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Das Vertrauen verteidigen

 

Der Glaube daran, dass andere Menschen uns freundlich gesinnt sind, ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Was tut man, wenn dieser Kitt brüchig wird?

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© Carsten Koall/Getty Images

Vor Jahren las ich einen Artikel über eine Studie, die mir der ungewöhnlichen Kombination ihrer Themen wegen in Erinnerung blieb. Es ging um Konsumsteigerung – und um Vertrauen. Man hatte Paare gebildet und jeweils einem der Probanden eine nennenswerte Summe Geld zur Verfügung gestellt. Er durfte frei entscheiden, wie viel dieses Geldes er seinem Partner übergab, damit dieser es anlegte. Der so erwirtschaftete Gewinn sollte geteilt werden.

Das Ergebnis: Am besten schnitten jene Paare ab, bei denen der „Kapitalist“ dem durch keinerlei Wissen oder Kompetenz ausgezeichneten anderen die gesamte Summe überließ. Diese Partner hatten sich durch das in sie gesetzte Vertrauen ausgezeichnet gefühlt und sich daher besonders in Zeug gelegt, um das Vertrauen zu rechtfertigen.

Nach der Lektüre entdeckte ich auch in meinem Alltag Situation um Situation, in der wir Vertrauen brauchen. Ich sah, welche Möglichkeiten sich uns erst dadurch eröffnen.

Vertrauen bestimmt jeden unsere Schritte, im Innen- wie Außenraum. Andersherum gesagt: Wer nicht vertraut, kann nicht einmal in Ruhe im Bett liegen bleiben!

Doch was geschieht, wenn dieses Vertrauen gebrochen wird?

Zum Beispiel im öffentlichen Raum. Ein Terrorakt wie dieser Tage in Brüssel muss es nicht sein. In meinem Fall waren die Fakten um vieles undramatischer und überschaubarer: Diebstahl des Koffers aus der Gepäckablage im ICE von München nach Berlin.

Die Polizei sagte, die Versicherung wiederholte: Das kommt immer häufiger vor. Organisierte Banden. Steigen im Haltebahnhof ein, nehmen, was sie gut greifen können, steigen wieder aus.

Die Polizei sagte: Die Bahn wisse darum. Die Schaffnerin zuckte die Schultern.

Ich sagte: Ich fasse es nicht.

So weit die Fakten. Es folgen: jene Teile des Geschehens, in denen die Fakten schwieriger werden, schwammiger.

Ich lebe seit einem halben Jahr in England. Wir waren für 14 Tage in Deutschland zu Besuch. Hatte das Land sich seit August 2015 verändert? Alles sah aus wie immer. Auch die Menschenmengen in den U-Bahnen, zumindest in München. Nach dem Diebstahl indes schwang mit einem Mal etwas anderes mit. Suggeriert wurde: Die Kriminalität hierzulande nimmt zu. Und wir wissen, wer es ist …

Jemand sagte: Dunkeldeutschland.

Jemand sagte: sich wehren gegen das Misstrauen. Das so leicht zu einer Unterstellung wird.

Ich wehre mich. Ich will, dass wir Menschen, die in Not sind, bei uns aufnehmen. Eine Flüchtlingspolitik der Unterstützung, der helfenden Hand, finde ich nicht nur menschlich richtig, sondern auch zukunftsklug. Langfristig notwendig, im Wortsinn.

Es folgt: Der dritte Teil dieses Briefes. Noch weniger Fakten, dafür etwas anderes, Wirksames: Alpträume.

Der materielle Verlust traf uns, war aber zu verschmerzen. Sehr viel tiefer sitzt, bis heute, der Schrecken, der Bruch des Vertrauens, die so spürbare Verletzung des eigenen Lebensbereiches durch den Diebstahl. Schlechte Träume, ich fuhr aus dem Schlaf, wurde verfolgt, kämpfte um etwas.

Dem Kind erging es ebenso, schlimmer.

Uns wurde klar, dass wir das nicht vergessen würden. Und dass die neue, wichtige Frage hieß: Wie gehen wir damit um?

Immer wieder liest man, das Ziel terroristischer Anschläge sei unser freiheitliches Leben. Doch das eigene Erlebnis lehrt mich, das präziser zu sagen: Diese Akte zielen auf den Kitt, der uns zusammenhält. Auf unsere Leben als nicht nur freiheitliche, sondern auch als freizügige Leben, die wir miteinander verbringen und teilen. Auf das Vertrauen darin, auch außerhalb der eigenen vier Wände sicher zu sein und geachtet zu werden. Das Vertrauen, dass die anderen freundlich oder zumindest neutral gesinnt sind. Dass niemand uns verletzt – in Hab und Gut oder Leib.

Die Geschichte des Menschen zeigt wieder und wieder, dass wir uns nur weiterentwickeln, wenn wir zusammenarbeiten. Sie lehrt auch, was z. B. geschieht, wenn wir nicht mehr in unser Geld und seine Wertdeckung vertrauen. Was geschähe, wenn wir nicht mehr daran glaubten, prinzipiell von Möglichkeiten der Kooperation, der Nichtlüge und der Friedfertigkeit ausgehen zu können?

Ich bezweifle, dass wir dazu in der Lage sind, uns das auszumalen.

José Saramagos ungemein starker Roman Die Stadt der Blinden fällt mir ein. Ein Stück weit ist dort eine derartige Gesellschaft beschrieben. Lesen Sie.

Und noch einmal frage ich: Vertrauen?

Da denke ich an die genannte Studie und fühle mich – ermuntert. Ich spüre etwas von der Kraft, die das Vertrauen jener Kapitalisten, die ihr gesamtes Geld dem Partner übergaben, in eben diesen Partner freisetzte. Ich finde das Ergebnis wunderbar: Der Einzelne wird für sich selbst besser, wenn er das Vertrauen eines anderen spürt.

Und das, sage ich laut, lasse ich mir nicht abjagen. Das nicht!

Und fahre, munter und überzeugt, mit Gepäck, ICE.

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