Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Warum ich froh bin, keine Tochter zu haben

 

Ob der alltägliche Sexismus überwunden ist, wenn unsere Kinder groß sind? Die Geschlechterklischees, in denen sie noch immer aufwachsen, lassen daran zweifeln.

© Mon Petit Chou Photography / unsplash.com

Die Frau, die einmal die Woche meine Wohnung putzt, legt die Wäsche in schön gefalteten Stapeln zusammen: Hosen von Kind Nr. 1, T-Shirts von Kind Nr. 2, selbst die Socken der beiden, die sich nur um eine Größe unterscheiden, hält sie ordentlich auseinander. Und dann gibt es immer den Stapel, bei dem sie nicht weiß, wohin damit: Die Nachthemden meines Sohnes. Rosa- und fliederfarben, im – aus seiner Sicht – besten Fall mit großen Pferden bedruckt. Einhörner sind auch gerne genommen, Elsa, was es da nicht alles gibt. Er liebt sie, hat explizit darum gebeten, nur in Nachthemden schlafen zu dürfen, aber sie fragt mich, und zwar jede Woche aufs Neue, die Verwunderung weicht nicht ihrer Stimme, ob ich mir vielleicht eine Tochter wünsche. Ich schüttle wahrheitsgemäß den Kopf, nein.

Nein, ich wollte Söhne, schon immer. Ich will kein Rosa, und ich will keine Barbies (das war, bevor mein Sohn sie zu lieben begann), hatte ich früher immer gesagt, und das hatte damals noch einen verspielten Beiklang. Ich war selbst nicht so ein Mädchen gewesen, ich war auf Bäume geklettert, hatte Nagellack damals wie heute gehasst und war aus dem Ballettunterricht, in den mich meine Eltern steckten, wegen „Trampeln durch den Saal“ hinausgeflogen. So was Verspieltes hatte dieser Wunsch damals, beinahe naiv: Ich will halt kein Rosa im Haus. Mehr nicht.

Heute bin ich froh, keine Tochter zu haben, und Rosa ist hierbei ein Synonym, aber kein Grund. Das denke ich in diesen Tagen, in denen man sich über sexuell belästigende Filmproduzenten empört und staunt, als wären Klischees in lebensfremdem Raum erfundene Märchen. In denen sich Frauen auf einen Hashtag (#MeToo) stürzen, um von alltäglichen, ja, eigentlich gewöhnlichen Erniedrigungen zu berichten, davon, wie Sexismus Einheit des Lebens ist wie morgendliches Zähneputzen und der Kaffee, den sie aus dem Pappbecher trinken. In denen viele (Achtung: viele, nicht alle) Männer mit verständnisvollem Erstaunen reagieren („Ich hätte ja nie gedacht …“) oder mit einer Panik vor Anschuldigungen, wie kleine Kinder, die Strafen fürchten („Ich war es nicht, der das Glas …“), woraufhin sich dieses Gefühl breit machte, das zu erschöpft war, um Empörung zu sein: so was wie Grundunbehagen vielleicht.

Ich bin froh, keine Töchter zu haben, denke ich abends, wenn ich The Handmaid’s Tale schaue, diese unerträglich dunkle, dystopische Serie nach dem gleichnamigen Roman von Margaret Atwood, in der aus den USA ein streng religiöser, grausamer Staat geworden ist, in dem Frauen entweder Gebärmaschinen sind oder gott- und mannergebene Ehefrauen (die erste Klasse der Frauen sozusagen) oder vor aller Augen gehängt und gesteinigt werden, weil sie zum Beispiel gender traitors sind, also Frauen lieben.

„Er soll sexy sein“

„Krass“, sagen wir, während wir auf den Bildschirm starren, „ich kann da kaum hinsehen“, beinahe bei jeder einzelnen Szene, und manchmal, wenn ich mir also die Hände vor die Augen halte, weil ich kaum hinsehen kann, denke ich über Dystopien nach – und über einen amerikanischen Präsidenten, den mit dem berühmten Pussy-Zitat (wofür Präsidenten heutzutage so alles berühmt werden); daran, wie alltäglich es ist, dass so vieles mit dem Weiblichen Assoziierte herabgesetzt, als „weich“ und „emotional“ konnotiert und letztendlich in der Zweiergeschlechtordnung festgenagelt wird auf der – immer noch – rosafarbenen Seite.

Dann denke ich an die Siebtklässlerinnen eines Münchner Gymnasiums, denen ich im vergangenen Jahr etwas über Kreatives Schreiben beibringen sollte, die diese – schon wieder – rosafarbenen Sweater trugen, auf denen „Girl Power“ stand, und mit denen wir zu diskutieren versuchten: über diese Mischung aus politischem Statement und dieser Farbe, und die diese Fragestellungen nicht verstanden. Woraufhin wir, ein Fehler meinerseits möglicherweise, den kläglichen und schnell gescheiterten Versuch unternahmen, mit ihnen über Genderrollen und -klischees zu diskutieren, und sie Listen mit Eigenschaften perfekter Männer und Frauen erstellen ließ. Sätze wie „Er sollte mich schon auch mal unterstützen, wenn ich mein Ding machen will“ fanden sich weit unterhalb von „Er sollte sexy sein“ und „Er sollte mich retten können“ wieder. Man, frau, ich möchte mit dem Kopf gegen die Wand rennen, und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll zu diskutieren, zu erklären, mich aufzuregen, mich zu schlagen, für eine andere Welt zu kämpfen – dieser Satz in dieser Größe, das Vorhaben in dieser Naivität.

