Uhren zählen Schritte, Autos fahren von selbst, Kinder werden automatisch geortet. Das Internet der Dinge erleichtert uns nicht den Alltag, es lässt uns verdummen.
Ein Lieblingsszenario, als wir mit 15, 16 Jahren Kurzgeschichten für die Schülerzeitung schrieben, waren robotisierte Haushaltsgeräte oder andere Alltagsgegenstände, die ihre Besitzer in den Wahnsinn trieben und ihnen die Herrschaft über ihr Leben nahmen. Die Idee war schon damals nicht neu, wir hatten uns bei Stanisław Lem bedient, wenn ich mich richtig erinnere. Dass aber von allen gängigen Modellen einer bekloppten Zukunft ausgerechnet dieses Wirklichkeit werden würde, hätten wir nicht im Traum gedacht.
Es waren die späten Achtziger. Selbst wer Zynismus zur Schau stellte (wie wir es gerade lernten), glaubte heimlich an den Vormarsch der Vernunft in der Welt. Der Kalte Krieg ging spürbar zu Ende, eine gewisse Arglosigkeit griff um sich. Klaus Meine von den Scorpions feilte schon an Wind of Change. Dass der windige Wandel dann doch nicht im großen Stil Frieden, Freiheit und Entspannung über die Menschheit bringen würde, sondern den globalen Fetisch der enthemmten Märkte und den durchgeknallten Panoptismus von Big Data, sah kaum einer kommen.
Ein Paradies für Helikoptereltern
Nun breitet sich also das Internet der Dinge aus. Armbanduhren zählen unsere Schritte und melden sie der Krankenkasse, Kühlschränke wollen uns beim Einkauf beraten. Alexa beherrscht 15.000 Skills und macht feuchte Stasi-Träume wahr. Für all das zahlen wir auch noch gerne selbst.
Wer sich ausgiebiger gruseln will, dem sei das Kapitel 2025: A Day in the Life aus Samuel Greengards Standardwerk The Internet of Things empfohlen: fortschrittsfreudig gemeint und als Horrorvision auf etlichen Ebenen lesbar.
Greengard schickt eine vierköpfige Familie – Mutter Ärztin, Vater Bullshit-Jobber („marketing executive for a large consumer products company„), zwei schulpflichtige Söhne – durch ihren lückenlos überwachten Tag. Da wird die Mutter mit einem „mild sensory alert“ vom eigenen Schlafanzug geweckt, während die Dusche schon mal mit der Kaffeemaschine die Zubereitung des Frühstückslatte abstimmt, und kontrolliert später in der Klinik am Bildschirm, dass alle Patienten die ihnen vom Smartphone vorgeschriebenen Pillen geschluckt haben. Der Vater als überzeugter Stubenhocker („John only occasionally heads out for appointments„) macht derweil Homeoffice mit „biometric authentification“.
Und apropos home, apropos appointments und à propos authentification: Ist der Stubenhocker dann doch mal aus dem Weg, kann der 16-jährige Sohn nicht etwa endlich seiner ersten Liebe unbehelligt seine Gadget-Sammlung zeigen. So ein smartes Zuhause weiß genau, wer kommt und geht, und lässt niemanden ohne Gesichtserkennung rein. Das Internet der Dinge ist ein Paradies für Helikoptereltern.
Idee für eine repetitive Sitcom des neuen Zeitalters: Wie und wo kann sich Mutti noch mit ihrem Geliebten treffen, ohne dass gleich alles auffliegt?
Man mag erstaunlich finden, was Mikroelektronik und künstliche Intelligenz heute oder morgen schon alles möglich machen. Noch erstaunlicher aber scheint mir, was für ein infantilisierender, nervtötender Quatsch das meiste davon ist. Und wie unverhohlen fast alles auf Durchleuchtung, Gängelung und Uniformität abzielt; Uniformität natürlich im Gewand von Spotify stellt dir deine Playlist individueller zusammen, als DU SELBST es könntest und Die Kekse im Supermarkt lösen einen Hinweis auf deinem Gerät aus, weil DU PERSÖNLICH sie doch letztes Mal auch gekauft hast.
