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Und woher kommst du eigentlich?

 

… diese Frage meint: „Kannst ruhig Deutsche sein. Du siehst aber nicht so aus. Also bist du es nicht.“ Das Wort „eigentlich“ sollte das Unwort des Jahres sein.

Und woher kommst du eigentlich? | Freitext
Copyright: Peyman Naderi/Unsplash

Eigentlich ist es unscheinbar. Keine Neuprägung. Eigentlich ist es auch nicht nur das Unwort dieses, sondern mehrerer Jahre. Das Wort hat Tradition. Gern wird es in einer Frage eingesetzt. Sie ist die „Unfrage“ des Jahres.

Mein Unwort lautet „eigentlich“.

Die Unfrage: „Woher kommen Sie/kommst du eigentlich?“

„Woher kommen Sie?“ wäre vielfältig. So fragt ein Schaffner beim Fahrkartenkauf; so lernt man jemanden kennen, so trifft man sich (und, woher kommst du?). Manchmal hört man auch ein „Woher kommst du denn?“ Wird man so gefragt, heißt es, dass man aus der Zeit gefallen ist. Oder: „Woher kommst du?“ bei Wein und Kerze: erzähl von deiner Kindheit.

Da ist die „eigentlich“-Frage von anderem Kaliber. Ja: abgefeuert, als Schuss. Eine junge Frau in Baden-Baden, mittellange, gelockte dunkle Haare, kaffeefarbene Haut. Mindestens einmal in der Woche werde sie inzwischen wieder nach „eigentlich“ gefragt. Sie antwortet, indem sie den Namen der Straße nennt, in der sie aufwuchs.

In der Regel führt dies zu einer kurzen Pause. Und einer weiteren Frage: „Und eigentlich?“

Als ich versuchte, Freunden in England davon zu erzählen, gerieten wir in ein Sprachproblem. Das Wort ‚eigentlich‘ gibt es nicht, nicht so. Niemand fragte jemals „Where do you come from, really?“ Das Eigentlichdenken fehlt.

Die Eigentlichfrage entstammt einem Denken, das keines ist. Ein Reflex, eine (nahezu) fixe Idee. Woher jemand eigentlich kommt, wenn er gar nicht von dort kommt, sondern von hier, aus der X-Straße, ist ja schon für sich genommen eine starke Konstruktion. Ein philosophisches Gehirn braucht man dafür mindestens. So die freundliche Zurechtlegung. Oder soll die Gefragte antworten: geboren und aufgewachsen in B-B, komme ich eigentlich aus der Erde? Von Gott?

Jeder weiß, was gemeint ist. Eine Blut-und-Boden-Antwort. Eine Rassegeschichte erzählen. Weil man eigentlich dahin gehört, woher die meisten Gene stammen?

Und wenn wir nicht mehr so denken, warum fragen wir dann noch immer so?

Ich lebe mit einem Menschen zusammen, dessen Hautfarbe sich von meiner aufs Beste unterscheidet. Als wir vor vier Jahren in München das Lenbachhaus besuchten, stolzer Ort fortschrittlicher Kunst, sprang dieser Mensch mit seinem Cousin durch die Ausstellung. Die Kinder schauten auf ihre Weise Bilder an, sie liefen rascher als ich, störten niemanden, unterhielten sich dabei. In ihrer Erstsprache Deutsch. Die Aufseherin auf einem Stuhl im Türdurchgang hielt, als die beiden an ihr vorbeigingen, das Mädchen an.

Eine Minute später stand ein weinendes Kind neben mir. Ich vermutete einen Kinderstreit. Kurz darauf ging ich zu der Aufseherin zurück. Warum hatte sie meiner Tochter die Eigentlichfrage gestellt? Was wollte sie damit? Wollte sie wirklich etwas wissen? Oder doch eher etwas signalisieren?

Mein Kind kommt aus Berlin. Das hatte es der Frau nicht geantwortet. Es hatte sehr genau verstanden, was gemeint war: Du bist fremd. Alle sehen es dir an. Du gehörst hier nicht „eigentlich“ dazu.

Da kannst du ruhig Deutsche sein. Du siehst aber nicht so aus. Also bist du es nicht.

Warum die Frau gefragt hatte, erfuhr ich nicht. Woher wusste sie, wie „Deutsche“ aussahen?

Sie trotzte mich an: ob sie nicht fragen dürfe.

Sie hing an der Frage. Sie beharrte. Die Frage, ich verstand, war – perfekt. Perfekt das, was man in Bayern „scheißfreundlich“ nennt.

Oben grins ich dich an, unten ramm ich dir ein Messer in den Bauch. Eigentlich.