Ich will nicht darüber nachdenken, wo ich anfangen sollte, wenn das meine Tochter wäre, in diesem rosafarbenen „Girl-Power“-Sweater, die „Prinzessin“ als Berufsbezeichnung gelernt hätte, und später, dass es wichtig ist, lange Beine zu haben, und dass Jungs und Männer einen manchmal behandeln, als bestünde man hauptsächlich daraus: aus langen Beinen, oder eben welchen, die nicht lang genug sind.

Ich möchte nicht darüber nachdenken, wie es wäre, mit einer Tochter diese Gespräche führen zu müssen, von denen ich wünschen würde, ich müsste das nicht; also denke ich über Söhne nach, über meine und Söhne im Allgemeinen, die später Jungs werden und Männer, die Mädchen und Frauen begegnen – und die sie irgendwie behandeln – und reagieren werden auf Debatten wie die um #MeToo (weil ich es nicht wage zu glauben, dass die Themen gegessen sein werden, dass sie Erinnerungen sein dürfen, derer man im Geschichtsunterricht gedenkt wie dem Kampf um das Frauenwahlrecht), möglicherweise auf Vorwürfe von Sexismus (nicht auszumalen, dass!), auf die Frage, wer sie selbst in ihrem Verhältnis und Verhalten zu anderen sind.

Kampf gegen Bilder

Ich sehe sie mir an, diese Jungen, einen davon im Nachthemd, den anderen im Superheldenkostüm, und ich bin mir nicht sicher, ob es reicht, dass ich sicherstelle, dass sie wissen, dass es auch das andere gibt: Superheldinnen zum Beispiel. Ob die Tatsache, dass der Kleinere, der so gern backt und weiß, dass er es mit seiner Mama nie tun wird, weil sie das eben nicht gern macht und auch nicht kann (ein fehlendes Interesse, durch die Tatsache, dass eine Erzieherin einst zum Kind sagte, das müsse er mit der Mama machen, das Backen, zu einer Überzeugung verstärkt) ein ausreichendes Gegengewicht ist dazu, dass der Kindergarten seit Jahren die Bescheinigung über den Kindergartenbesuch für die Steuer dem Papa in die Hand drückt, während Mama die Informationen über den Umgang mit Läusen bekommt.

Ob wir reichen, als Geschlechterrollen infrage stellende Vorbilder, für die wir uns halten, ob die Piratinnen-Playmobil-Figuren und die Krawatte, die Mama manchmal trägt, Dinge sind, die sich in den Köpfen und Gedanken der Jungen, die später Männer sein werden, festsetzen; oder ist das nur ein frommer, vorsichtiger Wunsch, einer Hilflosigkeit entsprungen?

Ein Freund sagte unlängst, er finde es wichtig, seinen Sohn feministisch zu erziehen, und ich zuckte zusammen, wie ich bei jedem Anflug von ideologischen Erziehungskonzepten zusammenzucke, weil ich meine, mich von allen verallgemeinernden Weltanschauungen, die wir unseren Kindern aufbürden, erheben zu wollen.

Vielleicht geht es nicht um eine feministische Erziehung von Jungen, aber um eine, die sich von klischeehaften Standards des Männlichen bewusst und täglich und immer weiter entfernt; vielleicht geht es um den immer wiederkehrenden Kampf gegen Bilder, die die Jungs von draußen mitbringen, nämlich die, dass sie Jungs sind, Jungs, nicht Kinder, und deshalb wild oder stark oder bestimmend sein müssen oder dürfen oder sollen oder sogar sind.

Den Mädchen bringt man bei, „Nein“ zu sagen, laut und deutlich, und auf diesem „Nein“ zu beharren; und den Jungs, so sagt man, auf der anderen Seite, so sagt man auch, den Jungs auf der anderen Seite müsse man beibringen, ein „Nein“ als solches zu akzeptieren und nicht als Verhandlungsposition zu sehen; dann, so die Theorie, würde es weniger #MeToo-Geschichten zu erzählen geben.

Ich weiß nicht, ich denke, es müsste reichen, Kinder zu empathischen, respektvollen Menschen zu erziehen, aber dann blicke ich mich um, in den Debatten, den Werbebildern, den Teenagern um mich herum, und stelle fest, das reicht eben nicht. Da sind die Jungs, da sind die Mädchen, und da ist noch zu viel konnotiert, wovon ich wünschte, ich müsste das meinen Söhnen oder der Tochter, die ich nicht habe, nicht erklären. Ich müsste ihnen nicht sagen, das ist nicht so, und damit Realitäten, die sie sehen, widersprechen.

_______________

Sie möchten keinen Freitext verpassen? Es gibt einen Newsletter. Hier können Sie ihn abonnieren.