Soziale Entmündigung
Das IoT, wie das Internet of Things verführerisch abgekürzt wird, läuft auf eine überschwängliche Bestätigung der Thesen David Graebers hinaus. Der amerikanische Ethnologe, bekannt geworden als Erfinder des Occupy–Wall–Street–Slogans „Wir sind die 99 Prozent“, wies vor ein paar Jahren in seinem Buch The Utopia of Rules darauf hin, dass von den großen Zukunftsversprechen der Nachkriegszeit – fliegende Autos, Reisen zu anderen Planeten, Sieg über den Krebs – kein einziges eingelöst worden sei. Stattdessen seien Abermilliarden an Forschungsgeldern in die Entwicklung von Überwachungstechnologie und von Dressurdrogen wie Ritalin und Prozac gepumpt worden.
Mit dem Internet der Dinge tritt diese Pillepallisierung der Gesellschaft in eine neue Dimension ein. Geek culture trifft auf soziale Entmündigung. Den Überbau dazu bilden weiterhin die vergöttlichten „Marktkräfte“, konkretisiert in der weltumspannenden Macht und Herrlichkeit der Techkonzerne.
Auf die heiklen Aspekte des Silicon-Valley-Kults – eine Blase voller verhätschelter nerds und coders stellt nicht nur die Werkzeuge für unsere Interaktion mit einer durchtechnisierten Umwelt bereit, sondern prägt zugleich die Formen dieser Interaktion – ist verschiedentlich hingewiesen worden; ausgiebig etwa in einer nicht mehr ganz neuen, aber unverändert großartigen Observer-Reportage von Andrew Smith.
Smith erkundet einen hoffnungslos männerdominierten Techie-Kosmos, angetrieben vom großen Geld und beseelt von einem Ethos der convenience, bei dem Sorgen um Selbstbestimmung oder Privatsphäre oder überhaupt jegliche off-screen responsibilities so gut wie keine Rolle spielen. Dieses Ethos wird uns mit dem Internet der Dinge übergestülpt.
Individualmobile Selbstermächtigung
Denn welcher Art sind die Annehmlichkeiten, die das IoT uns verheißt? Reibungslose Abläufe, vom Wecken-Duschen-Frühstücken über den Job bis zur Abendgestaltung. Von den zig kleinen Entscheidungen jedes Tages soll es uns so viele wie möglich abnehmen, soll uns helfen, unablässig Zeit zu sparen, indem es über die widerspenstige soziale Umwelt, in der wir uns bisher bewegt haben, eine geschmeidige Schicht künstlicher Intelligenz legt.
Und dann? Was machen wir mit der gewonnenen Zeit? Komischerweise kommt die Perspektive Das IoT erledigt für uns die Arbeit und nimmt uns alles Leidige und Bürokratische ab, sodass wir in Ruhe offline gehen und raus in die Natur oder füreinander da sein und Gutes tun oder Musik machen oder ganze Bibliotheken durchlesen können überhaupt nicht vor. Im anvisierten Alltag 2025 verbringen die Menschen ihre Zeit im Wesentlichen so, wie sie die Silicon-Valley-Nerds schon heute verbringen: Sie sind immerzu im Netz. Sie halten jeden Quark für sinnvolle Tätigkeit, solange er sich digital abspielt. Ein erfülltes Leben besteht darin, pausenlos Daten zu produzieren.
An dieser Stelle müssen wir auf die fliegenden Autos zurückkommen. Beziehungsweise auf die nichtfliegenden Autos, die heute anstelle der prognostizierten fliegenden entwickelt werden.
