Kaum ist die Sommerpause um, trumpfen die neurechten Polittrolle wieder auf. Brauchen wir als Gegengewicht eine vereinigte Linke?
Ende Juli begann ich diesen Freitext zu schreiben. Ich wollte ihn „Ringelpiez mit Restlinken“ nennen. Aufhänger sollte der Facebook-Stoßseufzer eines sehr linken und sonst nicht für Stoßseufzer bekannten Autoren sein. Er appellierte an alle, die sich noch irgendwie als links begriffen, ihre internen Streitigkeiten bis auf weiteres beizulegen und sich zusammenzuschließen. Denn ebendies – sich zusammengeschlossen – hätten „die Faschisten“ längst. Und so, wie die Dinge nun stünden, gebiete niemand ihnen Einhalt.
Die Leute, die besagter Autor – es handelt sich um Christian Y. Schmidt – in seinem Aufruf als Faschisten bezeichnet, würden sich zu ca. 100% dagegen verwahren, so genannt zu werden. „Faschist“ gilt ja selbst bei der AfD offiziell als Schimpfwort. Andererseits ist Schmidt kein dummer Krakeeler, sondern ein gründlicher Zeitdiagnostiker und theoriefester Polemiker, dessen Haltung für meinen Geschmack vielleicht etwas zu dogmatisch ist, der aber gewiss imstande wäre, bei all denen, die er Faschisten nennt, sehr einleuchtend zu begründen, warum.
Lassen wir seine Faschisten dennoch einstweilen Unschuldslämmer sein (so notierte ich Ende Juli weiter), besorgte Bürger oder „wahre Konservative“, Patrioten oder Paranoiker – und halten wir uns an den anderen Teil seines Postings.
Also an das mit den Linken, die sich zusammenschließen sollen. Ich wollte die Fragen aufwerfen, was für verschiedene Linke das wären; was es heißt, wenn ein, sagen wir ruhig Kommunist zu so einem Zweckbündnis aufruft; und ob mit einem derartigen Appell nicht das alte, hoffnungstrunkene Auf zum letzten Gefecht! mal wieder eine allzu deprimierende Deutung erführe.
Nicht besorgt, sondern tatkräftig
Dahinter hätten meinerseits eine Beobachtung und eine These gestanden. Die These: dass der Zusammenschluss – und zwar ebenso der stoßgeseufzt für nötig befundene wie der angesichts der Bedrohung von Rechts ganz konkret verwirklichte – nicht nur der Zusammenschluss zwischen diversen Linken sei. Sondern der zwischen all jenen, die die pluralistische Demokratie bewahren wollen, völkische Ideologie für gefährlichen Unfug halten und Angst, Abschottung und Empathielosigkeit als politische Rezepte ablehnen. Dass zu diesen Verteidigern der Vielfalt und der offenen Gesellschaft neben Linken durchaus auch Liberale und Konservative zählten. Und dass man als stramm Linker gegen einen Rechtspopulismusboom heutzutage erstaunlich wenig Handlungsmöglichkeiten habe – es tritt ja nur das ein, was man immer schon vorhergesagt hat, was bleibt einem da übrig außer Defätismus oder Guerillaphantasien? Während man als weniger stramm Linker im nun gemeinsamen Widerstand gegen Rechts den alten politischen Gegner auf einmal zu schätzen lerne (fürs erste; wenn der Spuk vorbei und die Demokratie gerettet ist, wird man sich natürlich wieder streiten; allerdings dürften sich einige Dogmen auf beiden Seiten dann erledigt haben, und das wäre auch gut so).
Die Beobachtung: dass nach den drei Amoktaten in Bayern – Würzburg, München, Ansbach – eben nicht die von der neuen Rechten immerzu geschürte Panik und Hetze zum Flächenbrand wurden (und das, obwohl sich für die Anschläge in Würzburg und Ansbach sogleich Daesh zuständig erklärte und in beiden Fällen die Täter Flüchtlinge waren). Dass die Öffentlichkeit vielmehr ziemlich besonnen reagierte und sich gerade in München mit #offenetür wieder einmal zeigte, was für ein Schatz die gute alte Zivilgesellschaft in diesem Deutschland nach wie vor sein kann. So wie auch, man kann nicht oft genug daran erinnern, im September 2015, als die Geflüchteten zu Zehntausenden am Münchner Hauptbahnhof ankamen und Tausende Bürger nicht „besorgt“ herumzagten, sondern tatkräftig bewiesen, dass „Wir schaffen das“ keine hohle Phrase sein muss.
Die neue Rechte, so wollte ich Ende Juli mutmaßen, fange nun langsam an zu verläppern. Wir haben uns an ihr zwanghaftes Trollverhalten gewöhnt, an ihr penetrantes „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“, an ihre immer gleiche Taktik von Tabubruch und Zurückrudern, um Unsägliches sagbar zu machen, an ihr wehleidig-aggressives Kommunikationsverhalten, das die konservative Publizistin Liane Bednarz so treffend als „Melange aus Zorn und Mimimi“ beschreibt.
