpresse, Meinungsdiktatur, Islamisierung, Bevölkerungsaustausch, versifftes/verseuchtes 68er-Deutschland etc.) hinzuzufügen. Der Wortschatz der „neuesten Rechten“ bedient sich einer Grundlage, die von linken Satirikern und (neo-)liberalen Ironikern geschaffen wurde. Auf der Strecke bleibt dabei die Ironie, vor allem natürlich die Selbstironie (Ironie bei der AfD heißt, dass Frauke Petry von der „Pinocchio-Presse“ spricht). Und so kommt zustande, was die konservative Publizistin Liane Bednarz als eine systematische „Verrohung der Sprache und damit auch der Gedanken“ diagnostiziert.
Was hält der angeblich linksgrüne (oder gar „linksrotgrüne“, wie AfD-Mann Jörg Meuthen sagt) Mainstream dieser Verrohung entgegen? Die Frage führt nicht weit, schließlich ist der linksgrüne Mainstream ein Hirngespinst; draußen in der Wirklichkeit gibt es kaum noch Linksgrüne, außer vielleicht dem unverwüstlichen Hans-Christian Ströbele in Kreuzberg. Interessanterweise leistet aber der neoliberale Mainstream durchaus tätigen Widerstand gegen die Propaganda der neuen Rechten. Ulf Poschardt und Jan Fleischhauer etwa haben sich längst mit Grausen und klarer Kante von den neuen, antiliberalen Nutznießern ihrer demagogischen Spielereien distanziert. Denn die stellen in ihrer Umdeutung der rhetorischen Grundlage eine andere Grundordnung in Frage: die freiheitlich demokratische.
Und die Linke? Ja, was macht eigentlich die Linke? Hier mal ein Törtchen ins Gesicht der Frau von Storch, da mal ein verbitterter Kolumnentext. Oder wenn ich mir die bekennenden Linksradikalen in meinem Facebook anschaue, so posten sie erschreckend viele Katzenbilder. Und wenn keine Katzenbilder, dann die übliche Leier, der Kapitalismus sei am Ende und mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten überall in der westlichen Welt komme bloß die faschistische Wahrheit hinter der neoliberalen Fassade zum Vorschein.
Nur gut, dass es auch die linke Satire noch gibt. Nicht oft genug kann betont werden, dass sie jetzt wichtiger ist denn je und dass wir den Leuten von der heute-show, von extra 3, vom Neo Magazin Royale und von der Titanic für ihren Dienst am Gemeinwohl zutiefst dankbar sein sollten. Denn die komische Demontage autoritärer Anwandlungen – egal, aus welcher Ecke sie kommen, und ohne Rücksicht auf Verluste – bleibt auch 22 Jahre nach dem Wörterbuch des Gutmenschen eine unverzichtbare Strategie zur Verteidigung der Freiheit.
Am Wörterbuch der neuen Rechten schreiben wir unterdessen zusammen mit den konservativ-liberalen Publizisten weiter.
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