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Denken bis zur Schmerzgrenze

 

Zweifel kann etwas Produktives sein. Die derzeit grassierende Billigversion des Bedenkens ist aber allzu selbstgewiss. Sich selbst zu hinterfragen, gehört unbedingt dazu.

© Peter Lloyd/unsplash.com (https://unsplash.com/@plloyd)

„Das möcht‘ ich mal bezweifeln“ ist ein Partysatz. Man streckt die Beine, sagt’s, und erledigt ist die Sache. Niemand ist vor den Kopf geschlagen. Ein nettes kleines Selbstbild entsteht zudem, die Spiegelung lacht von der Front des edelmetallischen Kühlschranks: als reflektierter, cooler, nicht dominanter oder auf Einmischung drängender Zeitgenosse hat man sich gezeigt. Ein wenig arrogant? Aber nein. Wenn der andere möchte, könnte er nachfragen. Dann sagte man vielleicht mehr.

Etymologien führen gern in die Irre. Bei dem Wort „Zweifel“ indes hat sie mir immer gefallen. Während das englische doubt so gar nichts sagt, außer seine lateinische Herkunft in eigenwilliger Schreibung anzudeuten, evoziert „Zweifel“ ein Bild: zwei Felle, zwei Farben, zwei Häute bringen sich ins Spiel.

Das ist schnell weitergedacht: wer zweifelt, spaltet sich. Er erwägt, denkt in Pro und Contra, weiß nicht, was tun. Einer, der zweifelt, beherrscht die Kunst, sich auf verschiedene Seiten zu stellen – er vermag die Welt auch mit den Augen eines anderen, unter anderen Aspekten, in anderen Ketten von Ursachen und Wirkungen zu sehen.

So richtig das ist, so finde ich es doch erst spannend, wenn es auf den Zweifel seinerseits angewendet wird. Er ist, was er sagt – jeden Zweifel wert. Zweifarbig allemal, erscheint er doch in einer billigen Version, die wenig bis nichts bis kostet, und in einer teuren bis sehr teuren. Die, wenn man es so weit treibt wie der berühmteste aller dänischen Prinzen, zu Verzweiflung führen mag.

Welch Spektrum. Wer an der Stichhaltigkeit nationaler Unterschiede zweifelt und sich daher Differenzen zwischen Gesellschaften und Menschengruppen eher als über Staatsgrenzen über unterschiedliche Sprachen und die von ihnen geschaffenen Bilder aufzuschlüsseln sucht, stößt hier auf ein erstaunliches Gefühlsphänomen: im Deutschen bildet „Zweifel“ einen beachtlichen Sack. In ihn lässt sich so manches stopfen: vom Existenzzweifel bis zur Qual der Wahl vor dem Käseregal.

Sicherheiten ins Wanken bringen

Zweifel hegt man dieser Tage leicht, wenn man auf die politischen Nachrichten blickt. Mit Zweifel zum Zweifel im Hinterkopf mag es allerdings geraten scheinen, sich angesichts der eigenen Hochgeschwindigkeit zu fragen, welcher Art sie sind. Der leichte Zweifel, der Zweifel des guten Gewissens?

Geschenkt.

Nur, wie weiter? Bedenken haben wir auch; die Deutschen haben sich, zu Recht oder nicht, einen wahrlich bedenklichen Ruf als Bedenkenträger erworben. Angesichts dessen soll der Zweifel nicht verkommen. Denn tatsächlich: Dies möchte ein Aufruf zum Zweifel sein – in der ernsteren, teureren Variante.

Der Preis: Sicherheit. Zweifel, der mehr als ein Lippenbekenntnis sein möchte, erfordert die Bereitschaft, das eigene Wissen (oder auch „Wissen“) infrage zu stellen.

Descartes, einer der effektivsten Zweifler der Philosophiegeschichte, landete auf diesem Weg rasch beim Ich. Sein Ergebnis „cogito, ergo sum“ war formbildend, nicht aber zwingend. Von der Denkbewegung allerdings kann man lernen. Wer heute an Europa zweifeln will, ist gut beraten, sich auch die Kosten dieses Zweifels deutlich zu machen. Die Billigversion des Bedenkentragens abzuwerfen.

Wirklicher Zweifel schmerzt. Er wird den Zweifelnden auf die eine und andere Seite und zu einer dritten und vierten Position führen. Er wird ihn verwirren, Fragen stellen, gepflegte Sicherheiten ins Wanken bringen. Und mit ihnen auch das eigene Ich. Wer bin ich, wenn ich so oder so denken kann? Letztendlich: Wofür entscheide ich mich?

Es zählt.

Zweifel in diesem Sinn sind immer angebracht: Sie sind ein produktives Mittel par excellence. Indem sie den Zweifelnden etwas kosten, lassen sie ihn auch spüren, welche Vorteile die in Zweifel stehende Sache hat. Und: Sie richten sich auf Zukunft. Sie bringen mit sich: Zeit. Und Handlungsspielraum. Auch wenn es zunächst anders aussehen mag.

Nicht schwarz oder weiß

Die schönste Zweifelgeschichte kenne ich aus der mittelalterlichen Epik. Sie ist klug, weiß all dies. Tief aus dem Orient reitet Feirefiz, der Halbbruder Parzivals, in die westliche Welt. Seine Mutter stammt aus Afrika, der Vater aus Europa. Feirefiz‘ Haut ist schwarz-weiß-gescheckt. Wortwörtlich zwei-fellig, der Mann. Am Ende zieht er nach Indien, wo er, so Wolfram von Eschenbach, über seinen Sohn zum Ahnherren des friedlich über das östliche Asien regierenden Priesterkönigs Johannes wird.

Bei allem Zweifel: Da wurde global, da wurde vereinigend gedacht. Und man sah der unbequemen Tatsache ins Auge, dass die Welt und ihre Figuren nicht simpel schwarz oder weiß sein wollen, gut oder schlecht. Sondern beides, ungemischt.

Das scheint mir die gute Nachricht: Grau wird es nicht werden. Wer daran zweifelt, sollte die Lektüre dieses Textes von vorn beginnen. Selbstverständlich mit ernstem Zweifel.

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