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Der kritische Konsument – die Pest des 21. Jahrhunderts

 

Wer die Krise – nicht nur – der SPD immerzu mit angeblich verratenen Idealen erklärt, argumentiert nicht nur populistisch. Er redet auch dem Wutbürgertum das Wort.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel © Sean Gallup/Getty Images
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel © Sean Gallup/Getty Images

Wir leben europaweit in einer Phase des verschärften Populismus, und zu unser aller Überraschung haben wir das Problem nun auch in Deutschland. Wohin das alles politisch und gesellschaftlich führen wird, ist nicht klar. Tatsächlich scheint es vorläufig zwei Lager zu geben, die einen, die auf Stabilität setzen (alles soll so weitergehen wie bisher), und die anderen, die ihren Wutgefühlen freien Lauf lassen (wehe, wenn es so weitergeht), wobei die Frage ist, ob das wirklich zwei Lager sind, oder ob die Leute beides zugleich wollen.

Die bundesrepublikanische Gesellschaft, das steht fest, ist gestresst, aber Stress kann einer Gesellschaft hin und wieder nicht schaden, finde ich. Im Gegenteil. Das, was Sloterdijk Stresstests nennt, sind vielleicht die wahren Lernorte, für eine Gesellschaft nicht weniger als für den einzelnen, der ja auch nie lernen will, es sei denn, die äußeren Verhältnisse zwingen es ihm auf.

Die deutsche Parteienlandschaft jedenfalls ist nach den letzten Landtagswahlen nicht mehr die, die sie gewesen ist: Die zuletzt Größten werden noch größer, alle anderen werden geschreddert (Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg), und wo es keinen Großen mehr gibt, bilden die Geschredderten die unwahrscheinlichsten Koalitionen (Sachsen-Anhalt), während der wachsende Rest seinen Wutgefühlen Ausdruck verleiht.

Besonders hart scheint das die SPD zu treffen, obwohl es bei genauem Hinsehen alle bisher etablierten Parteien trifft.

Das Problem der SPD, aber ist die SPD das Problem?

Aber gut, reden wir über die SPD. Obwohl ich es allmählich ein bisschen satt habe, über die SPD zu reden und ihr als hundertster Laienprediger zu erklären, was sie seit Willy Brandt oder seit jeher angeblich alles falsch gemacht hat, was ja stets so klingt, als mache sie es absichtlich falsch, wo das Richtige doch jederzeit auf der Hand liege.

Dass sich in einer unübersichtlichen Situation das Interesse immer wieder vorzugsweise auf die SPD richtet, könnte man für schmeichelhaft halten: Die SPD ist doch die Partei mit diesen Idealen, wo sind sie um Himmels Willen geblieben, kann man sie womöglich wiederbeleben, bitte meldet euch und sagt etwas dazu.

Meistens kommt dann die Sache mit Willy, der angeblich der letzte gewesen ist, der die Ideale der Sozialdemokratie noch gelebt hat, dabei war er (zum Glück) ein knallharter Realpolitiker, der mit den übelsten Kommunisten Deals aushandelte, die am Ende dazu führten, dass die ganze Bande von der Landkarte Europas verschwand.

Und seither soll von den Sozialdemokraten nichts Gutes mehr gekommen sein, alles Verrat, alles Mist?

Ich muss sagen, auch das kann ich nicht mehr hören, vor allem aber die Rede von den verratenen oder vergessenen Idealen, denn sie ist so anmaßend und idiotisch (und im Kern populistisch) wie nur überhaupt etwas.

Ich möchte, dass Politiker nachvollziehbare Politik machen, und welche Ideale sie persönlich haben, ist mir erst mal ziemlich schnurz. Ja, mehr noch: Wer dauernd auf der Idealfrage herumreitet, redet letztlich dem Wutbürgertum das Wort, was mich zu der Frage bringt, was eigentlich unser Problem ist, der blinde Fleck, über den in Öffentlichkeit und Medien nicht gesprochen wird.

Öffentlichkeit und Medien denken über sich selbst ja selten nach, aber Tatsache ist, dass sie Teil des Problems, oder genauer: dass sie das Sprachrohr derer sind, die das allergrößte Problem sind, nämlich wir alle, die „kritischen“ Konsumenten.

Die Pest des kritischen Konsumententums

Der kritische Konsument ist die Pest des 21. Jahrhunderts, er ist die Wurzel allen Übels, das am Ende Populismus heißt.

Die Pointe der Konsumentengesellschaft, in der wir leben und die wir alle machen, ist (ich übertreibe), dass die Leute alles ununterbrochen kritisch beäugen, um es sich anschließend umso skrupelloser unter den Nagel zu reißen und dann auch noch glauben, das stünde ihnen zu; natürlich nimmt der kritische Konsument nicht alles, aber wofür er sich schließlich und endlich entscheidet, möchte er dann bitte sofort und ohne Abstriche und außerdem möglichst günstig.

Gut und billig soll auch die Politik sein. Sie soll schmecken (Wohltaten), darf aber nur wenig kosten (Steuern), am besten wär’s, der Staat gäbe den Leuten einmal die Woche Aldi-Champagner aus. Warum setzt sich die gute alte SPD nicht mal für so was ein? Dann würden wir sie womöglich auch wieder wählen.