Zuerst wurden sie äußerlich monströs. Von Generation zu Generation klobiger und übermotorisierter, bis in Gestalt des allgegenwärtigen SUV das Groteske zur Norm geworden war. Der alte Traum von der individualmobilen Selbstermächtigung, das Hochgefühl von Beweglichkeit und Geschwindigkeit, der Stolz, eine Maschine zu beherrschen: All das verunfallte zum großkotzig-läppischen Pseudogeländewagen. (Was man natürlich auch konsequent finden kann.)
Mit der Aufblähung der Fahrzeuge geht eine Verzwergung der Fahrer und Fahrerinnen einher. Wer in einem Auto von heute unterwegs ist, gilt ohne Navi, Einparkhilfe und zig elektronische „Assistenten“ als aufgeschmissen. Ausgerechnet das Auto, diese klassisch-moderne Individualisierungsmaschine, prescht beim Internet der Dinge voraus. Die Insassen kommen sich souverän, geschützt und geborgen vor, während sie jederzeit verortbar und pausenlos auf Sendung sind.
Autoscooter auf Highways
Die Trias von „gefühlte[r] Souveränität […], Schutz und Geborgenheit« zum Lob des SUV-Erlebnisses stammt aus einem im Januar auf Spiegel Online veröffentlichten Interview mit einem „Zukunftsforscher“ im Dienst des VW-Konzerns. Der Mann, Wolfgang Müller-Pietralla heißt er, will uns mit megatrendy Vokabular wie „Big-Data-basierte Intelligence-Plattform“, „Algorithmus“, „Dynamik“ und „digitales Modell“ die „Integration aller Fahrzeuge in das Internet der Mobilität“ schmackhaft machen. Bald werde jedes Auto „eine rollende Internetadresse sein“, und es gehe „darum, den Schwarm der Fahrzeuge mit vorausschauenden Systemen zu lenken“.
Nun wäre es bei vielen Autofahrern zweifellos ein Segen, wenn sie nicht mehr selber steuern würden, sondern ein vorausschauendes System sie aus dem Rennen nähme; dann könnte der Siegeszug der geek-convenience sogar en passant die Menschheitsplage der Raser und Drifterinnen erledigen, und das wäre allerdings eine hübsche Ironie der Geschichte.
Apropos Ironie der Geschichte: Die alten Schülerzeitungsspinnereien über eine Zukunft, gegen die wir uns gefeit sahen, werden im IoT-Zeitalter zu glaubwürdigen Thrillerszenarien. Vom Pyjama, der Mutti morgens nicht weckt, sondern erwürgt, bis zum „Schwarm der Fahrzeuge“, der sich auf den Highways der Welt in einen ferngelenkten gigantischen, tödlichen Autoscooter verwandelt. Stecken ruchlose Hacker dahinter? Oder handelt es sich um eine Eigenmächtigkeit der Technologie, die mittels Big-Data-basierter Intelligence-Plattform, Algorithmus und Dynamik zu dem Schluss gekommen ist, dass eine Spezies, die sich in so etwas Blödes hüllt wie das „Internet der Dinge“, keine Rücksichtnahme verdient?
Aber vielleicht kriegt ja das IoT auch noch eine halbwegs vernünftige Kurve. Wenn wir seine Ausgestaltung als eine gesellschaftliche Aufgabe zu begreifen beginnen und sie nicht allein den Techies und Techkonzernen überlassen … Ach nein. Unmöglich. Das hieße ja unter anderem, dass es brauchbare regierungspolitische Konzepte zum Buzzword Digitalisierung geben müsste. Und mit solchen Hirngespinsten bewegen wir uns unweigerlich im Bereich der Fantastik.
Bis auf Weiteres liegt die einzige Hoffnung darin, dass die Masse der Nutzerinnen und Nutzer beim Internet der Dinge, so wie es uns bisher aufgedrängt und in Aussicht gestellt wird, doch nicht lange mitmacht.
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