Da lacht die AfD
Weit mehr als nur ein Ringelpiez der Restlinken, so wollte ich schließen, stehe inzwischen bereit, um „den Faschisten“ Einhalt zu gebieten bzw. aus der aufgeplusterten AfD die Luft rauszulassen (deren Anhänger natürlich losplärren, wenn man sie in die Nähe der Bezeichnung „Faschist“ stellt, jedoch sobald sie nicht im Plärr-, sondern im Grölmodus sind, gerne zum Beispiel „Volksverräter!“ brüllen, was nachweislich eine Naziparole ist, und wer findet, dass Naziparolen das sind, was man ja wohl noch sagen darf, der darf sich, finde ich, auch nicht wundern, wenn man ihn für einen Faschisten hält).
Über die Sommerpause wurde es dann ja auch eher ruhig um die Trolle, und wir naiven linksrotgrün gleichgeschalteten Gutmenschen konnten ihnen wünschen, dass sie schöne Ferien hatten, sich mal richtig ausschliefen und plötzlich mit klarem Kopf erwachten.
Kaum war der September da, holte die AfD mit einem geschmeidigen Ex-Radiomann an der Spitze fast 21% der abgegebenen Wählerstimmen in Mecklenburg-Vorpommern. Nun sitzt sie in neun von sechzehn Länderparlamenten, und Spiegel Online kann sich Sätze wie „die AfD hat sich endgültig im Osten etabliert“ nicht verkneifen. Endgültig, soso. Da lacht die AfD dämonisch, und der ausgeschlafene Bürger wundert sich.
Einige haben ja inzwischen noch mal nachgerechnet: Auch wenn wir die NPD-Stimmen noch dazu nehmen, haben zumindest mehr als drei Viertel der Urnengänger nicht für Rechtsaußen gestimmt. Und das in einem bisher, allen Erfolgsmeldungen zum Trotz, nicht sonderlich aufgeblühten Bundesland, dessen Bevölkerung mangels Perspektiven seit 1990 um ein Sechstel geschrumpft ist. Endgültig ist da gar nichts.
Bedingt wählbar: die FDP
Aber, ach, Zahlen, Zahlen, Zahlen. Mit den Zahlen haben es die Rechten eigentlich nicht so. Die sind doch alle gefälscht von der Merkeldiktatur, der Lügenpresse, dem versifften Mainstream. Anders sieht die Sache natürlich aus, wenn man die Zahlen selber manipuliert. Deshalb wurde vor der Wahl zum nächsten Parlament, in das die AfD möglichst triumphal einziehen möchte – das Berliner Abgeordnetenhaus – ein „Extrablatt“ an zigtausend Briefkästen verteilt. Dieses „Extrablatt“, herausgegeben von einem „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“ und in Sachen Impressum deutlich sparsamer, als das Landespressegesetz es vorschreibt, hetzt so dreist und perfide, dass selbst die Bild es kaum fassen kann.
Besonderes Schmankerl zwischen „Deutschland 2016: Ein Staat vor dem Versagen. Die Kriminalität: Außer Kontrolle geraten“ und „die Realität hat selbst Thilo Sarrazin überholt!“ ist ein Wust von Daten und Zahlen. Diese stammen zum Teil praktischerweise aus einem Artikel von Sarrazin selbst in der rechtspopulistischen Weltwoche aus Zürich, zum Teil aber auch tatsächlich aus der vom Bundesinnenministerium herausgegebenen Polizeilichen Kriminalstatistik 2015. Bloß, da können die Kriminalstatistiker noch so geduldig erklären, dass die Kriminalität in Deutschland im vergangenen Schicksalsjahr nicht nennenswert zugenommen hat und sich ein eklatanter Anstieg der „Nichtdeutschen“ unter den Straftätern auch nur dann ergibt, wenn man „ausländerrechtliche Verstöße z.B. unerlaubte Einreise und unerlaubter Aufenthalt“ mit einbezieht. Den Extrablättlern ist das egal. Sie stürzen sich auf jeden Prozentsatz, mit dem sich, aus dem Zusammenhang gerissen, eine erhöhte kriminelle Energie von Flüchtlingen, die bei ihnen grundsätzlich in Anführungszeichen stehen, behaupten lässt. Und sie vertrauen darauf, dass ihre Gegner ihnen ihre Zahlentricks ebenso durchgehen lassen wie ihr Mimimi.
In der Mitte des „Extrablatts“ kommt es dann zum „Großen Parteien-Check“, anhand sämtlicher Themen, die den besorgten Bürger umtreiben. Sie lauten vollzählig und in dieser Reihenfolge: EU, Grenzen, Sicherheit, Einwanderung, Asyl, Islam, Bargeld. Und am Ende des „Checks“ steht, Überraschung!, die Empfehlung, AfD zu wählen. Ach ja: Als „bedingt wählbar“ wird auch die FDP eingestuft, weil sie gegen die Abschaffung des 500-Euro-Scheins ist.
Ich möchte mit einem Appell schließen: Könnten sich bitte alle Berlinerinnen und Berliner, ob links, restlinks, liberal oder konservativ, ob besorgt oder unbesorgt, am 18. September zusammenraufen und den Trollen nach all dem Gewese, das um sie gemacht worden ist, endlich eine erste Lektion in Sachen Ihr nervt nur noch erteilen?
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