Dass die Leute das nicht tun, ist, so gesehen, fast schon wieder eine gute Nachricht, offenbar scheint die SPD fürs erste der populistischen Versuchung zu widerstehen, und man kann nur hoffen, dass das so bleibt. Politik ist kein Wunschkonzert, Ideale sind schön, aber es ist nun einmal eine Erfahrung, dass sie verfehlt und enttäuscht werden, alles andere ist Infantilismus und keine Position, mit der man eine Gesellschaft zusammenhalten kann; Ich kriege nicht, was ich will, also tobe ich, ist keine Haltung (die Linken) und Ich kriege, was ich nicht will, also tobe ich, erst recht keine (die Rechten).

Mediale Angst- und Wutmaschinen

Betrachtet man die bundesrepublikanische Medienlandschaft, vor allem das Talkshow- und Magazinwesen, wird man für die Zukunft sofort zum Pessimisten.

Medien sind Angst- und Wutmaschinen, klar. Sie messen und bringen zum Ausdruck, was an Stimmungen und Gefühlen im gesellschaftlichen Raum der Fall ist, aber sie stellen diese Stimmungen zunehmend auch her, sie spielen mit den Gefühlen, schaukeln sie so lange wie möglich hoch, um dann im entscheidenden Moment (kurz bevor die Leute hysterisch werden oder die Sache selbst langweilig geworden ist) zu rufen: Beruhigt euch, alles halb so schlimm, aber hört euch mal diese Geschichte an, die scheint wirklich übel zu sein.

Man kann mit Karl Valentin nur hoffen, dass es nicht so schlimm wird, wie es schon ist.

Und ein Beispiel, wie schlimm es bereits ist, sind die Talkshows der zauberhaften Anne Will während der sogenannten Flüchtlingskrise. Wer gehört und gesehen hat, wie sie im Gespräch mit Angela Merkel (oder vorher und nachher mehrfach in größerer Runde) mit ihrem unwiderstehlichen Lächeln in (natürlich sehr sanft) provokatorischer Absicht die komplette Klaviatur des Ressentiments bemühte und an keiner Stelle markierte, was nun eigentlich ihre Haltung ist, der kann und konnte eigentlich nur verzweifeln. Man kann als Journalist im Mimikry-Verfahren nicht das nicht vorhandene Parteiprogramm der AfD herunterbeten und dann allen Ernstes glauben, man habe einen Beitrag zum Diskurs geleistet. Es ist ein Beitrag zur Zerstörung des Diskurses, und es wird Zeit, dass Politiker sich gegen solche Zumutungen wehren und aufstehen und sagen, dass sie dieses Spiel nicht mitspielen, dass es nicht nur die Schreihälse von Pegida gibt, dass es sich um eine Minderheit handelt, und dass es diese Minderheit immer gegeben hat.

Schlechte Nachrichten, gute Nachrichten

Aber es gibt auch gute Nachrichten, und die gute Nachricht sind die Leute.

„Da draußen im Land“ gibt es nämlich Leute, die vor ihren Fernsehern oder draußen auf der Straße nicht nur blöd daherreden, sondern etwas machen, und zwar nicht, wie es dann in neunmalklugen Fernsehreportagen heißt, um irgendwelche „Staatsversagen“ zu kompensieren, sondern weil sie es wollen, weil sie Menschen werden durch ihr Tun.

Die sogenannte Flüchtlingskrise ist hierfür ein gutes Beispiel, nur hat man nach wenigen Tagen nur noch wenig davon gehört oder gesehen.

Es gibt ein Problem? Gut dann machen wir eben was, damit es kleiner wird.

Auch nach der Wiedervereinigung hat es unzählige Leute in diesem Geiste gegeben, und bei der „Flüchtlingskrise“ nach 1945 genauso, um hier nur die bevölkerungspolitischen Beispiele zu erwähnen.

Auch sonst hat in siebzig Jahren Bundesrepublik doch alles erstaunlich gut geklappt, und zwar (ich wiederhole mich), weil die Leute es wollten, weil es gute Leute waren, und es gibt bis heute viele gute Leute, eigentlich an jeder Ecke, man muss nur hinsehen.

Auch in der SPD gibt es selbstverständlich gute Leute, vor Ort, in den Kommunen, den Landkreisen, irgendwelchen Parlamenten. Das ist die SPD von heute, aus der die SPD von morgen werden wird, und jetzt sage ich mal was, wie groß oder klein (ich meine die SPD) ist am Ende eigentlich egal – Hauptsache, die guten Leute sterben nicht aus.

 

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Mehr zum Thema finden Sie in unserer Serie „Meine Idee für die Sozialdemokratie“.

Die SPD ist in der Krise, ebenso wie die europäische Sozialdemokratie. Was macht sie wieder attraktiv? Die Besinnung auf linke Positionen, Persönlichkeiten mit Charisma oder etwas ganz anderes? Wir haben verschiedene Akteure aus Politik und Gesellschaft nach ihrer Idee gefragt. Bisher erschienene Beiträge:

YANNICK HAAN Da hilft nur ein Neuanfang

KAJO WASSERHÖVEL Die SPD muss das taktische Geplänkel lassen

CHRISTIAN NÜRNBERGER Ich fürchte, es geht zu Ende

NICO SIEGEL UND MICHAEL KUNERT Die SPD könnte jung sein